Antwort auf: Enja Records

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Kenny Barron – What If? | Hatte nicht recht geguckt, als ich das Album neulich bei den Lücken erwähnte … ich glaub, es kam im Rahmen der 90er-Hörstrecke dazu, als ich Barron aus der Zeit etwas vertiefte (80er bis 00er), lief schon ein paar Male, allerdings ohne viel Eindruck zu hinterlassen. 17. Februar 1986 bei Rudy Van Gelder (meine Lücken sind ja inzwischen so zahlreich … wann war Enja erstmals bei RVG?) mit Wallace Roney, John Stubblefield, Cecil McBee und Victor Lewis. Vier Barron-Tunes, dazu je eines von Cecil McBee, Charlie Parker und Thelonious Monk.

Der Bebop-Faden wird also wieder etwas stärker hier, aber im Opener „Phantoms“ herrscht eine Stimmung, die irgendwo zwischen einer Blue Note-Session von Duke Pearson in den späten Sechzigern und „Scratch“ angesiedelt werden kann. Ein ominöser mittelschneller Vamp, schöne Soli vom Leader (ich bilde mir ein, auch hier etwas Abdullah Ibrahim rauszuhören) und den Bläsern. Dass die Rhythmusgruppe gut ist, versteht sich glaub ich von selbst. Als zweites folgt das Titelstück, das in seiner Zickigkeit an Monk, im rollenden Bass-Lick an Herbie Nichols erinnert. Roney spielt eine bittersüsse Trompete, strahlender Ton, die richtige Dosis Biss, Lewis und McBee begleiten gekonnt, während der Leader pausiert und danach das zweite Solo spielt, aus einer Phrase hinaus logisch konstruiert. Bei Stubblefield bilde ich mir einen Moment ein, dass das Charlie Rouse sein könnte – aber bald biegt und dehnt er seinen Ton stärker, spielt mit der Tongestaltung. Und vor der Themen-Rekapitulation ist auch McBee dran, unbegleitet, leider mässig schön aufgenommen. „Close to You Alone“ ist dann das erste Stück im kleineren Format: die Bläser pausieren in dieser Ballade von McBee, der weite Linien unter Barrons Klavier legt. Auch wenn die Frische und Klarheit von „Scratch“ fehlt (ich fürchte, Van Gelder hat daran auch einen gewissen Anteil), ist das ein sehr schönes Stück.

Die zweite Hälfte öffnet mit „Dexterity“ (Parker): schnelle, immer dichtere Bop-Läufe vom Klavier über ein so komplettes Schlagzeug von Lewis, dass der Bass keine Sekunde vermisst wird. Dann folgen zwei weitere Quintett-Stücke von Barron. „Voyage“ nahmen Baron und Lewis mit George Mraz wenige Wochen später auch mit Stan Getz für das gleichnamige Album wieder auf. Das Thema ist eingängig, wie auch das der folgenden Ballade, „Lullabye“. Aber trotz vieler guter Momente – guten Materials, guter Soli – packt mich diese Session nicht annähernd so sehr wie „Scratch“ (weswegen ich das Album zunächst auch gar nicht wieder anhörend wollte). Da war „mehr Stubblefield“ auch ein Kaufgrund, und der ist auch hier wieder stark – dafür finde ich McBees unnatürlich nachklingenden Bass hier wieder echt nicht gut (da verbinden sich ja Aufnahmetechnik mit Spielweise, diese ausgehaltenen Töne gingen ja sonst gar nicht … klar, da gibt es ja stets Rückkopplungen, aber das ist halt eine, die ich echt nicht mag). Den Abschluss macht Barron dann solo mit der Monk-Komposition „Trinkle Tinkle“ – und auch hier scheint Barron wieder in alte Muster zu fallen, spielt das alles gekonnt aber auch irgendwie routiniert. Damit endet ein Album, das vielleicht einfach etwas zu viel wollte und mich nie recht zu erreichen vermag.

Auf die 1997er-Ausgabe wurde auf dem Blurb hinten informiert, dass „What If?“ Leonard Feathers Album des Jahres gewesen sei – ich habe die komplett textfreie 24bit-Remasters-Ausgabe von 2008.

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