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Bennie Wallace Tiro & Chick Corea [aka Mystic Bridge] | Zwei Lücken, „Wow Bag“ von den Slickaphonics und Michael Gregory Jacksons Solo-Album „Cowboys, Cartoons & Candy“ (ein Fall für @vorgaten?), dann folgt das nächste, am 4. und 5. Mai 1982 im Vanguard Studio in New York von David Baker aufgenommene Album des Trios von Bennie Wallace, zu dem dieses Mal ein prominenter Gast stösst: Chick Corea. Ich habe auch das um 1997/98 herum in der 25th Anniversary Ausgabe gekauft – ab den CDs von 1987 heisst das Album „Mystic Bridge“, nach dem gleichnamigen Corea-Original, das auf Wallaces öffnenden „Bob Crosby Blues“ folgt. Neben „Someone to Watch Over Me“ war das mein Einstieg in die Musik von Bennie Wallace, und das war schon eine Art instant love affair, die auch damit zu tun hat, dass ich damals selbst noch anfängerhafte Versuche am Tenorsaxophon unternahm und mir die Spielweise von Wallace – ruppiger, zupackender Ton bei sehr beweglichen, oft irre herumspringenden Linien – einfach zusagte. Das Album mit Corea sank dann relativ schnell etwas in der Gunst, nachdem ich die Trio-Alben (das nächste folgt hier gleich, eine All-Star-Geschichte, aber auch v.a. das Konzert aus dem Public Theater und etwas weniger das Monk-Tribut und das Debut) kennengelernt hatte. Die Einschätzung ändert sich gerade wieder, „Mystic Bridge“ lief gestern spät schon zweimal und gerade erneut und es gefällt mir besser, als ich es erinnerte. Corea passt gut dazu, bringt nochmal eine andere Schärfe zum den Becken von Dannie Richmond, dem sich ständig bewegenden Bass von Eddie Gomez und dem Tenorsaxophon des Leaders. Vielleicht wünschte ich mir manchmal etwas abenteuerlicheres Material (es gibt ein zweites Corea-Original, zwei von Wallace, ein Medley von Doug Davis und Wallace, sowie eine wunderbare Duo-Version von „My One and Only Love“) – aber das hält die vier nicht davon ab, eine tolle Performance zu liefern.
Danach fehlt mir, schon angesprochen, das Solo-Album „African Dawn“ von Abdullah Ibrahim. Da werde ich mich mal darum kümmern, aber vermutlich nicht bis Ende Mai. (EDIT: Link ergänzt.)
Jon Hendricks – Cloudburst | Das gehört eigentlich auch noch zu den „historischen“ Alben auf Enja, denn dieser Live-Mitschnitt (der bei mir aus dem Vocal-Jazz-Kontext noch bereitlag zum Wiederhören – die neu angeschaffte Japan-CD von 2020, die den seit dem wohl ersten CD-Reissue von 1994 üblichen Bonustrack enthält, „Reza“ von Edu Lobo, mit 9 Minuten vor dem ursprünglichen Closer „Arrastão“ von Lobo/de Moraes mit seinen 8 und einem 6-minütigen „Here’s That Rainy Day“ der längste Track) kam zwar 1982 heraus, wurde aber schon im Februar 1972 im Domicile gemacht. Larry Vuckovich (p), Isla Eckinger (b) und Kurt Bong (d) begleiten den gut aufgelegten Hendricks, dessen Stimme und Delivery ich immer schätze. Es gibt Blues- und Shout-Nummern, Balladen, etwas Funk und eben einen längeren Ausflug nach Brasilien. Surrealistische Texte von Big Bill Broonzy („It Was a Dream“), eigene Vertextungen von Stücken von Hubert Laws, Herbie Hancock, Benny Harris und Frank Fosters Basie-Staple „Shiny Stockings“ … das macht alles Spass, aber ich glaub ich versteh irgendwie schon, dass es nicht eilte damit, diesen Mitschnitt unter die Leute zu bringen: das wirkt einfach, als sässe man da im Club und höre etwas zu, gönne sich vielleicht einen Drink und auch einen Schwatz, weil einen das gebotene nicht so recht fesselt, die Aufmerksamkeit nur stellenweise zu bündeln vermag. Trotzdem schön zu haben, denn die Hendricks-Diskographie ist ja nicht übermässig gross und eben: ich höre ihn immer gern.
Lücken: „Perdido“ von Aki Takase (vielleicht wäre das einen Versuch Wert? Solo beim Jazz Ost-West 1982 … ich sollte wohl „Song for Hope“ die Tage doch noch nachholen, ihren 1981er Berliner Auftritt mit Nobuyoshi Ino und Takeo Moriyama), das gestern erwähnte „Non Troppo“ von Vyacheslav Ganelin (später als vom Ganelin Trio wieder aufgelegt bzw. wie ja erwähnt von Hat Hut im Umfang verdoppelt) und „Out Like a Light“ von John Scofield (Fortsetzung von „Shinola“).
Jerry Gonzalez & The Fort Apache Band – The River Is Deep | Das ist dann ein Album, das ich nach soulpopes wiederholtem Insistieren gekauft habe, vor vier Jahren, sagt mir Discogs … live bei den Berliner Jazztagen am 5. November 1982, der Leader an Conga und Percussion sowie Trompete, dazu Frankie Rodrigues (lead voc, perc), Wilfredo Velez (as), Steve Turre und Angel „Papo“ Vasquez (tb), Edgardo Miranda (g, cuatro), Jorge Dalto (p), Andy Gonzalez (b), Steve Berrios (d, perc), Gene Golden und Hector „Flaco“ Hernandez (cga, perc) sowie Nicky Marrero (timb, perc). Da ist schon dem Line-Up anzusehen, dass das was völlig anderes ist – und Jerry Gonzalez schrieb auch ein paar Zeilen fürs Cover, die so öffnen: „The spirit of Mother Africa travelled to the Caribbean, South America, North America and the world, evolved individually and reemerged spiritually as one. The river is deep – so are our roots. Our music is a reflection of our experience of life here in New York City and of our consciousness of the cultural roots from the Motherland Africa which we keep alive. We are all second generation (Afro-Hispanic-Indian) musicians living in NYC, we are bilingual, we play the blues and we play rhumba (the catalyst for the reemergence has begun.)“ Gonzalez erinnert dann an den Samen, den „Diz, Bird, Mario Bauza, Machito y sus Afro-Cubanos, Chano Pozo, Cachao, Argano, Los Papines, Los Munequintos, Arsenio Rodrigues, Coltrane, Miles, Duke“ und viele andere gesägt hätten und kommentiert auch die sechs Stücke kurz, unter denen sich Traditionals (auf den Plattenlabeln dem Leadsänger Frankie Rodriguez zugeschrieben) neben einem kurzen Percussion-Stück des Leaders und zwei Bebop-Klassikern finden, „Bebop“ von Gillespie und „Parisian Thoroughfare“ von Bud Powell. Auch das macht viel Spass – und ist bei weitem kein Lieblingsalbum.
Tete Montoliu – Body & Soul | Nach vielen Jahren taucht Tete Montoliu noch einmal im Enja-Katalog auf. Allerdings mit einer Aufnahme, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens bereits ein Dutzend Jahre zurück liegt: im April 1971 wurde der katalanische Pianist mit George Mraz (b) und Joe Nay (d) im Domicile mitgeschnitten. Es gibt neben den Klassikern „Old Folks“ und „A Nightingale Sang in Berkeley Square“ sowie dem Titelstück zwei Jazz-Tunes, „Sweet Georgia Fame“ von Blossom Dearie und „Lament“ von J.J. Johnson, sowie einen Blues von Montoliu, der schlicht „Blues“ heisst.
Im Booklet schildert Weber auf drei Seiten die Biographie von Tete: 1933 geboren; Don Byas, der 1940 nach Barcelona kam, als erster richtiger Lehrer; 1945-53 dort am Konservatorium; Lionel Hampton hört ihn und nimmt ihn zu Gigs mit; 1958 beim Festival in Cannes mit Doug Watkins/Art Taylor, 1959 in San Remo, wo er Mangelsdorff trifft, mit dem er später auch spielt (Jädig, Trunk, Bartz); Anfang der Sechziger gründet Montoliu sein Quartett mit Jädig, Trunk und Dick Spencer (8 Monate im Club Jamboree in Barcelona); mit Trunk und Nay im alten Blue Note in Berlin; Gigs mit Benny Bailey, Herb Geller, Ake Persson, Sahib Shibab; nächster Halt Kopenhagen, Trio mit NHOP und Alex Riel, Auftritte mit Dexter Gordon, Roland Kirk, Kenny Dorham, Archie Shepp: „At that time, I didn’t particularly like Shepp’s music … He was too out for me. But on a personal level, we had a good understanding. Beside Shepp, I played with Don Cherry, Don Moore, and J.C. Moses“; nach einem Jahr zurück nach Berlin, Gigs mit Leo Wright, ein abendfüllender Jam mit Chet Baker; dann nach Madrid, wo er mit Eric Peter Donald Byrd und Jean Luc Pontys begleitet; 1964 Tour mit Kirk, Tommy Potter und Billy Brooks, dann das Trio mit Peter und Brooks, das wer als sein bestes betrachtete – es hatte zwei Jahre bestand und spielte u.a. auch mit Booker Ervin, Pony Poindexter, Lee Konitz und Art Farmer, trat bei den Festivals in Bologna und Antibes auf; 1967 New York, wo er mit David Izenzon und Stu Martin im Waldorf Astoria während der „Spanish Week“ spielt, Willis Connover ihn hört und fürs Top of the Gate engagiert, wo er mit Richard Davis und Elvin Jones spielt, mit denen er anscheinend ein nie veröffentlichtes Impulse-Album aufnimmt (die spanische Plattenfirma habe die Veröffentlichung verhindert – höre ich zum ersten Mal, hatte den Text noch nie gelesen); in NYC auch Gigs mit Walter Booker, Billy Higgins, Roy Haynes; im Sommer 1967 wieder Kopenhagen, mit NHOP, Al Heath, Johnny Griffin, Yusef Lateef; dann zurück nach Spanien, sein Trio tourt mit einem katalanischen Sänger, der Gigs cancelt, nachdem er nicht in seiner Muttersprache singen darf; 1971 ein paar Monate im Domicile, auch in der Jazz Galerie in Berlin; dann eine Jugoslawien-Tour mit Dusko Goykovich (Ferdinand Powel, Rob Langereis, Nay), Gigs in Berlin mit Slide Hampton, Bert Thompson und Billy Brooks und im Domicile mit Mraz und Nay. Und da sind wird dann bei „Body & Soul“. Diese Aufnahmen gefallen mir deutlich besser als die im selben Jahr 1971 eingespielten „Songs for Love“. Klar trumpft Montoliu mit seiner ganzen Technik auf, er ist nun mal ein Virtuose. Aber das wird hier für mein Empfinden nicht zum Selbstzweck sondern zeitigt überaus musikalische Resultate. George Mraz ist am Bass toll, auch eine Art ruhender Gegenpunkt zum Klavier. Und Joe Nay schlägt sich auch ganz gut.
Einen BFT gibt’s im Booklet dann auch wieder, leider wie üblich undatiert – und da ist fast eine Triggerwarnung nötig … eine Floskel dazu wäre „erfrischend ehrlich“, aber das wäre dann teils beschönigend. Sympathisch kommt Montoliu da nicht rüber, aber was ich an diesen BFTs halt spannend finde, und drum auch diesen hier ausweide, ist, wie sie Einblick in die Themen geben, die die Musiker damals beschäftigten, Begriffe, mit denen sie operierten usw. (Daten wären schon schön gewesen, aber man kann’s in der Regel wohl mit den ersten CD-Reissues so irgendwo in die Achtziger legen oder davon ausgehen, dass es sich um Übernahmen aus dem Jazz Podium handelt, die dann schon früher – durchaus ca. zeitgleich wie die Aufnahmen – entstanden sein könnten).
Milt Buckner (ein MPS-Album mit Rettenbacher/Clare) hält Tete erst für Shearing (there we go again, siehe Waldrons BFT ein paar Seiten zurück), dann für Peterson, „but then again, the music is too happy. […] I don’t like it. When I hear it, all it does is make me laugh.“ Garner erkennt er dann, obwohl im was „atypical“ vorgesetzt wird (auch MPS, „You Turn Me Around“ von „Feeling Is Believing“ [ich kann die jeweiligen Stücke gern nachträglich ergänzen, wenn das wer wünscht] – „also makes me laugh, but it’s better than the preceding record. Basically, I don’t like congas in jazz [ein Bruder im Geiste – wusste ich gar nicht, weil eben: das Booklet noch nie gelesen bisher, nur die CD angehört] […] I like Garner best when he plays alone.“
Dann Kirk, er meint „That’s Roland Kirk or Yusef Lateef, but it’s more likely Kirk … gespielt wird ein Stück von „Natural Black Inventions“, was die Verwirrung so halb rechtfertigen mag. Aber über Kirk mag er dann nichts erzählen („Sure, I played with Roland Kirk, but I can’t say a lot about his music“).
Weiter geht’s mit Mal Waldron, „Blood and Guts“ (Futura) – den erkennt er eindeutig, klar. „He has his own style. I like him a lot, but I wouldn’t like to play that way. It’s too childish. Mal is a great personality, and his compositions correspond directly to his style of piano playing.“
Dann Joe Haider, ein Stück von „Katzenvilla“: „Was that Andrew Hill, Keith Jarrett, or Jaki Byard? It can’t be Cecil Taylor, since he doesn’t play such good piano. In any case, the pianist is very creative. I like him a lot. New music, but very serious. I don’t especially like free jazz, but the question isn’t which style of music we listen to, but how it’s played, and whether it’s sincere, whether it’s good. You can always hear when music is sincere, and this was; and besides that, creative.“ – Dann will er wissen, wen er gerade gehört hat. „What, Joe Haider, the German?! Oh, great!“ – Er habe Haider früher gehört und hätte so eine positive Entwicklung nicht für möglich gehalten – und die Rhythmusgruppe kriegt hier auch ein fettes Lob (Eckinger/Favre).
Dann Gulda mit einem Solo-Stück, und punktgenau, ohne den Pianisten zu erkennen: „He plays like a classical pianist. It’s not jazz. It’s music that the pianist plays very well, but it doesn’t say anything to me.“
Peterson ist dann auch dran („Hello Herbie“, wieder MPS): „I like Oscar Peterson live a lot more than on record. This here is played too commercially. One of the best albums of his that I’ve heard was a piano solo album from MPS. Then, there’s also a trio album with Sam Jones, and, I think, Louis Hayes, where he plays Stella by Starlight. […] It’s just that his music in concert is more jazz, more relaxed, more normal. With his albums, I always have the feeling he’s thinking at the same time about the music’s marketability, and wondering, I suppose, if it will sell we..“
Dann ist Bill Evans dran – „I thought I had all of Bill Evans‘ records – I have 22 of his albums“, aber das Riverside-Album aus dem Shelly’s Manne-Hole scheint nicht dabei zu sein: „I want it. I like Bill Evans very much. I think that everybody learns something from everyone else, but Bill Evans, especially, has had a profound influence on a lot of young pianists.“ – damit meint er sich wohl weniger, denn er fährt fort: „Even creative young pianist like Herbie Hancock, or Chick Corea, players who don’t copy, have listened very carefully to what Bill Evans did.“ (Andrew Hill nannte er bei den Gedanken zum Haider-Track auch „young“, der ist aber mit Jahrgang 1931 zwei Jahre älter, Hancock und Corea sieben bzw. acht Jahre jünger als Montoliu). „Bill Evans‘ playing has it all; and besides, he plays from his heart.“
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Und weil ich gerade noch das Rückcover guckte, um es oben einzufügen: inzwischen, also 1983, erscheinen LP- und CD-Ausgaben wohl zeitgleich. Die Biographie ausführlicher als oben zu sehen im bis dahin ausführlichsten Enja-CD-Booklet, das mir in die Hände kam (die frühen Reissues waren oft spärlich, manchmal ist es nur ein 12×12 cm Blatt auf etwas dickerem Papier plus eine Traycard, selten fehlen ja sogar Angaben wie Aufnahmedatum und -ort) und den BFT gab’s auch nur mit der CD (bedruckte Innenhüllen oder zusätzliche Einlegeblätter bei Enja-Alben würde mich sehr überraschend.
EDIT: Link zu „Perdido“ ergänzt.
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