Antwort auf: Enja Records

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gypsy-tail-wind
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Mal Waldron – Moods | Ich greife ein wenig vor … aber ich habe da eh wieder zwei Lücken: „John Scofield Live“ und „Chartreuse“ von Bob Degen, und ich lasse „Close Encounter“ vom Franco Ambrosetti Quintet mit Bennie Wallace heuer aus, habe ich beschlossen (ich hab die frühen Ambrosetti-Alben alle vor ein paar Jahren gekauft und auch gehört, Favoriten sind da keine dabei, „Tentet“ kommt vielleicht am ehesten in die Nähe). „Moods“ war das zweite Doppelalbum im Katalog, das erste waren Eric Dolphys „The Berlin Concerts“ – die historischen Aufnahmen lasse ich ja ebenfalls weg (kenne sie vergleichsweise eh besser als den restlichen Katalog, was ja keine Überraschung sein dürfte). „Moods“ also: eine LP mit Band, eine solo. In der Band sind mehrere neue Gesichter neben Steve Lacy (ss) und Makaya Ntshoko (d): Terumasa Hino (cor), Hermann Breuer (tb) und Cameron Brown (b). Und das geht mit dem langsamen „Minoat“ schon grossartig los – Hino glänzt, das Thema ist wunderbar, das Arrangement auch super, und Cameron Brown am Bass (sein zweiter Credit nach „Steam“? oder war er noch bei was dabei, was mir fehlt?). Dann Geht das Tempo hoch fürs Viertelstündige „A Case of Plus 4s“. Brown und Waldron riffen, Ntshoko scheppert, Hino spielt wieder das erste Solo, aber dieses Mal mit Punch. Er war am 6. Mai 1978 im Tonstudio Bauer in formidabler Spiellaune, das wird sofort klar – und er bringt gerade wie Cameron Brown etwas Frisches in die Band, das Schoof bei allem Respekt nicht zu bieten hatte, auch wenn Hino manchmal schon sehr nach dem Miles Davis der späten Sechziger klingen mag. Wie Ntshoko hier aufdreht, ist auch wieder grossartig – und die Vermutung liegt nahe, dass das auch mit dem personellen Wechsel von Jimmy Woode zu Cameron Brown zu tun haben könnte. Lacy folgt seinerseits mit einem Solo voller Haken und Wendungen, in der Zeit immer noch gerne mit erweiterten Spieltechniken und im Falsett unterwegs (auf „One-Upmanship“ geht er mal hoch bis an die Grenze des noch Hörbaren, aber stets kontrolliert, das ist schon schwer beeindruckend). Dann hören wir Breuer, auch er eine Bereicherung für die Band. Nach dem Leader kriegt dann auch Ntshoko endlich mal wieder ein Solo.

Die zweite Hälfte der Band-Platte besteht dann aus „Sieg Haile“ – 19 Minuten lang und damit sogar noch etwas länger als die Version auf dem ersten Enja-Album. Nicht ganz sieben Jahre sind seither vergangen und was das Label in der kurzen Zeit alles gemacht hat, ist wirklich beeindruckend. Lacy ist hier als erster dran und sein Solo sprengt schon ziemlich den Rahmen. Hino folgt und die Ntshoko verdichtet hinter ihm immer mehr – während Brown bei der Kippfigur aus dem Thema bleibt. Breuer übernimmt und muss ich echt nicht verstecken. Auf micht wirkt die Session total stimmig.

Mit der Solo-Hälfte ist es etwas schwieriger, denn meine CDs haben die wie schon erwähnt zwischen „Moods“ und „One-Upmanship“ aufgeteilt („Moods“ ist einiges über 80 Minuten lang, es hätte also einer Doppel-CD bedürft, was bei Enja auch ziemlich selten ist bzw. damals war, als all die Sachen neu aufgelegt wurden). „Soul Eyes“ ist auf beiden Ausgaben, aber für „Thoughtful“ und „Duquility“ muss ich die andere CD einlegen. Auch „Moods“ wurde völlig umprogrammiert, die vier hier exklusiven Solo-Stücke auch hier um die drei mit Band herum gruppiert, „Soul Eyes“ auf eins der vier am Ende folgend. Aber gut, ich muss nicht alles nochmal un nochmal kaufen, bloss um schlauere Ausgaben zu haben, erst recht nicht, nachdem ich die beiden CDs schon eine Ewigkeit habe (die „Moods“ kam 2006 heraus, von „One-Upmanship“ hab ich die 1998er-Ausgabe).

Los geht die Solo-Hälfte mit dem kurzen aber sehr schönen „Anxiety“, dann folgt „Thoughtful“ – und schnell wird klar, dass Waldron hier nochmal ganz andere Facetten zeigt als im Trio oder in der Combo. Die Musik klingt farbiger, reicher, auch wenn er sich seinen Grooves annähert vielschichtiger. Ein Highlight ist es auch, Waldron wieder mal in einem Standard zu hören: „I Thought About You“ in sehr langsamem Tempo. Die meisten Solo-Alben bis dahin kenne ich leider gar nicht, von einem oder zweien habe ich mal Kopien gezogen. Und das nächste auf Enja, „Mingus Lives“, fehlt mir leider auch noch. Es fehlen mir daher auch die Vergleichsmöglichkeiten, aber unabhängig davon finde ich diese Solo-Einspielung richtig gut – und zusammen mit der bis dahin vielleicht besten Combo-Session vom Post-Comeback-Waldron ist das Doppelalbum schon teil des erweiterten Favoritenkreises.

EDIT: Link zu „Chartreuse“ ergänzt.

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