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@gypsy-tail-windNa ja, ich kann schon verstehen, dass man dem ganz späten Hawkins keine guten Bewertungen mehr gibt … irgendwann Mitte der Sechziger scheint er seinen Lebensmut verloren zu haben und das kann man den Aufnahmen schon anhören. Wenn Du den Hawkins der Dreissiger bis Fünfziger, und ja, mindestens bis 1962, daneben hältst, ist es manchmal schwer, ihn auf den letzten Aufnahmen überhaupt noch wiederzuerkennen.
Aber klar, man kann das so halten, wie man mag: aus Verehrung für den Meister die Sachen milde beurteilen, oder mit derselben Begründung eine gewisse Härte walten lassen (Respekt gebietet Ehrlichkeit) … ähnlich bei Lester Young, wo wir die Diskussion (mit friedrich) hier neulich ja auch hatten. Und bei Ben Webster könnte man ebenfalls so argumentieren. Betroffen sind aber – das will ich v.a. wegen dem unhaltbaren Mythos, Young sei nach der Army nie mehr gut gewesen – immer nur die letzten 1-3 Jahre oder so.
Mir war, ich glaube beim Album Pres & Sweets von 1955 aufgefallen, dass Lester Young offenbar nicht in Form ist und wie ein verschwommener Schatten seiner selbst wirkt. Ich vermute, da hatte er entweder zu wenig oder zu viel Alkohol im Blut. Umgekehrt wird das Album aber z.b. bei allmusic mit ****1/2 Sternen hoch gelobt. Ich habe den Verdacht, dass das eine unreflektierte Heldenverehrung ist, von der man sich auch mal mitreißen lassen kann – vor allem wenn diese Verehrung allgemeine Verbreitung gefunden hat. Wer will da schon als erster rufen „Der Kaiser – bzw. der President – ist nackt!“
Aber das heißt nicht, dass Pres nach der Army überhaupt keine gute Aufnahmen mehr gemacht hat. Im Gegenteil. Lester Young with Oscar Peterson (1952) und Pres And Teddy (1956) sind brillant! Ein Coleman Hawkins-Album von 1963 (Today & Now) hatte ich hier kürzlich lobend erwähnt und Ben Websters Alben der 60er sind meist gut bis sehr gut. Das For The Guv’nor-Album (von 1969 ! ), das mir vor einer Weile mal als Vinyl in die Hände fiel, mag kein innovatives Meisterwerk sein. Das ist auch nicht zu erwarten. Aber es ist eine mehr als solide Platte, die man mit Freude hören kann.
Solche Pauschalurteile wie „Lester-Young-ist-nach-der-Army-nie-mehr-gut-gewesen“ sollte man mit Vorsicht betrachten.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)