Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Bin nach der Frage von @kurganrs (SAM-Reissue vom Album mit der Danish Radio Jazz Group) mal kurz zu Sahib Shihab abgebogen, umgekehrt chronologisch drei Alben, von denen ich abgesehen vom obersten nur Behelfsversionen habe. In chronologischer Reihenfolge gibt es einen lebendigen Live-Mitschnitt aus dem Jazzhus Montmartre vom 3. Oktober 1963 („Conversations“, die CD enthält zwei lange Bonustracks, aber die LP war wohl auch schon um die 50 Minuten lang). Wir kriegen hier ein ziemlich gutes Quintett und vermutlich keine feste Formation war. Allen Botschinsky spielt eine boppige Trompete, Ole Molin an der Gitarre sorgt für den recht besonderen Sound, NHOP am Bass und Alex Riel für den richtigen Beat. Das hat viel von der Musik von Miles Davis (der erste Bonustrack – #2 und #3 auf der CD – ist „Billy Boy“, das Stück, das Davis Red Garland, Paul Chambers und Philly Joe Jones als zweites Jamal-Trio-Feature einspielen liess), das hat auch mit Riel zu tun, der von Philly Joe mehr denn inspiriert scheint, mit den Two-Beat Bass-Begleitungen da und dort. Eine solide Blowing-Session würde ich sagen, die mich aber echt nicht umhaut.

Dann im August 1965 zwei Sessions mit der Radiojazzgruppen, die es gemäss einem Wiki-„stub“ erst ab 1967 gab, gemäss den Liner Notes des jüngsten dänischen CD-Reissues aber seit Oktober 1961, als eine monatliche Live-Jazz-Sendung eingeführt worden sei, und seit Herbst 1964 auf zwölf Köpfe angewachsen. Shihab, der im Herbst 1962 erstmals in Kopenhagen war, mochte die Stadt, entschied zu bleiben und gehörte ab Januar 1963 zur Radiojazzgruppen … ein paar bekannte Namen sind dabei, von denen v.a. Bent Jaedig am Tenorsax auch etwas Platz kriegt, auch Palle Mikkelborg ist bekannt, und die „Conversations“-Gruppe ist fast komplett auch wieder dabei (mit Fritz von Bülow an der Gitarre und diesmal auch mit Klavier, gespielt von Bent Axen). Bei der ersten Session wirken neben Shihab zehn bzw. elf Musiker mit, bei der zweiten sind es dreizehn. Das hat was von progressivem Cool, durchaus moderner als er zehn Jahre früher gespielt worden wäre, und auch so, wie er 1965 in vielen Radiostudios in Europa von Pick-Up-Bands, gerne mit ein paar US-Gästen, gespielt wurde: raffinierte Arrangements eigener Stücke (hier alles comp./arr. Shihab), kurz gehaltene Soli, alles etwas brav und etwas zu knapp. Von den vier Stücken sind sechs seit dem Storyville-Reissue von „Sentiments“ aus dem Jahr 2005 Teil davon geworden – es fehlt je ein Stück pro Session, und der Bonustrack (der bei SAM mit dabei ist) fehlt auch, eine harmlose Gesangsnummer von Shihab, „Little French Girl“, zweieinhalb Minuten kurz. Mir ist das glaub ich etwas zu nett – und die schöne dunkle Atmosphäre vom Montmartre-Gig fehlt halt auch.

Dass Shihab mehr drauf hatte konnte er in den Jahren mit der Clarke/Boland Band regelmässig zeigen. Das Sopransax war längst sein wichtigstes Instrument geworden, als er im März 1971 in Kopenhagen „Sentiments“ einspielte, mit Kenny Drew, NHOP und Jimmy Hopps. Hier wirkt alles moderner, freier als erwartet – was mit Shihab aber auch mit Hopps zu tun hat. Auf der einstigen A-Seite gibt es drei hervorragende Stücke mit dem Leader am Sopransax – das hat oft einen freien Groove, der mich ein wenig an Rahsaan Roland Kirk erinnert … da spielt halt keine Hard-Bop-Band mehr, das klingt alles offener. Die B-Seite beginnt dann mit einer kleinen Entgleisung, dem Titelstück, in dem Jazz und Beatmusik (wie Shihab es nennt) verbunden werden sollten. Drew wechselt dafür an die Orgel, Pedersen krallt sich einen Fender-Bass – und das alles klingt heute höchst altmodisch und behäbig. „An idea which we did not pursue“ ist die Phrase, mit der Shihab in seinen Liner Notes die Beschreibung des Stücks öffnet, und da scheint ja schon fast durch, dass er die Idee auch nicht gut fand – Shihab schreibt noch: „The high point of the piece is the drumming of Jimmy Hopps. Versatile.“ Danach bleibt das Sopransax liegen. Es folgen zwei Stücke am Barisax (darunter die wundervolle Drew-Ballade „Exstase“) und zum Ausklang eins an der Altflöte. Und das ist nun von den dreien das wirklich tolle Album – und für meine Ohren vielleicht das beste von Shihab überhaupt?

„Jazz Sahib“ (Savoy, 1957) und die Sachen aus dem Clarke/Boland-Umfeld finde ich glaub ich allesamt stärker als die dänischen Sachen aus den Sechzigern (also „Summer Dawn“ von 1963, „Seeds“ von 1968 und einige Sessions, die u.a. auf der Rearward-CD „Companionship“ zu finden sind). Das Futura-Albummit Jef Gilson von 1972 („Le Marche dans le désert“) hat sich mir noch nicht so recht erschliessen wollen, da ist auch bald wieder mal ein Anlauf angesagt.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba