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Les McCann – Never A Dull Moment! Live from Coast to Coast 1966-1967 | Das dritte Set auf dem Stapel – Wes Montgomery mit dem Wynton Kelly Trio hab ich bisher nur im Hörfaden kurz kommentiert – ist das von Les McCann. Hier habe ich formal ein paar Fragen: die Sets stammen wieder von King FM (wo Jim Wilke eine wöchentliche Sendung veranstaltete), auf dem Rückcover der CD ist CD 1 (hier entsprechen sich CDs und LPs, jeweils drei Stück) in zwei Sets eingeteilt, aber beide sind auf den 27. Januar 1966 datiert … entweder wurde damals also deutlich mehr gesendet, als dass auf (fast?) allen bisherigen Penthouse-Veröffentlichungen zu hören ist (wo jeweils so 25minütige Sets zu finden sind, siehe die drei Volumen „Emerald City Nights“ von Ahmad Jamal oder Tjader oben), oder hier stimmt was mit der Datierung nicht. Dass zudem #5, „The Shampoo“, durch die kurze Voiceover-Ansage als Set-Closer erkennbar ist, aber am Anfang von LP-Seite B bzw. dem zweiten Set vom 27.1. gemäss Cover, steht, ist wiederum seltsam: wurden die Sets auch noch umgestellt? Auf CD/LP 2 geht es am 3. und 10. Februar 1966 weiter, aber dieses Mal (wie schon bei manchen Jamal-Sets) nur mit ca. 15 Minuten (vielleicht spielte Wilke auch noch Musik ab Platte? er ist zum Beitragen von Liner Notes eingeladen worden, aber äussert sich dazu nicht weiter) … und auch etwas nervig für CD-Käufer: LP 2 musste mit einem Bonustrack gepimpt werden, eine knapp 8minütige Version von „(Back Home Again in) Indiana“ von 1963. Wenn man die bei der CD-Ausgabe verschoben hätte, hätten LPs 1 und 2 – also das ganze Penthouse Material von 1966 – auf einer CD Platz gehabt. Klar, LP/CD 3 stammt vom Village Vanguard 1967, aber ey, es ist ein „Bonustrack“!
A. Scott Galloway übernimmt die Track-by-Track Liner Notes, Pat Thomas den biographischen Abris und Stilkommentar (Abrams hat u.a. Reissues für Water produziert und war auch bei der Buchveröffentlichung von McCanns Fotos involviert, die den Altumtitel „Invitation to Openness“ ausborgte – eins der Alben, die Thomas bei Water auf CD wieder auflegte). Neben den üblichen Einleitungen (Zev Feldman, Manager Alan Abrahams, Message from Les McCann) und den beiden eigentlichen Liner-Notes-Texten folgen Testimonials von Joe Alterman (ein Pianist, dessen Name ich noch nie gehört habe), Roger Kellaway, Monty Alexander („Les McCann comes from the raw earth, the good earth. Nobody trained him to be a copy of somebody else. The guys who we grew up looking up to are their own person. Wherever you go, you better pick your own person.“), Emmet Cohen (den Namen habe ich schon aufgeschnappt, aber mehr auch nicht) und dann zum Abschluss „Thoughts from Some of Les’s Friends“, kurze Statements von Nathan East (von da kommt „never a dull moment“, der Albumtitel), Quincy Jones, Bonnie Raitt („one of the funkiest guys I’d ever heard. Like Ray Charles, Les was a bridge between so many musical styles – melding his funky blues/gospel jazz piano with that Latin syncopation undercurrent – great songs, great bands, that wonderful raspy voice and irrepressible groove.“), Bobby Lyle („he could be brutally honest or totally hilarious depending on the situation“) und Roberta Flack („Les heard deeply what I was saying and his recommendation of me to Atlantic Records was a pivotal moment in my career. He is a giant in my world of music – a limitless creator, inspiration an friend.“ – sie kriegt auch ein Foto, quasi als Quotenfrau, sonst beschränken sich die Fotos auf McCann und seine hier zu hörenden Sidemen).
Nunja, egal, die Musik ist natürlich toll! Der Klang der Penthouse-Aufnahmen ist allerdings eine Spur dumpfer, weniger perfekt ausgesteuert als bei der echt brilliant klingenden Tjader-Veröffentlichung. Neben Originals gibt es Bebop („Blue ’n‘ Boogie“), Operette („Yours Is My Heart Alone“), TV („This Could Be the Start of Something Big“) und ein paar alte Klassiker („There Will Never Be Another You“, das schon erwähnte „Indiana“). Stanley Gilbert spielt einen beweglichen Bass, Paul Humphrey sorgt für den passenden Beat, relativ schwer und doch ziemlich leicht wirkend. Das rollt alles super dahin, die Balance aus Wucht und Leichtigkeit erinnert mich phasenweise an Ray Bryant und auch an Ahmad Jamal. Am 10. Februar 1966, also auf den letzten beiden Penthouse-Stücken vor dem Bonustrack, übernimmt Tony Bazley am Schlagzeug (dass im CD-Booklet 1996 statt 1966 steht, spricht erneut nicht für gutes Qualitätsmanagement – drum auch die ganzen Fragezeichen oben). Auf dem Bonustrack „Indiana“ von 1963 ist McCann dann mit Victor Gaskin am Bass und Bazley zu hören – „I Left My Heart in Indiana“ nennt Galloway ihn in seinen Liner Notes in dem Satz, den er dem Track ohne weitere Infos (okay: „wistful“ und „playful swing“) widmet – nach dem sehr schönen, sehr langsamen „There Will Never Be Another You“ folgt „Indiana“ in einer ordentlich zickigen Version à la Garland mit Two-Beat-Bass und crispy Becken (klanglich besser als die 1966er-Aufnahmen … ob’s von da noch mehr gibt?). Ob das wieder die fehlende Korrektur-Runde war oder eine Anspielung auf San Francisco sein soll, müssten er oder der Jazzdetektiv uns erklären. Zu den Highlights gehören unter anderem die beiden Originals „Wait for It“ und „Lavande“, ersteres eine dunkel soulige Groove-Nummer, letzteres eine Art mittelschnelle Walking-Ballade mit einem glänzenden Stanley Gilbert (der auch auf der letzten Session im Tjader-Set sehr gut ist).
Für CD 2 geht es dann nach New York ins Village Vanguard, 16. Juli 1967, ca. 50 Minuten mit Leroy Vinnegar (b) und Frank Severino (d). Der Sound ist sehr anders, entfernter, der Bass ebenfalls etwas zu dumpf, das Klavier aber etwas besser eingefangen – und von McCanns Vokalisen beim Spielen kriegt man auch mehr mit. Die Aufnahme hier hat George Klabin gemacht, der Gründer von Resonance, „using a portable Crown 2-track tape recorder with an Ampex mixing console and mixed on-the-fly as the performance was happening“. Los geht es hier mit dem alten Klassiker „Love for Sale“, Porter hören wir dann mit „I Am in Love“ (inkl. Ausflug zu „Who Can I Turn To“) nochmal, sonst gibt es dreimal McCann („The Shampoo“ ist in Seattle in ausgereifter Länge, hier nur als kurzer Set-Closer dabei), einmal Vinnegar („Doin‘ That Thing“) und auch zwei mehr oder weniger aktuelle Pop-Songs, „Goin‘ Out of My Head“ und eine superlangsame, wahnsinnig tolle Version von „Sunny“. Zu den weiteren Highlights gehört auf jeden Fall „Doin‘ the Thing“ mit einem rollenden Rumpelgroove von Severino und Vinnegars Bass-Ostinato – irre Dynamik hier, plötzlich ein Pianissimo, ein langes „Wade in the Water“-Zitat, gegen Ende der fast neun Minuten für einmal gezielte Vokalisen von McCann.
Erstes Fazit: Wie erhofft bzw. erwartet sehr tolle Musik, auch in überaus ansprechender Qualität – aber in mancher Hinsicht neben der vorbildlichen Tjader-Ausgabe (ist Feldman in der Hinsicht vielleicht dann am besten, wenn er was bringt, was nicht hundert andere schon gemacht haben? ich denke neben Tjader an Monty Alexander aus dem Bubba’s) schon etwas irritierend: lieblos mag ich nicht grad sagen, aber die fehlende Korrekturlektüre, die zur Unsicherheit führt, ob CD/LP 1 wirklich vollständig vom 27. Januar 1966 stammt … die Frage, ob von 1963 mehr zu hören wäre/ist … wird ja aller Voraussicht nach die einzige McCann-Veröffentlichung aus diesem Dunstkreis bleiben (gehört Elemental da eigentlich noch dazu oder haben die sich von Feldman emanzipiert? Bei Reel to Real gab’s ja auch noch was aus dem Penthouse, auch da war Feldman mit an Bord), daher sind solche Fragen schon relevant … und das Booklet ist bei Tjader definitiv auch besser … klar ist McCann ein phantastischer Musiker, bei dem vieles über die Soul-Schiene läuft, die Musik in den Bauch und nicht in den Kopf geht, aber dann halt sieben Leute anstellen, die das schreiben, was man eigentlich mit dem flapsigen Bonnie Raitt-Zitat oben hätte sagen können, ist jetzt auch nicht super befriedigend. Es kommt schon was zusammen, aber die Informationsdichte ist wesentlich dürftiger als bei Tjader (und es ist jetzt echt nicht so, dass ich über McCann wesentlich mehr wüsste – das ist nur grad die Frage, die ich mir bei Alexander stelle, denn über den weiss ich gar nichts und fand vielleicht drum bei dessen Resonance-Set das Booklet auch nochmal etwas besser?).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba