Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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yaiza

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Zu Stefan Litwin habe ich mir zwei gebrauchte CDs (Schubert/Schönberg und Pièces de résistance) und die Veröffentlichung von 2022 „Programs Vol. 7 – Kinderszenen“ gekauft.  Mit dieser habe ich auch angefangen. Es gibt wieder sehr viel neues zu entdecken. Diesmal die Fantasiestücke op. 12 von Robert Schumann. Danach schließen sich die Kinderszenen op. 15 an. Zu den Fantasiestücken habe ich keinen Vergleich, aber bei den Kinderszenen fällt gleich auf, dass Litwin schneller ans Werk geht. Das Booklet hatte ich  beim Ersthören noch nicht zur Hand genommen, da ich Litwins „Kinderszenen (2018) – für 8 Spieler und Sampler“, gespielt vom Ensemble Ascolta, ohne Beschreibung hören wollte. Es geht direkt mit einem Sample (Regen) los und die Instrumente mischen sich mit weiteren Samples (Straßenlärm, Kinder) und lateinamerikanischen Rhythmen… immer wieder scheint eine sehr eingängige Melodie auf… zur Mitte hin wirkt alles sehr bedrohlich, evtl. sind auch Schüsse zu hören, auf jeden Fall Sirenen. Bisher machte ich mir noch nicht soviele Gedanken zum Einbinden von Samples (live hörte ich mal bei einem Orchester aus Singapur eingespielte Geräusche vom Ausbruch des Krakataus) – jedenfalls unterstützen diese Samples beim Hören sehr. Auch hier bei Litwin. Im Booklet geht er näher auf alles ein. In seiner Komposition lehnt er sich an die Kinderszenen, aber auch an ausgewählte Fantasiestücke an. Die Melodie, die immer wieder aufscheint, gehört z.B. zum 3. Stück „Warum?“, „Des Abends“ (1) und „Traumes Wirren“ (7) sind auch dabei. Die bedrohliche Stimmung kommt wahrscheinlich von „In der Nacht“ (5) oder auch vom Kinderszenen-Haschemann. Er erwähnt, dass er „Die Füße nach oben“ von Eduardo Galeano las, als er sich mal wieder näher mit opp. 12 u. 15 auseinandersetzte. So entstand seine Idee, die Kinderszenen-Thematik aufzugreifen und der heilen Kinderwelt im Rückblick bei Schumann die Grausamkeiten, denen Kinder in Slums ausgeliefert sind, entgegenzusetzen. Im Booklet gibt es nach der Litwin-Einführung noch ein langes Gespräch mit Christoph Keller (Pianist und Publizist) zu lesen. Beide gehen hier auch auf Tempi bei den Kinderszenen-Stücken, Eingriffen Clara Schumanns, die Aufführungspraxis (Verschleppung, „Kitsch“) und Rezeption ein. C.K. „Ich meine deshalb, dass eine korrekte Wiedergabe den an falsche Tempi gewöhnten Hörer durchaus irritieren wird“ … Zum Schluss gehen sie noch auf informierte und nicht informierte Zuhörer ein. Zuhörer, die opp. 12 und 15 kennen, werden schnell Bezüge in Litwins „Kinderszenen für 8 Instrumente und Sampler“ (2018) erkennen. Sie haben erstmal mehr vom Hören. Er wollte auch, dass Zitate und Anspielungen deutlich zu erkennen sind und „ihre Aura durchscheint. Denn die gilt es ja zu brechen“.  Als Komponist sucht er „eine neue Verortung und damit ein Weiterdenken und die Erschließung neuer Aspekte und Bezugsebenen“. Er deutet z.B. auch Titel um. Aus „Bittendes Kind“ wird das „Bettelnde Kind“. Das könnte er nur durch einen Begleittext erklären. Daher die Samples. Litwin: „Ich denke, solche kurz aufblitzenden Geräusche machen schnell klar, worum es hier geht, ohne, dass die Effekte gleich dominieren“.

Ich gehöre ja auf jeden Fall auch zu denen, die das erst rückwirkend deuten können, aber das macht es nicht weniger spannend. Ich weiß gar nicht, ob hier abgesehen von einer Schumann Complete-Box noch weitere Aufn. der Fantasiestücke op. 12 herumschwirren. Ich verband den Titel eher mit den späteren op. 73 (Klarinette od. Cello und Klavier) oder die für Klaviertrio op. 88.

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