Antwort auf: Don Byas (1912-1972)

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friedrich

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Einen hab ich noch!

Don Byas – Anthropology (Aufnahme, 1963, veröffentlicht 1972)

Eine relativ späte Live-Aufnahme aus dem Montmartre Jazzhuis in Kopenhagen mit Bent Axen (p), Niels-Henning Örsted Pedersen (b) und William Schiöpffe (dr). Don Byas neigt in den 60ern deutlich mehr zu Bop als er es in den 50ern tat, als er sich mehr auf geschmeidigen Swing verlegte und vor allem Balladen seine Spezialität waren. Anthropology ähnelt also eher seinem Album mit Bud Powell, A Tribute To Cannonball von 1966. Fünf längere Stücke, darunter das Titelstück und gut 10:30 Minuten A Night In Tunesia. Wenn man so will, hat er in den 50ern Musik gespielt, die ihre Ursprünge in den 30ern hat, in den 60ern hat er Musk gespielt, die aus den 40ern kommt.

In den liner notes steht, dass Don Byas sich darüber beklagte, sein Beitrag zur Entwicklung des Bebop sei nicht gebührend gewürdigt worden und vielleicht wolle er hier noch mal zeigen, was er kann. Byas’ Spiel wird hier auch mit Rollins und Coltrane verglichen – wobei Byas wohl behaupten würde, nicht Rollins und Coltrane hätten ihn beeinflusst, sondern umgekehrt er Rollins und Coltrane – wie er ja auch Parker beeinflusst habe. Don Byas hatte offenbar ein entweder sehr schwaches oder sehr starkes Selbstwertgefühl – in jedem Fall fühlte er sich aber in der Jazzgeschichtsschreibung unterrepräsentiert. Da mag sogar was dran sein, da er durch seinen Umzug nach Europa Mitte der 40er in den USA fast in Vergessenheit geriet.

Wie auch immer, das Album geht ganz schön ab. Rasante Rhythmen, halsbrecherische Soli. Ist bestimmt toll gewesen, das live mitzuerleben. Auf Tonträger auf dem heimischen Sofa gehört, entfaltet das in meinen Ohren aber nicht die gleiche Wirkung. Und vor allem: Das ist sicher eine tolle Bop-Platte, aber gerade das, was ich an Byas besonders schätze und eigentlich auch als typisch mit ihm verbinde, hört man hier leider nicht: Die gefühlvollen Balladen, bei denen mir das Herz schmilzt. Und ich hätte Don Byas hier auch nicht an seinem individuellem Ton erkannt, der viel härter und schärfer ist als auf älteren Aufnahmen.

Interessantes Dokument, für Bop-Fans sicher attraktiv, eigentlich auch ein schöner Mosaikstein in Don Byas’ Oeuvre, der ja über den Verlauf seiner Karriere stilistisch sehr breit aufgestellt war. Das Album zeigt wohl einfach eine Seite von ihm, die mich nicht so sehr interessiert.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)