Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

#12127581  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,343

Youtube fressen Seele auf @clasjaz

„Tár“ auch – vorhin im Kino gesehen, geplant war danach ein Gespräch mit der Cutterin, aber die musste aus gesundheitlichen Gründen absagen … es gab dann ein Publikumsgespräch, was irgendwie nervtötend und dann eben doch ganz anregend war, weil am Ende einiges zusammenkam, auch wenn das eine ordentliche Syntheseleistung benötigte (was eigentlich gerne die Journalistin, die das Gespräch leitete, hätte übernehmen dürfen, aber damit hätte sie vielleicht wieder das „frei von der Leber weg kommentieren“ aus dem Saal gekappt, wer weiss …)

Jetzt nochmal etwas Gitlis zur Nacht:

Diese achte CD ist dann die letzte mit Live-Aufnahmen (auf CD 9 gibt es frühe Studio-Aufnahmen) und die stammen alle vom Progetto Argerich in Lugano. Mit dieser am Klavier und der „Kreutzer“ von 2003 geht es los, dann folgen Bartóks erste Rhapsodie mit Akane Sakai (2004), Mozarts Sonate KV 301 mit Argerich (2006) und zuletzt ein Programmpunkt mit der Überschrift „Improvisations around ‚Porgy and Bess'“, bei dem neben Stücken aus Gershwins Oper („It Ain’t Necessarily So“, „Summertime“, „The Man I Love“, „Bess You Is My Woman Now“ und das Finale) auch Cole Porter („Night and Day“) und Harold Arlen („Over the Rainbow“) erklingen – mit Cyril Barbessol am Klavier (2010).

Ich lese gerade im Booklet die Biographie nach: die Eltern waren 1921 aus Russland bzw. der heutigen Ukraine nach Haifa ausgewandert, Isaac Gitelis kam am 25. August 1922 zu Welt. Zu seinen ersten Lehrer*innen gehörte Mira Ben-Ami, eine Schülerin von Szigeti, die ihn mit acht zu Huberman schickte, was 1933 zum Umzug nach Paris führte (die Mutter begleitete ihn). Er erhielt dort dann auch Unterricht von Marcel Chailley, dem Ehemann der Pianistin Céliny Chailley-Richez – die ersten zwei Stücke auf der neunten CD der Box stammen von dieser Schule, 1937 aufgenommen und auf einer 78er-Platte des Labels Lumen veröffentlicht. Beim Eintritt ins Pariser Konservatorium war Gitlis elf, er kam in die Klasse von Jules Boucherit, schloss 1935 ab. Via die Chailleys kam er auch mit Georges Enescu und Jacques Thibaud in Kontakt, die ebenso wie Carl Flesch 1938-40 unter seinen Lehrern waren – Flesch in Spa und dann in London, wo Gitlis in den Kriegsjahren zwei Jahre in einer Fabrik arbeitete, bevor er zum „artists branch“ der Army stiess und Konzerte für die Alliierten Soldaten gab – und seinen Namen in Ivry änderte. Nach em Krieg konzertierte er mit allen grossen Orchestern Englands und 1950 nahm er in Wiens seine erste Aufnahme als Solist auf: das Konzert Nr. 1 von Paganini (arr. Wilhelmj) mit den „Austrian Symphony Orchestra“ (wie das Label, Remington, das Tonkünstler Orchester gerne nannte) unter Kurt Wöss.

1951 nahm er am Long-Thibaud-Wettbewerb teil, wo er den fünften Platz belegte – und Gerüchte, dass er im Krieg eine Stradivari gestohlen habe, für Aufregung sorgten. Im selben Jahr debütierte er in Paris in einem Rezital in der Salle Gaveau, zog dann in die USA, wo er u.a. mit Ormandy in Philadelphia und mit Szell in New York konzertierte. Zurück in Europa folgten in Wien ab 1954 diverse Einspielungen v.a. für Vox, von denen das Kammerkonzert von Berg (Pro Musica/Wiener Symphoniker unter Harold Byrns, 1954) und Stravinskys Duo concertant (1955 mit Charlotte Lois Zelka) auch noch auf der letzten CD der Box zu finden sind (einige weitere dieser Aufnahmen liegen mir auf einem 3-CD-Set von Brilliant vor, erwähnenswert vielleicht, dass bei ein paar davon Jascha Horenstein dirigiert). 1963 trat er als erster israelischer Geiter in der Sowjetunion auf und spielte auf Einladung von Giancarlo Menotti in Spoleto. 1968 wirkte Gitlis dann beim „Rock and Roll Circus“ der Rolling Stones mit (er trat mit Yoko Ono und The Dirty Mac auf).

Widmungen gab es von Leibowitz (das Violinkonzert, 1958), Haubenstock-Ramati (Séquences, 1958), Maderna (Pièce for Ivry, 1971) oder Xenakis (Mykka(s), 1972 uraufgeführt), Leonard Bernstein liess sich von Gitlis zur „Rhapsodie Israélienne“ und der „Romantic Suite“ inspirieren.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba