Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

#12100617  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
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Ich habe gestern die tolle Doku über die Dirigentin Antonia Brico gesehen, „Antonia: Portrait of the Woman“ (1974) – Co-Regie von Judy Collins, die einst Klavierschülerin von Brico war, und Jill Godmilow (sie hat den Schnitt gemacht, Collins auch produziert). Klasse! Scheint auch vom Filmischen her einigermassen bedeutsam zu sein (z.B. durch den – ersten? – Einbezug von Animation in einen Dokumentarfilm … vielleicht kann @vorgarten dazu etwas sagen? Ich hab nur oberflächliches angelesenes Minimalwissen).

Frustrierende Geschichte jedenfalls, denn die immerhin erste Frau, die die Berliner Philharmoniker dirigierte, die Met und die Carnegie Hall ausverkaufte, kann zum Zeitpunkt des Drehs vier, fünf Konzerte pro Jahr dirigieren, möchte aber so viele pro Monat geben. Immer wieder wurde sie ausgebremst, musste enormen Aufwand betreiben, um gehört zu werden. Z.B. versprach Rubinstein mal, vorbeizuschauen, wenn sie am gleichen Ort wie er spielen würde. Sie verfolgte seinen Kalender, organisierte passend eine Probe (in der Town Hall, glaub ich) mit einem extra angeheuerten 60köpfigen Orchester … fuhr, nachdem Rubinstein sie ein paar Tage davor am Telefon abgewimmelt hatte (er könne nichts versprechen) am Vorabend zu seinem ausverkauften Konzert nach Philadelphia, wo sie es irgendwie in den Backstage-Bereich schaffte, wo er von Verehr*innen umringt Autogramme gab. Sie stand nur da und starrte ihn an (ein furchterregender Blick, das wird auch im Film schnell klar) – und da habe er gesagt, er komme am nächsten Tag und sie solle doch auch noch Bruno Walter anrufen, der dann auch dabei war. Wirklich Türen geöffnet scheint das aber kaum zu haben. Sie wurde allerdings Sibelius empfohlen, trat dann in Finnland auf, wo er sie auch hörte (auch mit einer seiner Symphonien), Boult setzte durch, dass sie eins der Londoner Orchester dirigieren konnte … an Talent scheint es jedenfalls nicht gemangelt zu haben.

Einziger Kritikpunkt: die oberflächlichen Credits, in denen keine Namen von gespielten (geprobten) Werken angegeben werden (Dvoráks Siebte ist glaub ich dabei, da probt Brico mit einem Laienorchester in … Denver? Jedenfalls wird das einer der 4-5 Auftritte im betreffenden Jahr gewesen sein), und nicht einmal die Namen der Orchester und Solist*innen, die im Film auftreten. Eine junge Pianistin probt mit Brico bei dieser zuhause (wo auch sonst immer wieder gefilmt wurde) das Klavierkonzert von Schumann (glaub ich) und wird dann auch bei einem Auftritt gefilmt (noch eins der 4-5 Konzerte, das dann aber professionell, wo und mit welchem Orchester wird natürlich auch nicht erwähnt).

Es gibt dann eine wunderbare Szene gegen Schluss, als Brico sich, angesäuselt nach einem wohl ausgiebigen Abendessen (u.a. mit Collins, die stets mit am Tisch sitzt und hie und da ins Bild kommt, sie ist die Stichwortgeberin, die den Film vorantreibt) an ihren Flügel und jazzt ein bisschen herum … spielt und singt „After You’ve Gone“ und dann noch einen Song, den ich nicht erkannt habe. „After You’ve Gone“ ist natürlich eine klare Botschaft in dem Zusammenhang … ich musste mir da jedenfalls eine Träne verdrücken … muss da noch etwas weiter recherchieren, aber jetzt muss ich dringend los!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba