Antwort auf: Ich höre gerade … Blues!

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zoji

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Beiträge: 7,283

soulpopeGood morning @ „zoji“, Dank für Feedback und Gedanken …. auch wenn dies nicht immer möglich ist versuche ich das Leben und die musikalischen Meriten von Künstlern zu trennen …. desweiteren ist die Geschichte von Tina Turner synonym mit der vor IHR dargestellten Geschichte, was ja zu Glorifizierung von ihr und einer de facto „ewigen Damnis“ von Ike Turner führte …. ich war – wie die meisten von uns – nicht „dabei“ und so umgibt die Jahre 1965 – 1976 infomässig ein dichter Nebel, da ja Ike Turner (soweit mir bekannt) nie Stellung genommen hat/nehmen konnte …. musikalisch war sie erfolgreich als bessere Hälfte von „Ike & Tina Turner“, lieferte danach vier eher bedeutungslose Alben ab und wäre wohl abgetaucht wenn …. sich nicht ein „product manager“ von Capitol Records namens John Carter für ihre Neuaufstellung als „crossover artist“ starkgemacht hätte …. der Rest ist Geschichte ….

Moin Soulpope

Wollte noch ein paar Dinge nachlesen, bevor ich antworte. Dennoch zugegeben in erster Linie auf Basis von deutsch- und englischsprachigen Wiki-Artikeln und ein paar weiteren Internetquellen, deren Seriösität ich jetzt nicht bis ins kleinste eruiert habe.

Ich hatte bei mehreren Deiner Beiträge zum Tode Turners das Gefühl, dass Du sehr dezent vermitteln möchtest, dass Ike als Komponist, Arrangeur, Produzent, Instrumentalist und whatever der künstlerische Spiritus Rector und das eigentliche musikalische Genie in der Beziehung der beiden war. Sofern ich Dich richtig verstehe: da würde ich mitgehen. Darüber hinaus würde ich auch sagen, dass er als ihr Entdecker und bereits arrivierter Künstler für ihre Karriere wichtiger war, als umgekehrt. Trotzdem würde ich das nicht als Einbahnstraße betrachten, für den dann einsetzenden Popularitätsschub beider ist für mein Verständnis ihr Gesang, ihr Charisma, ihre Stage Persona nicht zu überschätzen. Unterm Strich haben meiner Meinung nach beide voneinander profitiert. Eine Gewichtung wäre für mich nicht seriös zu beziffern. Möglich das einer oder aber auch beide ohne den jeweils anderen auf dem Chitlin´ Circuit als durchschnittlich bekannte Musiker hängen geblieben wäre/n, aber da käme man ja über Spekulationen nicht hinaus.

Zum privaten Komplex: Ich kann meine persönliche Anwesenheit nicht zur Grundvoraussetzung meiner Meinungsbildung machen, dann bliebe ja nicht viel übrig, worüber ich mir ein Urteil bilden könnte. Wenn ich es richtig verstanden habe waren die Misshandlungen zwar Gegenstand des Scheidungsverfahrens, er wurde aber wohl nie wegen Körperverletzung juristisch belangt. Rechtlich ist das natürlich irrelevant, aber ich persönlich werte es quasi als Schuldeingeständnis, wenn eine öffentliche Person, deren Ruf durch schwere Anschuldigungen beschädigt wird und dessen Karriere dadurch bedroht ist, dazu schweigt und sich nicht verteidigt, zumal wenn nicht von dritter Seite entlastende Stimmen laut werden. Mir würde das bereits reichen. Tatsächlich hat er aber wohl sogar in einer Biographie zugegeben, sie geschlagen zu haben – und es im selben Atemzug relativiert, was es für mich schlimmer macht. Damit ist er für mich schuldig.

Im übrigen muss für mich beides möglich sein, ihn als musikalisches Genie einerseits, und erwiesenermaßen wenigstens partielles Arschloch andererseits zu bezeichnen. Die Benennung des einen verharmlost nicht seine Schuld, die des anderen mindert nicht seine künstlerischen Verdienste.

Trotz aller Vorwürfe erhielt er noch reichlich Ehrungen und Auszeichnungen, diverse Grammys, diverse Hall Of Fames. Ich vermute, es gab eine temporäre Verdammnis, für die ewige wäre da aber noch eine Menge Luft gewesen. Das nebenan von Dir selbst vorgestellte und wie ich auch finde tatsächlich sehr gute His Woman, Her Man spiegelt das für mich auch im kleinen wieder. Kenne natürlich die genauen Hintergründe nicht, aber ich finde die Inszenierung, Untertitel The Ike Turner Diaries, keine namentliche Nennung von Tina, Coverfoto von Ike alleine, Tina auf dem Backcover weit im Hintergrund, schon erstaunlich. Mehr Rehabilitation geht ja kaum.

Ob ich mir schon einmal Gedanken über die Trennung in der Rezeption von Kunst und Leben eines Acts gemacht habe weiß ich gar nicht. Mein erster Gedanke, als ich das bei Dir las war, dass die Kunst ja das Leben des Künstlers spiegelt, aber vielleicht ist das auch zu kurz gesprungen. In Bezug auf das, was ich neulich bezüglich Tina schrieb fühle ich mich aber eher bestätigt. Als ich für diesen Beitrag recherchierte erfuhr ich, dass sie als Kind wenigstens zeitweise Baumwolle gepflückt hat, um zum Lebensunterhalt beizutragen. Ich habe mich dann gefragt, ob es wohl eine andere Person gibt, die tatsächlich noch die traditionellste, fast klischeehafte Sklaventätigkeit ausgeübt hat (schon klar, nicht als Sklavin, als Kind wohl auch nicht einmal als Sharecropper) und die auch nur annähernd so viele Alben verkauft hat oder auf anderen Feldern ähnlich erfolgreich und populär wurde wie sie. Selbst wenn sie nur die Nummer zwei oder drei oder 10 wäre finde ich das z.B. unabhängig davon, wie ich ihre Kunst im Detail bewerte oder was sie mir persönlich bedeutet, und trotz aller Hilfe, die ihr vielleicht auch von anderen Künstlern zu Teil wurde, faszinierend, bemerkenswert und aller Ehren wert.

zuletzt geändert von zoji

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Und lieg´ich dereinst auf der Bahre, dann denkt an meine Guitahre, und gebt sie mir mit in mein Grab (Der rührselige Cowboy, D. Duck)