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Keine uninteressante Diskussion, auch wenn sie so oder ähnlich schon seit den frühen Siebzigern geführt wird. Damals naturgemäß erbitterter als heute, auch weil sich das Nivellierende, Eingemeindende durch die Mechanismen des Marktes quasi naturwüchsig durchsetzt, wider alle Vernunft. Dabei ist das Definitionsproblem keines, wenn man erkennt, daß sich „Country“ wie „Jazz“, „Rock’n’Roll“ oder „Soul“ entweder eng/musikologisch/stilgeschichtlich oder weit/soziologisch/branchenspezifisch charakterisieren lassen. SJ bedient sich letzterer Herangehensweise, mein Musikverständnis sträubt sich dagegen. Für mich ist „Country“ zwar ein weites Feld, aber eines mit (hier und da durchlässigen) Grenzen.
In a nutshell: Kris Kristofferson ist so Country wie Norah Jones Jazz ist oder Deep Purple Rock’n’Roll sind. Die für SJ relevanten Nachschlagewerke bejahen das. Weil sie (wie natürlich auch die Interessengemeinschaft der Country Music Association) von jeher ihren Zuständigkeitsbereich über Gebühr ausdehnen, streng zielgruppenorientiert. Die Lexika erweitern damit den Käuferkreis, die Branchen-Organisationen ihren Einflußbereich. So nachvollziehbar wie durchschaubar. Aber aus der Sicht eines Musikkundigen nicht sinnvoll. Weil Stilbegriffe damit ihren definitorischen Wert verlieren und tendenziell obsolet werden. Die oben bereits erwähnten Bee Gees haben meines Erachtens nichts mit Country zu tun, nichts mit Rock’n’Roll, nichts mit Rhythm & Blues. Doch man findet sie in Lexika/Walhallas aller drei Genres. In der Rock’n’Roll Hall Of Fame! Im unlängst erschienenen und im RS besprochenen „Lexikon der Countrymusik“, im „Rough Guide Soul“. Ein schlechter Witz? Nein, nur konsequent. Denn wenn nicht Musik- und Stil-bezogen definiert wird, sondern bloß nach Branchenzugehörigkeit, dann muß das entsprechend ausufern. Indem man Disco dem Soul zuschlägt, Pop und Rock’n’Roll synonym gebraucht und in den Country-Charts auch Bee-Gees-Singles findet, weil die irgendwann von „Country-Stationen“ gespielt wurden, die zwar primär AOR einsetzen, aber Mitglied der Association Of Country Music Stations sind. Vielleicht weil sie irgendwann als Country-Sender begonnen haben, oder weil sie so an die stets großzügig rationierten Bemusterungspakete der großen Verlage in Nashville herankommen. Ich kenne Sender in Nashville, die mehr Barry Manilow spielen als Garth Brooks und die nie, nie, nie auf die Idee kämen, George Jones, Merle Haggard oder Porter Wagoner in ihre Playlists aufzunehmen, die aber dennoch als Country-Station firmieren und helfen, den Begriff weiter aufzuweichen.
Ein (namhafter) Produzent dort erklärte mir vor einigen Jahren, daß ich mit meinem Country-Begriff, der sich aus der Hillbilly/Honky Tonk-Tradition speist und sich nicht zuletzt an Songstrukturen und Instrumentation orientiert, zu den Puristen gehöre, die man noch vereinzelt antreffe. „Son, what yer talkin‘ about is deep country“, informierte er mich, „today’s country is what makes Shania Twain“.
Wie gesagt, das ist die Regel. Was es für mich nicht akzeptabel macht. Wenn man John Coltrane Deep Jazz nennen muß, um ihn von James Last zu unterscheiden, Otis Redding als Deep Soul, um ihn von Mariah Carey abzugrenzen, dann halte ich das für absurd. Eddie Cochran ist Rock’n’Roll und Led Zeppelin sind Rock. Weil eine solche Begriffstrennung reflektiert, daß es hier Unterschiede ums Ganze gibt.
Übersetzt ins Country-Idiom heißt das, daß m.E. nur als Country bezeichnet werden sollte, was im Kern das Honky-Tonk-Vermächtnis bewahrt/fortschreibt. Natürlich muß zeitgenössischer Country nicht genau wie die Gründungsväter und Stil-Pioniere (Acuff/Tubb/Williams/Frizzell/Jones/etc.) klingen, aber in einer nicht allzu indirekten Linie auf diese rückführbar müßte die Musik schon sein. Und da gibt es ja auch heute noch einiges, das diesbezüglich keine Probleme verursacht. Man denke etwa an Wayne Hancock oder Dale Watson.
Sogenannter Alt.Country ist indes nur Country-affin, in Sound oder Zitaten, punktuell also. Und Country-Rock ist, wie der Name schon sagt, eine Spielart des Rock. Wie Prog-Rock. Kris Kristofferson aber, um den Dreh zum Streitpunkt wieder zu kriegen, verhält sich zu Country wie die Stranglers zum Punk. Anfangs flugs dazugerechnet, eingemeindet, mitvermarktet. Und in Sachen Attitüde Genre-freundlich gepolt. Aber nicht in der Wolle gefärbt. Einige Stranglers-Cuts waren Punk, etliche KK-Songs waren Country, keine Frage. Doch war KK ein Bohemien, ein Campus-Beatnik, der sich das Geld für Drogen mit dem Komponieren von Songs verdiente. Und weil das nirgendwo einfacher war als in Nashville, aufgrund einer Musikverlagskonzentration ohnegleichen, machte er das dort. Sehr gut, partiell erfolgreich. Und ja, seine ersten beiden eigenen LPs sind vortrefflich, hatten Einfluß auf den Country wie auf den Rock. Habe ihn beim zweiten Isle Of Wight Festival erlebt, wie er sich vor 250.000 pfeifende Fans stellte und tapfer „Blame It On The Stones“ sang, mit Stetson, halb Rock, halb Country. Ein Singer-Songwriter halt, wie John Prine oder Steve Goodman. Und ebenso wie diese beiden informiert und geprägt von Folk, Country und Pop. Mit einer Botschaft! Einer politisch freigeistigen zumal. Die von den Hippies nicht kapiert wurde, weshalb sie ihn ausbuhten.
Ich breche hier lieber mal ab, das führt sonst zu weit. Hoffe, mich einigermaßen verständlich gemacht zu haben.
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