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Angeregt durch die Diskussionen in meinem Country-Alben-Thread sowie an diversen anderen Stellen im Forum und im wahren Leben würde ich gerne an dieser Stelle noch mal den Gedankenaustausch über den Genre-Begriff anstoßen. Ich mache mal den Aufschlag mit meinem persönlichen Verständnis von „Country“.
Zunächst: Kennengelernt habe ich das Genre über diverse „Country & Western“-Sampler, die ihre Tracks vornehmlich aus den Country-Charts der 50er bis 70er rekrutiert haben. Damit war für mich schon eine wesentliche Weichenstellung vorgenommen, fanden sich dort doch klassische Interpreten wie Hank Williams, Johnny Cash, Dave Dudley, George Jones oder Loretta Lynn ganz selbstverständlich neben musikalisch schwerer dingfest zu machenden Künstlern wie Ray Price, Charlie Rich, Patsy Cline, Kenny Rogers etc. Von klassischem Honky Tonk bis hin zu popnahen Sounds und Countrypolitan war alles vertreten.
Seitdem halte ich mich, wenn ich von „Country“ als Sparte rede, an diesen weiten Begriff, der sich auf die Musik bezieht, die in den Country Charts auftauchte, die von den einschlägigen Musikindustrieverbänden aus Nashville für sich reklamiert wird und die von Künstlern stammt, die in der Country Hall Of Fame geehrt wurden. Damit ist Countrymusik für mich nicht an ein bestimmtes Arrangement gebunden: sie besteht nicht nur aus Fiddle,Steel, Banjo. Countrymusik ist für mich aber – und das dürfte noch mehr Dissens provozieren – auch nicht automatisch mit Authentizität verbunden. Es gibt natürlich die Countrymusik, die man als „Soul des weißen Mannes“ bezeichnen kann und die wahrhaftiger, einzig möglicher Ausdruck des Künstlers ist. Als Genrebegriff erscheint mir das aber viel zu eng, weil es auf einer qualitativen Wertung und – wenn man so will Romantisierung – fußt, die dem Country die Entwicklung im Guten wie Schlechten nicht zugesteht. Es gibt aber eben auch kommerziellen, glatten, angeigneten, verpopten oder nur in einem einzelnen Albumprojekt realisierten Country, dem man nicht das Ettikett verweigern kann, allenfalls den Qualitätsstempel. Auch Lynn Anderson ist Country, selbst Kenny Rogers, Glen Campbell, John Denver und Ronnie Milsap sind natürlich Countrymusiker. „old ways“ von Neil Young ist ein Countryalbum, so wie „Almost Blue“ von Elvis Costello.
Country ist für mich somit ein Phänomen, das man auch unter dem Aspekt der Wurzeln, Verwandtschaften, Wechselwirkungen und Grauzonen betrachten sollte. Countrymusik wird durch eine Szene definiert, durch ein Publikum, ein Image, ein klassisches „songbook“, auf welches immer wieder Bezug genommen wird sowie auch bestimmte vorherrschende Themen (ich will zurück aufs Land, wo es so schön war; mein Mann hat mich verlassen; ich gehe in Honky Tonk Bars und trinke Bier; alles Themen, die nicht typisch für Rockmusik sind).
Damit sind für mich ganz selbstverständlich auch Patsy Cline, Charlie Rich, Willie Nelson, Kris Kristofferson (auch als Highwaymen), Gram Parsons und auch Garth Brooks Countrymusiker, was sowohl dem Selbstverständnis der Künstler entsprechen dürfte wie auch dem landläufigen Begriff des Konsumenten, der Country-Charts, der Country-Radios und der Country-Fachliteratur, die ohne die genannten Künstler nicht vollständig wäre. Der authentische Roots/Deep/Honky Tonk Country ist somit nur ein – wichtiger – Teil des Baumes. Eine Country & Western-Geschichtsschreibung ohne alle genannten Künstler wäre aber nicht vorstellbar.
Grob gesagt beziehe ich mich selbst also auf den breiten „offiziellen“ Oberbegriff, den u.a. die korporierte Country-Szene – Country Music Foundation etc. – verwendet. Darunter fällt somit Bluegrass, Honky Tonk, der Nashville Sound/Countrypolitan, Western Swing, Outlaw, Folk Country, Country Pop, Alt. Country etc. gleichermaßen (das entspricht z.B. auch dem Wikipedia-Eintrag).
Da ich mir bewusst bin, dass es im Forum durchaus andere Vorstellungen von Country gibt und ich mit der Nennung der Künstler, die ich in meinem Album-Thread behandelt habe und noch behandeln will, teils irritiertes Haareraufen provoziert habe, würde ich mich über Beiträge zum Thema freuen. Eine gesetzlich normierte und damit allein richtige Definition des Begriffs gibt es eh nicht.
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