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Bänz Oester & The Rainmakers – Jazz im Seefeld, GZ Riesbach, Zurich – 26.04.2023
Javier Vercher (ts), Florian Favre (p), Bänz Oester (b), Ayanda Sikade (d)
Am Abend drauf ging es weniger weit: im Gemeinschaftszentrum Riesbach bin ich zu Fuss in 10 Minuten, die Jazzreihe dort (ein Konzert pro Monat) verfolge ich zwar einigermassen, hab’s aber noch fast nie dahin geschafft (zweimal erst, glaub ich). Nils Wogram war vom veranstaltenden Verein dort und die Töchter im Schulalter (seine? die von Oester?) sassen hinter dem CD-Tisch. Bänz Oester habe ich vor nicht ca. 20 Jahren im Trio mit Malcolm Braff und Samuel Rohrer, in dessen Musik ich mich im Konzert schockverliebt habe, kenne und schätzen gelernt. Später hörte ich ihn u.a. auch mit Pierre Favre (auch mal im Quintett, bei dem auch Wogram mitspielte).
Die Rainmakers haben vor einigen Jahren zwei CDs herausgebracht. Die erste war mir eher zufällig mal in die Hände gekommen (ein Live-Mitschnitt von 2012 aus dem Bird’s Eye in Basel, 2014 beim schweizer Label Unit Records erschienen), die zweite scheint dann für Jazzverhältnisse in Erfolg gewesen zu sein, „Ukuzinikela – Live In Willisau“ vom 2014er Festival (2016 bei Enja herausgekommen). Die Band bestand damals aus einem zweiten Schweizer (Ganesh Geymeier am Tenorsax) und zwei Südafrikanern (Afrika Mkhize am Klavier und Schlagzeuger Ayanda Sikade). Seit 2019 (glaub ich) ist am Sax der aus Valencia stammende Javier Vercher dabei – ich dachte zuerst, ob doch wieder Geymeier dabei sei, fast lookalikes, die beiden. Eine CD dieses neuen Line-Ups erscheint im September bei Enja, wenn ich Oester gestern nach dem Konzert richtig verstanden habe. Leider musste Mkhize krankheitshalber die Tour absagen, die derzeit stattfindet (Infos auf Insta, wo alle vier präsent sind) und man habe, so Wogram, angefragt, ob das Konzert denn trotzdem stattfinden solle. Natürlich sollte es das, denn wenn Oester und die anderen zwei sich auf einen Ersatz einigen, wird ihrer Wahl vertraut. Und das war gut so! Der Ersatz war der westschweizer Pianist Florian Favre (im Netz gibt er Berlin als Homebase an, Oester meinte bei der Band-Vorstellung aber, er lebe in Yverdon-les-Bains). Favre fügte sich hervorragend in die Band ein und steuerte immer wieder phantastische Soli bei, am geöffneten Klavier, das ein Pianohaus um die Ecke dem Verein zur Verfügung stellt (inkl. regelmässiges Stimmen – das Ding sieht zwar old school aus, klang aber bestens).
An diesem Abend gab es nun keine dreiviertelstündigen sondern fünfviertelstündige oder stündige Sets, keine leise sondern laute, überschwängliche Musik – doch es gibt auch eine grosse Gemeinsamkeit: die Freude an schönen Melodien. Das gespielte Material stammte wohl grossteils von Oester und Sikade (Oester sagte in zwei oder drei Ansagen fast alles an, aber so gut hab ich dabei nicht aufgepasst).
Los ging es gleich mit einer Hochenergie-Nummer, von Null auf Hundert in einer Millisekunden: Vercher lässt sein Horn heulen, Favre spielt dichte Riffs und rasende Linien, Sikade trommelte einen an Elvin Jones gemahnenden polyrhythmischen Sturm auf seinem eigenen kleinen Kit (die vier reisen wie es scheint im randvoll gepackten Kastenwagen durch den Kontinent, wobei sie am Vorabend in Valencia gespielt hatten … da sind sie geflogen und ich tippe mal, dass Oester und Sikade nicht ihre eigenen Instrumente mithatten, geht ja heutzutage fast nicht mehr). Als Kaltstart fand ich das recht heftig. Dazu kam, dass Oester mit seinem kleinen Pick-Up ein Problem hatte – Bass und Klavier hatten die Verstärkung bei der geballten Power dringend nötig, Vercher war laut genug, um auch etwas auf der Bühne herumtigern zu können. Vercher spielte für meinen Geschmack manchmal etwas zuviel: auch bei betörenden Hymnen, von denen die Gruppe einige im Repertoire hat, verdichteten sich seine Linien bald stark, er fiel fast immer in Doubletime oder rasende Läufe à la „sheets of sound“. Doch er tat das dann eben doch so gekonnt, dass es mich am Ende kaum noch störte.
Das erste Set dauerte in etwa eine Fünfviertelstunde – und leider sind viele Leute danach bereits gegangen. Leider, weil es nachher noch besser wurde. Oester hatte den Sound nun im Griff, sein tiefer Bass war besser zu hören und gibt der Band ihr Fundament, auch weil Sikade sich sehr viele Freiheiten nimmt, immer wieder den Beat auf den Kopf stellt, Zweier- und Dreierbeat überlagert usw. Ein grosses Vergnügen, diesem Drummer zu lauschen! Favre entpuppte sich im Lauf des Abends als wahnsinnig intensiver Musiker – ich kannte von ihm bisher nur die ziemlich meditative, aber wunderschöne Solo-CD „Idantitâ“ (habe sie letztes Jahr mal bei StoneFM vorgestellt), auf der er alte schweizer Lieder und Traditionals re-interpretiert, teils am präparierten Klavier. Im Konzert zeigte sich einerseits, dass er auch die südafrikanischen Sachen (vor allem Changes und Klangfarben, aber auch die rhythmische Ebene) total drauf hat – Sikade hatte bei den Klaviersoli und manchmal auch bei besonders guten Comping-Einfällen immer wieder ein breites Grinsen im Gesicht. Sehr schön, dass ein langjähriges Bandgefüge auch mit einem kurzfristigen Einspringe so exzellent funktionieren kann. Favre verdichtete sein Spiel in manchen Stücken so sehr, dass das Post-Tyner-Klavier eher zu einem Post-Pullen-Klavier wurde, beeindruckende Läufe, ein hervorragendes Gespür für Gestaltung und Dramatik. Überhaupt muss so ein Power-Quartett sich natürlich an den grossen Vorbildern (Coltrane, Sanders, Adams/Pullen …) messen lassen – und da bringt natürlich gerade der südafrikanische Einschlag eine eigene Note rein. Dass diese mich total anspricht, wird hier niemand überraschen.
Das zweite Set war kürzer, eine Dreiviertelstunde oder etwas mehr: die Suche aus dem ersten war vorbei, die vier hatten sich gefunden, sich den Raum erspielt – und was nach der Pause zu hören war, wirkte auf mich bei aller gebündelten Energie irgendwie auch gelassen, locker. Die Freude stand besonders dem Leader am Bass ins Gesicht geschrieben, immer wieder ein breites Lachen. Sikade war mindestens so laut wie Blakey (oder Kikuchi), summte oft die Themen mit – natürlich besonders die eigenen, zu denen Oester meinte, das sei eine der Besonderheiten der Rainmakers: die Stücke mit den schönsten Changes und Melodielinien trage nämlich der Schlagzeuger bei. Ein beglückendes Konzert, das auch eine perfekte Ergänzung zum Programm des Vorabends war. Ein Kontrastprogramm, bei dem aber eben auch die Verbindungslinien zu hören waren – auch, was die Freude am Musizieren anbelangt, die beide Male sehr deutlich wurde.
*) Hatte zunächst fälschlich „Gemeindezentrum“ geschrieben – die Kirchgemeinde aus dem Stadtviertel ist zwar auch im selben Gebäudekomplex, aber die „GZ“, von denen es 17 in der ganzen Stadt gibt, werden von der Stadt geführt und stehen eben für solche niederschwelligen Angebote zur Verfügung – so erwähnte Wogram in der Begrüssung auch, dass es bei früheren Konzerten zu Beschwerden wegen Kindern gekommen sei, dass diese hier aber ausdrücklich willkommen seien und daher bitte von solchen Beschwerden abzusehen sei.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba