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Keith & Julie Tippett Couple in Spirit – Sound on Stone (Discus, 2023) |Das letzte Album von Couple in Spirit, Keith & Julie Tippett – irgendwie gespenstisch, ich bleib grad daran hängen.
Das Projekt nahm 2019 Form an: die Tippett(s) wollten nach über dreissig Jahren für Discus wieder ein Studio-Album ihres „Couple in Spirit“-Duos einspielen, mehrspurig im Multitrackverfahren mit allem Drumherum. Im Jahr davor war Tippett (ohne „s“ am Ende = Keith, mit „s“ = Julie) erkrankt, musste u.a. das Solo-Konzert absagen, mit dem er im August das Météo Festival in Mulhouse hätte eröffnen sollen (das letzte, das redbeans und ich besuchten – ich war damals ziemlich enttäuscht). Tippett erholte sich, sein Zustand blieb aber fragil. Ende Jahre wurde für kommenden Frühling ein Studio gebucht, ein Crowdfunding durchgeführt (an dem ich mich beteiligt hatte) – doch dann kam im Frühjahr der Lockdown, die Gesundheit von Tippet verschlechterte sich. Er musste im Frühling 2020 für zwei Monate ins Krankenhaus und verstarb dort am 14. Juni. Erst am Tag vor seinem Tod durfte Tippetts ihn besuchen:
It was then very obvious that he was not going to make it. […] We had talked and made plans about how to approach the forthcoming CD. There was one piece Keith dearly wanted us to include. „Windmills of Your Mind“. When Martin and I were later talking about how tragit and devastating it all was, and that there would be no C.I.S. recording, I suddenly thought of several unreleased solo performance acquired and copied for Keith and myself for possible future use. 10 CDs of Keith’s concerts during 1979 in Holland. The idea of choosing several parts of the music to add and fulfil our promise of our C.I.S. new release was born. I had another promise to fulfill … I knew I must find a passage that I might be able to fit „Windmills“ to. Keith had obviously not played any reference to this piece, so I knew it would not be easy. It sook some time to find a suitable sequence. I hope listeners will pleased with the result.
~ Julie Tippetts, November 2022 (Liner Notes)
Martin Archer von Discus und Julie Tippetts konzentrierten sich nach dem Tod von Tippett aber erstmal auf die Fertigstellung von „The Monk Watches the Eagle“, einem Chorprojekt, an dem Tippett viel gelegen war. Erst 2022 fand sich die Zeit dafür, da Archer und Tippetts davor auch noch ein Album ihres gemeinsamen JTMA Ensembles fertigstellen wollten („Illusion“, 2022). Aus den Live-Aufnahmen von Tippett in den Niederlanden 1979 hat Discus 2019 schon das hervorragende „The Unlonely Raindancer“ zusammengestellt. Musik von diesen Aufnahmen (ohne Überschneidung zu „Raindancer“) ist auf der Hälfte der acht Stücke hier zu hören – und klar, es wäre eh schön, die auch ohne Tippetts ergänzte Gesangsspuren hören zu können und überhaupt mehr Solo-Tippett aus der Zeit zu hören). Zudem wurden für je zwei Stücke Aufnahmen von 1991 aus Bologna (aus dem Ketty dõ Club) und von einem Auftritt am Welsh College of Music and Drama ca. 1995/96 verwendet.
Julie had to dig deep into her every reserve of strength and determination in order to make these recordings. We hope and believe that we have done justice to the music.
~ Martin Archer, November 2022 (Liner Notes)
Das Ergebnis ist hervorragend und ich denke echt nicht, dass man dem Album den Patchwork-Charakter anhören kann. Keith ist neben Dem Klavier auch an der Zither zu hören, setzt seine Stimme und Musikspieldosen ein und spielt Percussion. Julie ist neben ihrem Gesang ebenfalls mit Zither, Spieldosen und Percussion dabei. Die CD lag jetzt zwei Wochen ungespielt hier und ich weiss gar nicht, warum ich solche scheu hatte, sie einzulegen. Wird jedenfalls die kommenden Wochen einige Male in den Player finden!
Ich denke da natürlich an das eigenartige Konzert zurück, das ich von dem Duo im Juni 2016 in Ravenna hörte – Louis Moholo wollte mit seinen Four Blokes unbedingt zuerst spielen, was völlig unsinnig war (aber über solche Dinge lässt Moholo anscheinend nicht mit sich diskutieren, wenn er sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat). Nach dem energiegeladenen Set und einer Pause folgte nun das Duo, das so komplett anders funktionierte – live auch ohne Multitracking und Beigemüse, einfach nur eerie Gesang und meist zurückhaltendes Klavier – eine karge und zerbrechliche, wunderliche Musik war das, und ich brauchte wenigstens eine Viertelstunde, um mich darauf einzulassen. Grössere Teile des Publikums hatten darauf keine Lust und verliessen den Saal während des Konzertes … their loss, aber unter den Umständen leider verständlich (die andere seltsame Moholo-Story, die ich miterlebte, war etwas später im Duo mit Rava in Novara: nach 20 Minuten dachte Moholo, die Stunde sei um, stand auf und ging von der Bühne. Dort stand zum Glück jemand, der ihm sagte, er solle gefälligst sofort wieder hoch und weiterspielen, worauf nochmal 15 oder 20 Minuten folgten …). Hier ein Foto, das ich damals mit meinem schlechten Handy von recht weit hinten machte – der Konzertsaal wurde in eine ehemalige Kirche eingebaut und die Kulisse war für das „Couple in Spirit“ wirklich perfekt:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba