Antwort auf: Female Voices in Jazz (war: 25 feine Damenstimmen)

#11951109  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

Beiträge: 5,160

Ich tu das mal hier hin.

Das hier wollte ich eigentlich schon vor langer Zeit schreiben, aber dachte dann: Wen interessiert das? Aber wo wir uns hier jetzt über Jazz-Sängerinnen unterhalten, habe ich es wieder raus gekramt.

Am Pfingstwochenende mit meiner Gefährtin auf dem Elbjazz-Festival in Hamburg gewesen. Das ist eine Mischung aus Städtemarketing, Pfingstausflug und Musikfestival mit Spielstätten in und am Hafen. Elbphilharmonie, die St. Katharinenkirche, Mojo Club und das Werftgelände von Blohm & Voss am anderen Ufer – dorthin gelangt man mit der Barkasse oder zu Fuß durch den alten Elbtunnel.

Kleines Hotelzimmer in der Schanze, Frühstück bei der portugiesischen Bäckerei, nachmittags auf den Flohmarkt, abends aufs Festivalgelände. Im Publikum ein breites Spektrum von Ende 20 bis zum Rentenalter, hier und da sogar junge Familien. Elbjazz ist kein Festival für Jazznerds. Hier wird ein breites Publikum angesprochen, das ein schönes Wochenende mit Musik und gutem Essen an den vielen Street Food-Buden erleben möchte. Entsprechend breit gefächert ist auch das Programm mit mehr oder weniger starkem Bezug zu Jazz. Lokale Nachwuchsbands, Jazz + Soul-Sänger/innen, Funk-Bands und auch ein paar großen Namen.

Die Sängerin Zara McFarlane wirkt mit ihrer Band in der voll besetzten Elbphilharmonie etwas verloren, zu groß und zu erhaben wirkt der Konzertsaal für diesen Auftritt – aber vielleicht geht es hier auch eher darum, mal in der „Elphi“ gewesen zu sein. In der Schiffbauhalle von Blohm & Voss lässt ein Trio namens Bobby Rausch es richtig krachen und amüsiert sich und das Publikum dabei prächtig. Der Schlagzeuger Silvan Strauß bedankt sich beglückt für die Verleihung des Hamburger Jazzpreises und findet alles „mega-krass“ und „mega-toll“. Der anschließende überschäumende Auftritt seiner Band mit NDR-Big Band und einer völlig exaltierten Sängerin (ich glaube Maria Joao?) erinnert mich dann an Frank Zappas Jazzalben der 70er.

Man lässt sich etwas zwischen den 3 Bühnen umhertreiben, das ist alles ganz vergnüglich. Dann der große Name John McLaughlin: Es dauert nicht lange und ich weiß genau, warum ich meine einzige Platte von McLaughlin bzw. dem Mahavishnu Orchestra inzwischen aussortiert habe. McLaughlins Band spielt einen Jazzrock, als wäre man in den frühen 70ern hängengeblieben. Gitarre und Keyboards gefallen sich in rasend schnellen virtuosen Duellen, der Schlagzeuger zeigt alles, was er auf seinem riesigen Kit schaffen kann und auch der Bassist kommt – so meine ich mich zu erinnern – mit vier Saiten nicht aus. Es müssen schon 5 Saiten sein. Testosterongesteuertes Powerplay. Unerträglich!

Aber dann passiert noch etwas ganz anderes: Von MELODY GARDOT erwarte ich eigentlich nichts anderes als gefälligen Cocktail-Jazz, der Männerphantasien bedient. Aber dann betritt eine souverän, charmant und kess wirkende Frau die Bühne, scherzt mit dem Tontechniker und lässt keinen Zweifel aufkommen, wer hier die Chefin ist. Umso beindruckender ist, mit welcher Gelassenheit sie das macht.

Die Band agiert ganz ohne Druck und gelassen, ganz ohne Eile, Melody Gardot bremst die Musik runter, dehnt die Zeit und lässt ihren Begleitern Raum und Luft, alles greift wie von selbst ineinander. Melody Gardot singt auf Englisch, Französich und Portugiesisch, Jazz, Chanson und Bossa Nova haben in der Musik ihre Spuren hinterlassen. Drummer und Bassist verlassen auch mal die Bühne, der Pianist erzählt mit zarter Stimme auf Deutsch, dass er in Baden-Baden mit Pumuckel im Fernsehen aufgewachsen sei, wo seine Familie in den 80ern lebte. Aha? Ja, er ist tatsächlich der Sohn des Gitarristen Baden Powell! Und dann spielen und singen Philippe Baden Powell und Melody Gardot ein zärtliches Duett, bei dem ich denke: Was läuft da zwischen den beiden?

Das ist spröde und sinnlich, zurückhaltend und selbstbewusst, einfach und voller Klangreichtum. Man kann nachlesen, dass Melody Gardot übersensibel gegenüber Lärm und Licht ist, daher auch die getönte Brille, die sie stets trägt. Dann muss man wohl sparsam und um so nuancierter mit seinen musikalischen Mitteln umgehen.

Danach hat mich noch Nils Landgren gelangweilt. Jazzfunk mit Deo. Aber das muss man nicht erzählen.

--

„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)