Antwort auf: Denkwürdige Plattenkäufe

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zoji

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Mein längster Lauf und wie mich der Weltgeist zwar auf der Zielgeraden verhöhnte aber trotzdem mein musikalisch glücklichstes Wochenende nicht verhindern konnte

Anfang der 80er erschien die Reihe „Living Country Blues USA“ (Note für die Blues Hater: ein paar Erläuterungen sind notwendig, aber es wird keine Bluesstory), die aus 12 LPs bestand. Hierbei handelte es sich um damals aktuelle Field Recordings, und auch wenn nur ein paar Alben einzelnen Künstlern vorbehalten blieben, während es sich bei der Mehrheit um Sampler handelte, enthielten sie doch ausschließlich Exklusivaufnahmen. Das ist im Blues nicht unüblich, oder meines Wissens nach jedenfalls gängiger als etwa in den Bereichen Pop, Rock oder Jazz. Das Spektrum reichte von ein paar wenigen Musiker, die bereits Jahrzehnte zuvor relativ erfolgreich Aufnahmen gemacht hatten, über zwei oder drei Künstler, die es in den Folgejahren wenigstens in Blueskreisen noch zu einer gewissen Semi-Popularität bringen sollten, bis hin zu so obskuren Typen, dass ihre Beiträge für diese Serie gleichzeitig ihre ersten und letzten Aufnahmen darstellten. Zusätzlich gab es eine Doppel-LP, die abermals die beteiligten Musiker mit weiteren Exklusiv-Tracks vorstellte.

In der ersten Hälfte der 80er, noch nicht volljährig und ohne ausgereiftes Interesse an Blues, erwarb ich zwei der LPs blind aus der Wühlkiste bei 2001. Während ich die eine ganz okay fand, habe ich die andere nach zwei-, dreimal hören sofort wieder entsorgt, das war mir zu schräg, primitiv und rudimentär. Bis Anfang/Mitte der 90er war dann aber nicht nur das verbliebene Album ziemlich in meiner Gunst gestiegen, auch hatte sich meine Vorliebe für Blues inzwischen vertieft, und Primitivität und Dilettantismus taugten vielleicht nicht per se als Gütesiegel, hatten für mich aber einen eigenen Reiz entwickelt, und mir dämmerte allmählich, dass ich an der Serie in Gänze vielleicht doch Gefallen finden könnte. Also begann ich nach ihr Ausschau zu halten, wenn auch zunächst oberflächlich und mit vagem Interesse. Aber natürlich war sie längst nicht mehr erhältlich und auch Second Hand begegnete sie mir nie.

Ende der 90er erschien dann eine 3-CD-Box, die ungefähr die Hälfte des ursprünglichen Materials enthielt. Für meine damaligen finanziellen Verhältnisse war die etwas zu hochpreisig. Das hätte ich zwar mit Geburtstag oder Weihnachten umgehen können, aber ich war einerseits noch nicht hundertprozentig sicher, ob ich das Zeug wirklich so gut finden würde, und hatte aber andererseits, in gewissen Widerspruch dazu, längst den Ehrgeiz entwickelt, die Serie komplett haben zu wollen, also ließ ich noch ein paar Jahre ins Land ziehen.

An einem Sonnabend 2008 war ich dann weichgekocht und mürbe, und bestellte schließlich doch die Box. Meine finanzielle Situation hatte sich erheblich verbessert, ich hatte die Hoffnung auf einen Re-Release der vollständigen Serie aufgegeben und dachte mittlerweile halt „besser als nix“. Tatsächlich hatte sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur die Überzeugung, die Musik ziemlich gut zu finden sehr gefestigt, meine anfänglich noch zarte Neugier hatte sich inzwischen zu einer kleinen Besessenheit gesteigert. So sollten also anderthalb Jahrzehnte der Suche, unter beständig gestiegener Lust auf das Ding, endlich enden, jetzt brauchte ich nur noch auf die Versandbestätigung warten und tatsächlich stellte sich bei mir an dem Wochenende geradezu ein Gefühl der Befreiung und Erleichterung ein. Das war dann wohl der Moment, in dem man sich an höherer Stelle dachte „na warte, Bürschchen, dich nehme ich mal richtig hoch!“. Als ich nämlich am Montag, keine 48h später, routinemäßig online die Neuangebote von 2001 checkte waren sie, zack, alle da, die kompletten 12 zuzüglich des Doppelalbums, und das zum Wegwerfpreis. Halb biss ich mir in denselben, und halb fühlte ich mich prächtig verarscht. Nach einem Moment der inneren Sammlung war dann die erste Amtshandlung bei 2001 anzurufen, ob sie die denn wirklichwirklichwirklich haben und mir ein paar Tage zurücklegen können. Im zweiten Schritt gelang es mir dann – nimm das, Weltgeist – die Bestellung der Box zu stornieren. Am Freitag nach Feierabend dann zu 2001 und die Beute aufgeregt wie ein kleines Äffchen nach Hause speditiert. Natürlich war das nicht das schönste Wochenende meines Lebens, das fände ich als soziales Wesen dann auch doch eher traurig. Aber musikbezogen ganz sicher mein bestes Wochenende am Ende einer langen Reise.

zuletzt geändert von zoji

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Und lieg´ich dereinst auf der Bahre, dann denkt an meine Guitahre, und gebt sie mir mit in mein Grab (Der rührselige Cowboy, D. Duck)