Antwort auf: Das Kinojahr 2022 aus meiner Sicht

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motoerwolf

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Es folgen recycelte Texte aus dem Zuletzt-Gesehem-Thread:

West Side Story (West Side Story, Steven Spielberg, 2021)

Toll ist hier noch untertrieben. Wir sehen einen fantastischen Cast. Rachel Zegler ist eine Maria, die Herzen zum schmelzen bringt, Ariana DeBose als Anita ist großartig in Freude und Schmerz, David Alvarez als Bernardo und Mike Faist als Riff verleihen den Figuren eine Tiefe, die sie von der Funktion in der Story her gar nicht bräuchten. Rita Moreno, die frühere Anita, jetzt als Valentina (die Frau des Doc, die diesen ersetzt) wiederzusehen ist wunderbar. Lediglich Ansel Elgort als Tony konnte mich stimmlich nicht zu einhundert Prozent überzeugen, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Dafür ist nämlich der Gesang so harmonisch in die Handlung integriert, das Spiel der Darsteller auch beim Singen so überzeugend und in der Rolle wie ich es selten gesehen habe in einem Musical. Daher gibt es so viele wundervolle Sequenzen, dass ich gar nicht in der Lage bin, ein paar besonders herausragende zu nennen, ohne mir unfair vorzukommen. Vielleicht darf ich als primi inter pares die Szenen zu America, Tonight, Tonight Quintet, Gee, Officer Krupke, I feel pretty und Cool nennen.
Die im Vergleich zum Original regelrecht entfesselte Kamera verleiht Spielbergs Version eine Dynamik, die dem Original fehlt (was freilich bisher mangels Vergleichsmöglichkeit nicht auffiel). Allein die Sequenz zum Song America unterstreicht meinen Punkt ausreichend, steht aber nicht alleine da. Ebenso großartig sind Farb- und Lichtgestaltung, die jederzeit die Geschichte unterstützen. Dass der Ton bei einem Musical gut sein sollte, versteht sich von selbst, aber wie gut er ist, treibt einem Tränen der Freude in die Augen. Das gilt für die Mischung, das gilt für die Soundeffekte (der tödliche Schuss am Ende!) und natürlich auch für den Gesang und das gesprochene Wort. Die Mischung aus Spanisch und Deutsch (in meinem Fall, denn die OV läuft hier nicht) ist so gut gelungen, dass die nicht vorhandenen Untertitel nicht fehlen, obwohl keineswegs spanische Sätze einfach auf Deutsch wiederholt werden. Richtig schlimm sind allerdings die Untertitel zu den Songs, die nicht nur nicht wörtlich übersetzt sind, sondern den Sinn der Texte teilweise entstellen. Besonders schlimm ist das bei America, dem Song wird im Untertitel jede Ironie, jeder kritische Aspekt genommen. Das schmerzt umso mehr, als das Spielberg im Vergleich zur 1961er Version ja deutlich politischer und sozialkritischer ist.

Belfast (Kenneth Branagh, 2021, UK)

Der Film erzählt halt von einer Kindheit in Belfast vor dem Hintergrund der ‚Spannungen‘ in der Stadt in den späten Sechzigern. Der junge Buddy hat zwar das Glück, aus einer Familie zu kommen, die selbst kein bisschen radikal ist, aber wenn die Nachbarschaft brennt, werden eben auch friedliebende Menschen betroffen. Doch durch die Augen Buddys gesehen, dessen Perspektive der Film größtenteils folgt, ist all das nur der Hintergrund für sein beginnendes Erwachsenwerden. Denn zeitgleich erlebt er eine erste Liebe, er erlebt die Familie als Ort des Schutzes, aber auch des Konfliktes, er muss sich mit Krankheit, mit Tod, Verlust und Entwurzelung auseinandersetzen. Manches davon ist auch dem Nordirlandkonflikt geschuldet, anderes ist einfach Teil des Lebens. Das alles ist in sehr schönem Schwarzweiß fotografiert (wobei auch Farbe an einigen Stellen eingesetzt wird), das natürlich die Nostalgie, mit der trotz aller negativen Erlebnisse die letztlich positiv besetzte Zeit rückblickend betrachtet wird, effektiv unterstützt. Ein politisches Statement wird hier nicht abgegeben, denn das kann der neunjährige Buddy natürlich nicht leisten. In sich ist das zwar schlüssig, trotzdem fühlte es sich für mich tatsächlich ein wenig befremdlich an, so wenig politisches in einem solchen Film zu sehen.
Unter dem Strich bleibt also ein wirklich schönes Coming-of-Age-Drama, das etwas episodenhaft von einer bedeutenden Zeit im Leben Buddys erzählt. Das tut niemandem weh, ist aber nicht langweilig. Nebenbei ist Belfast auch eine kleine Liebeserklärung an das Kino. Da wohl einiges von Regisseur Kenneth Branagh in der Figur des Buddy steckt, ist das natürlich nicht verwunderlich. Trotzdem schön zu sehen.

Jurassic World: Ein neues Zeitalter (Jurassic World Dominion, Colin Trevorrow, 2022)

Schöner Abschluss der Reihe. Die teilweise wirklich schlechten Kritiken kann ich nicht nachvollziehen. Der Film geht zwar zu großen Teilen auf Nummer sicher und ist nicht wirklich originell, aber es gibt tolle Dino-Action (wobei zumindest in 2D ein paar Szenen etwas künstlich wirken), und mehr verlange ich hier nicht. Ein Erlebnis wie 1993 lässt sich halt nicht wiederholen, zumal ich nicht mehr 19 bin.

Elvis (Baz Luhrmann, 2022)

Ich fand die Idee, Col. Parker zum Erzähler von Elvis Biographie zu machen, zunächst etwas befremdlich. Meine Sorge war, dass Elvis Manager hier rehabilitiert werden soll. Das ist natürlich nicht der Fall. Dafür hat der Film eine andere große Schwäche: er ist zu kurz! Obwohl die meisten einzelnen Szenen stark gestaltet und gespielt sind, obwohl sie optisch wunderbar miteinander verbunden werden, fühlt sich der Film viel zu lange wie sein eigener Prolog an. Zum Beispiel wirkt der Part um das ’68 Comeback Special so, als trüge schon diese Story einen eigenen Film, und das ist nur ein Beispiel von vielen. Zu Beginn des Films wird Elvis‘ starke Verbindung zur Black Community thematisiert, auch das wäre einen eigenen Film wert (vielleicht gedreht von Jordan Peele). Insofern ist es nur folgerichtig, dass ich nach dem Besuch im Kino vorhin gerade las, dass Luhrmann eine vierstündige Version angekündigt hat.
Großartig ist Austin Butler als Elvis, während Tom Hanks tut, was er immer tut. Er lässt den Zuschauer nach zwei Minuten vergessen, dass er Tom Hanks ist und geht völlig in seiner Rolle auf.

The Black Phone (Scott Derrickson, 2022)
Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Joe Hill, Stephen Kings Sohn. Diese wurde von Derrickson spannend inszeniert und besonders von den Kindern wirklich gut gespielt. Ethan Hawke spielt ebenfalls eindrucksvoll, vor allem wenn man bedenkt, dass er durch die Maske ja um einige Möglichkeiten beraubt wird.
Verglichen mit der letzten Produktion von Blumhouse auf Basis einer Geschichte aus dem Hause King, Firestarter, spielt The Black Phone nicht nur in einer anderen Liga, sondern sogar ein anderes Spiel. Auch wenn es mal wieder ein paar Jump Scares gibt, die unnötig sind und für mich störend wirkten.

Top Gun: Maverick (Joseph Kosinski, 2022, USA)

Den schrecklichen ersten Teil überbietet er ganz locker. Sehr solide ist der Film auf jeden Fall, und natürlich muss man ihn im Kino sehen, wenn er wirklich zünden soll. Ich würde 8/10 geben. Was ich Top Gun 2 vorwerfe: der Film ist ein Achtziger-Jahre-Film, der lediglich technisch auf einen neuen Stand gebracht wurde. Mit all dem Schwachsinn, durch den sich diese Art von Filmen bereits damals auszeichnete. Das fängt mit der Sicht auf ‚den Mann‘ an, die mit archaisch recht wohlwollend bezeichnet werden kann. Darauf aufbauend hat der Film verherrlicht der Film das US-Militär in einer überhaupt nicht mehr zeitgemäßen Weise. Gleichzeitig hat das Filmteam selbst keine ‚Eier‘, geht in jeder Hinsicht auf Nummer sicher. Highway to the dangerzone wieder im Original einzusetzen (und eben nicht von Adele); ganze Sequenzen zu kopieren oder zumindest die Bildsprache 1:1 wieder aufzunehmen (bis es fast parodistisch wirkt); das Nicht-Benennen des Gegners (es fehlt nur noch ein dämlicher Fantasiename), als gebe es keine echten ‚Schurkenstaaten‘. Mir geht hier die Nostalgie einfach zu weit. An einen modernen Actionfilm habe ich andere Ansprüche. Dass ich trotzdem eine gute Wertung gebe, liegt einfach daran, dass die technische Umsetzung gerade der Flugszenen ziemlich gut (aber lange nicht so perfekt ist wie teilweise geschrieben wird) ist, genauso wie die Darsteller ihren Job im Rahmen des geforderten sehr ordentlich erledigen. Und auch wenn ich bereits im Kino ein paar Mal innerlich mit den Augen rollen musste, ist der Film doch unterhaltsam und kurzweilig genug, um meine acht Punkte für mich zu rechtfertigen. Ganz nüchtern betrachtet könnte man da noch deutlich runtergehen. Aber da ich eher Liebhaber als Kritiker bin…

Der Exorzist (The Exorcist, William Friedkin, 1973)

Ein Film, der schon ewig auf meiner Watchlist stand, spätestens, seit ich das Buch gelesen habe. Und jetzt durfte ich ihn sogar auf der großen Leinwand zum ersten Mal sehen, im Rahmen der Kult Sneak-Reihe im lokalen Kino. Einige Aspekte des Films wirken naturgemäß nicht mehr sehr frisch, manches, was damals neu und schockierend war, ist heute keinerlei Sufregung mehr wert. Gott sei Dank bin ich gut in der Lage, mich dennoch auf solche Filme einlassen zu können. Für mich zurecht ein absoluter Klassiker.

zuletzt geändert von motoerwolf

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And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame