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bft #33 – women pianists
Die Idee hatte sich aus ein paar Sachen ergeben, die ich die letzten Wochen hörte, u.a. mehr von den Savoy-Aufnahmen von Marian McPartland. Auf einer der Denon/Savoy-CDs, die ich neulich kaufte, finden sich auch Sessions von Barbara Carroll und der irre guten Adelaide Robbins, über die absolut gar nichts weiss. Von Carroll habe ich schon länger ein Piraten-4-CD-Set mit den gesammelten Trio-Aufnahmen der Jahre 1951-56, und dann im Rahmen der Blue Note-Umfrage vor einiger Zeit auch ihr eines Blue Note-Album angeschafft. So richtig an ihre Musik heran komme ich noch nicht.
Auch andere Pianistinnen, die ich hier vorgestellt habe, sind nicht direkt Favoritinnen: Beryl Booker etwa, die flashy Dorothy Donegan (von der ich im Regal nur ein paar spätere Aufnahmen habe (was aus den Siebzigern und dann „Live at the 1991 Floating Jazz Festival“), oder auch McPartland, deren ziseliertes Spiel mir manchmal mehr zusagt als andere Male, aber eben: bei weitem keine Lieblingsmusikerin. Anders verhält sich das mit Blossom Dearie, die ich als Sängerin/Pianistin bzw. Pianistin/Sängerin immer wieder umwerfend finde. Ihr frühes einziges (?) rein instrumentales Album unter eigenem Namen frustriert mich ein wenig, weil die Stücke darauf so verhalten bleiben, so kurz, so abgezirkelt.
Bei Mary Lou Williams kenne ich keine solchen Vorbehalte, ebensowenig bei der viel zu wenig bekannten Patti Bown, die allerdings unter eigenem Namen nur sehr wenig gemacht hat. Sie spielte mit der finanziell ruinöse, musikalisch aber ziemlich guten Big Band, die Quincy Jones um 1960 herum leitete, und wirkte dann auf dem schönen (aber auch nicht rundum befriedigenden) Candid-Album von Cal Massey mit, das erst 1987 herauskam – das wäre auf jeden Fall neben dem Columbia-Album, das im Netz zu finden ist und bei Fresh Sound auch auf CD erschien (wohl ein LP-Rip, vielleicht ja sogar derselbe, den ich verwendete), der erste Anspieltipp. Sie taucht aber auch bei Oliver Nelson, Etta Jones, Gene Ammons oder Roswell Rudd auf.
Dann gibt’s noch die Dixielanders – doch Moment: zu denen gehörte Marian McPartland ja zunächst auch, als Ehefrau des Trompeters Jimmy McPartland, der zum Condon-Kreis gehörte … doch sie sagte, spielte sich davon frei – und fand später mit „Piano Jazz“ ein perfektes Gefäss für ihre immer wieder eindrückliche Musikalität. Die unzähligen Sendungen, die sie für NPR machte, sind für meine Ohren eins der schönsten Beispiele für die genreübergreifende „comraderie“ unter Jazzmusiker*innen. Da waren wirklich alle dabei, von George Shearing oder Dick Hyman über Tommy Flanagan, Herbie Hancock, Barry Harris, Andrew Hill, Cecil Taylor oder Randy Weston, bis hin zu Ray Charles, Elvis Costello oder Eartha Kitt. Natürlich waren auch einige der hier präsentierten Pianistinnen mal bei McPartland zu Besuch, u.a. Blossom Dearie und Barbara Carroll, aber auch weitere Pianistinnen (Sängerinnen, Organistinnen) wie Shirley Scott, Renee Rosnes, Marilyn Crispell oder Diana Krall.
Die Dixielanders? Jack Teagardens Schwester Norma Teagarden war manchmal dabei, wenn er ins Studio ging – zur Auswahl hatte ich nur drei Stücke vom Album „Jazz Great“ (Leonard Feather bzw. Dick Cary spielen auf den restlichen Stücken – und Jimmy McPartland ist bei einer der Sessions auch dabei – bei der übrigens Walter Page/Jo Jones mitspielen). Mir gefiel das zurückhaltende Klaviersolo im „King Porter Stomp“ ziemlich gut, und als vorgarten es direkt zum „Ausgangspunkt“ erklärte (bzw. vermutete), habe ich mich schon ziemlich gefreut. Hinten ist dann noch das Ehepaar Billie und De De Pierce zu hören … dazu mach ich nachher noch Fotos vom Mosaic-Booklet, das die Geschichte der beiden erzählt und ein rührendes Foto bietet. Die waren auch im Vergleich zu Teagarden auch schon Veteranen, und das hört man der Musik auch an. Ich hatte zunächst als Rahmen statt Norma Teagarden (der Track ist ja auch ein Formfehler, sie ist weder Leaderin noch Co-Leaderin) ein Stück von Sweet Emma Barrett angedacht gehabt, konnte da aber nichts passendes finden (das wäre in die rohe Richtung von Billie Pierce gegangen).
Jetzt habe ich Hazel Scott ganz vergessen – was auch wieder passt, denn die gehört werden zu den Dixielandern noch zu den kühlen oder heissen Pianistinnen der Fünfziger, die den Hauptanteil des BFTs ausmachen. Wir habe über sie schon ein paar Male unterhalten (ich finde die betreffenden Posts leider wieder mal nicht). Scott irrlichtert durch die Jazzgeschichte, die meisten mögen ihren Namen zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Debut-Aufnahme mit Mingus wahrgenommen haben (ich auch, klar) … gewählt habe ich ein Stück von einer unpassend benannten Leonard Feather-Session mit dem Sextet of the Rhythm Club of London, bei dem es sich aber im Gegensatz zu späteren Feather-Produktionen um keine reine Engländer-Band handelt (zumindest Danny Polo, Pete Brown und Scott waren keine Untertanen, die anderen drei mag ich grad nicht nachforschen – 1937 und 1938 hat Feather wirklich in London mit Engländern aufgenommen, zu hören auf seiner Classics-CD „Leonard Feather 1937-1945“).
Ein paar Pianistinnen fehlen – ich wollte ja zunächst einen ca. halbstündigen „mini bft“ präsentieren, und sie auch einzubeziehen, hätte das Format in zweierlei Hinsicht gesprengt: von Pat Moran wie von Terry Pollard hätte ich nur Stücke mit Terry Gibbs‘ Quartett (von Pollard auch mit Yusef Lateef, aber der wäre sofort erkannt worden) einbauen können (die Fresh Sound-CD von Pollard, die ich vor ein paar Jahren kaufte, ist nicht mehr lesbar, der Player spielt sie noch bis zur Hälfte, das Laufwerk erkennt sie nicht – sieht aber aus wie neu … falls zufällig jemand aushelfen kann, wäre ich dankbar!). Die Stücke wären auch deutlich länger gewesen – und dann nicht auch noch ein Gibbs-Stück mit Alice Coltrane einzubauen, hätte ich nicht ohne schlechtes Gewissen lassen können. Bertha Hope fehlt auch – sie hat erst im Alter ein paar richtige Leader-Alben gemacht, davor nur an der Seite von Elmo Hope aufgenommen, zumindest soweit mir bisher bekannt. Und wie ich das hier tippe, kommt mir erst der Name von Lorraine Geller in den Sinn (von der ich aber auch nur Aufnahmen an der Seite ihres Mannes Herb Geller vorliegen habe … vielleicht wäre ja ein Trio-Stück dabei gewesen). Überhaupt war die Stückauswahl oft recht stark begrenzt: von Robbins gibt es drei Stücke, von Dearie ohne den sofort erkennbaren Gesang nur das eine Album, von Teagarden mit Norma am Klavier drei Stücke, von denen zwei wegen Jacks unverwechselbarem Gesang direkt ausgeschieden sind usw. Dennoch wurde ganz vieles ganz schnell erkannt … ich denke, fast nur bei Mary Lou Williams hätte ich problemlos ein weniger offensichtliches Stück finden können.
Der Bonustrack? Hier gibt es keine Pianistin … in einer frühen Phase der Vorbereitung (okay, an Tag 1 von … 3,5?) hatte ich mal noch gedacht, ich könnte ein paar Instrumentalistinnen miteinbeziehen, die andere Instrumente spielten. Den Gedanken verwarf ich schnell wieder, weil ich sonst hätte zwei Stunden Musik zusammenstellen können: Shirley Scott, Rhoda Scott, Gloria Coleman mit Pola Roberts, Vi Redd, Clora Bryant, das Vivien Garry Trio mit Bill De Arangos Gitarre und Wini Beatty am Klavier – da gab’s auch mal eine all-woman-band: https://youtu.be/HCkWdmJMbBE – Frauen sind keine „girls“, adee merci … also, der Bonustrack: hier gibt es kein „girl“ sondern eine „mouse“. Bei der Session im Oktober 1947 ist eine elfköpfige Band zu hören, bei der ein paar mainstays von Capitol Records mitspielen: Frank De Vol, Billy May, Dave Cavanaugh, Paul Weston … aber auch die Eheleute Dave Barbour/Peggy Lee – letzter die „mouse“ unter den „ten cats“. Der spontan improvisierte „Three O’Clock Jump“ bietet nun den kleinen Twist, dass die alle nicht ihre angestammten Instrumente spielen: Barbour versucht sich an der Trompete (sein Ansatz lässt zu wünschen übrig), die Arrangeure bedienen meist unbewohnte Instrumente, Red Norvo setzte sich ans Klavier – und Peggy Lee übernimmt durchaus kompetent das Schlagzeug. So viel blieb also übrig von der Idee, den Fokus übers Klavier hinaus zu erweitern – ich finde diese semi-dilettantische, spontane Nummer irgendwie wirklich hübsch, eine kleine Trouvaille. Und klar: dass Benny Carter und Eddie Miller das Alt- bzw. Tenorsax tauschten, zählt eigentlich nicht … aber Carter war ja auch an der Trompete ein echter Profi und ich vermute mal, dass zumindest er auch am Klavier keine schlechte Falle gemacht hätte (bei Miller weiss ich das nicht). Im Booklet der Mosaic-Box, der ich den Track entnommen habe, wird das Posaunensolo übrigens als Sherwoods Werk vermutet (May war ein kompetenter Trompeter, Derwin wie es scheint neben seiner Bandleadertätigkeit tatsächlich auch Gitarrist).
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NORMA TEAGARDEN (with JACK TEAGARDEN)
1. King Porter Stomp (Morton–Burke–Robbins)
Fred Greenleaf (t), Jack Teagarden (tb), Kenny Davern (cl), Norma Teagarden (p), Kass Malone (b), Ray Bauduc (d)
November 1954, New York City
von: Jazz Great (Bethlehem, 1956; CD: Avenue Jazz/Rhino/WEA, 1999)
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MARY LOU WILLIAMS
2. Mama, Pin a Rose on Me (Mary Lou Williams)
Mary Lou Williams (p)
New York, NY, 8. & 10. März 1955
von: A Keyboard History (Jazztone, 1955; CD: Poll Winners, 2011)
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HAZEL SCOTT (w/SEXTET OF THE RHYTHM CLUB OF LONDON presented by LEONARD FEATHER)
3. Calling All Bars (Leonard Feather)
Danny Polo (cl), Pete Brown (as), Hazel Scott (p), Albert Harris (g), Pete Barry (b), Arthur Herbert (d)
New York, NY, 1. Dezember 1939
von: Bluebird (Single, 1939; CD: Hazel Scott 1939–1945, Classics, 2003)
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BERYL BOOKER TRIO
4. Cheek to Cheek (Irving Berlin)
Beryl Booker (p), Bonnie Wetzel (b), Elaine Leighton (d)
Paris, 1954
von: Beryl Booker Trio with Don Byas à Paris (Vogue, 10″, 1954; CD: Don Byas Featuring Mary Lou Williams Trio & Beryl Booker Trio, BMG/Original Vogue Masters, 1999)
Unten das Cover der ebenfalls 1954 erschienenen US-Ausgabe, die bei Discovery herauskam:
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BLOSSOM DEARIE
5. (There Ought to Be a) Moonlight Saving Time (Kahal–Richman)
Blossom Dearie (p), Herman Garst (b), Bernard Planchenault (d)
Paris, 1955
von: April in Paris (Barclay, 1955 [?]; Fresh Sound/Barclay, 1979; CD The Pianist [Jazz in Paris; 94] EmArcy, 2002)
Die Veröffentlichungsgeschichte ist mir hier nicht ganz klar: ob die Platte – als 10″? – wirklich bei Barclay herauskam, konnte ich nicht bestätigen, 1987 erschien sie (mit einer weiteren Session, auf der Dearies damaliger Ehemann Bobby Jaspar an der Flöte dabei ist) bei Fresh Sound als LP, wobei die Katalognummer von Barclay auch wieder verwendet wurde (88.001). Das Album erschien auch unter dem Titel „Sings and Plays for Dancing“ beim Label Felsted (10″, Katalognummer SDL 86034, 1955). Um die Verwirrung noch zu vergrössern, ist im Booklet der Jazz in Paris-CD auch noch „Jazz sweet“ abgedruckt, als handle es sich dabei um den Titel des Albums.
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ADELAIDE ROBBINS
6. Great Day (Youmans–Rose)
Adelaide Robbins (p), Wendell Marshall (b), Teddy Sommer (d)
New York, NY, 7 Mai 1956
von: Adelaide Robbins/Marian McPartland/Barbara Carroll and Their Trios – Looking for a Boy (Savoy, 1957; CD: Savoy/Denon, 1993)
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BARBARA CARROLL
7. Garro’s Way (Barbara Carroll)
Barbara Carroll (p), Joe Shulman (b), Ralph Pollack (d)
New York, NY, 13. Oktober 1954
von: Lullabies in Rhythm (RCA Victor, 1955; CD: Barbara Carroll Trio – Complete 1951–1956 Recordings, 4 CD, Jazz Connections)
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MARIAN McPARTLAND
8. Gypsy in My Soul (Boland–Jaffe)
Marian McPartland (p), Max Wayne (b), Mel Zelnick (d)
New York City, 21. April 1952
Savoy-Single, später auf der LP „Great Britain’s“ (mit George Shearing) (CD: Savoy/Denon, 1992)
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PATTI BOWN
9. Waltz de Funk (Patti Bown)
Patti Bown (p), Joe Benjamin (b), Ed Shaughnessy (d)
New York, NY, 27. Oktober 1959
von: Patti Bown Plays Big Piano (Columbia, 1959; LP-Rip)
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DOROTHY DONEGAN
10. Louise (Whiting–Robin)
Dorothy Donegan (p), unknown (b), (d)
Live, The Embers, New York, NY, ca. 1958
von: Dorothy Donegan Live! (Capitol, 1959; LP-Rip von https://archive.org/details/lp_live_dorothy-donegan)
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TOSHIKO [TOSHIKO AKIYOSHI]
11. Kyo-Shu [Nostalgia] (Toshiko Akiyoshi)
Toshiko Akiyoshi (p), Paul Chambers (b), Ed Thigpen (d)
Boston, MA, 1954
von: Toshiko (Storyville, 1956; CD-Rip einer Japan-Ausgabe)
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BILLIE & DE DE PIERCE
12. San (McPhail–Michels)
Joseph „De De“ Pierce (t), Louis Nelson (tb), George Lewis (cl), Billie Pierce (p), „Papa“ John Joseph (b), Abbey „Chinee“ Foster (d)
Preservation Hall, New Orleans, LA, 3. Juli 1962
von: Billie & De De Piece / Jim Robinson – Jazz at Preservation Hall II (Atlantic, 1963; CD: The Atlantic New Orleans Jazz Sessions, Mosaic, 1998)
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bonus track:
TEN CATS AND A MOUSE
13. Three O’Clock Jump (improvisation)
Dave Barbour (t), Billy May, Bobby Sherwood (tb), Paul Weston (cl), Eddie Miller (as), Benny Carter (ts), Dave Cavanaugh (bari), Red Norvo (p), Hal Derwin (g), Frank De Vol (b), Peggy Lee (d)
Capitol Studios, Los Angeles, CA, 13. Oktober 1947
Capitol Single (CD: Classic Capitol Jazz Sessions, Mosaic, 1997)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba