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friedrich
(Er-)kenne nichts davon. Soll mich aber nicht davon abhalten, meinen Senf dazuzugeben.
Aber klar doch, danke!
friedrich
#01 – Sehr lebhaft und treibend, kompakt und präzise. Die einzelnen Stimmen – Trompete, Posaune, Klarinette, Piano – sind sehr schön verwoben und schieben sich abwechselnd in den Vordergrund. Die rhythm section arbeitet wie eine Dampfmaschine, tolle Solisten, die mit dem beat – äh … – grooven.
New Orleans, Dixieland oder Chicago? Stylistisch sicher pre-war, Aufnahme aber wohl post-war. Vielleicht so ein Fall, wo das Revival besser ist als das Original.
Hm, das mit dem besser als würde ich in diesem Fall eher anzweifeln … der Track fällt formal etwas raus aus dem Prinzip, das ich hier sonst umzusetzen versuchten (wie #3 auch). Der Leader war zumindest schon vor dem 2. Weltkrieg einer der besten auf seinem Instrument, aber dass das aus der Nachkriegszeit stammt, ist natürlich korrekt (fast ein Jahrzehnt nach Kriegsende).
friedrich
#02 – Ganz anders, Klavier, solo, wie nur für sich selbst gespielt, erst getragen, kommt dann aber in Fahrt. Klingt bluesig, ist aber eigentlich kein Blues, oder? Schön, wie die lakonische linke Hand mit der lebhaften rechten Hand korrespondiert und kontrastiert. Klingt fast so, als seien das zwei Musiker. Erinnert mich an irgendein Comeback-Album eines alten Blues-Recken. Weiß aber nicht welches und glaube auch nicht, das es/er das ist.
Das mit dem Blues ist ja so eine Frage … im ganz frühen Blues brauchte es das später erstarrte 12-Takte-Schema mit 1./4./5. Stufe ja auch nicht, um Blues zu sein. Ich höre das als eine Art Country-Blues, finde die Assoziationen von @vorgarten interessant (ohne sie selbst nachvollziehen zu können).
friedrich
#03 – Das swingt! Gitarre statt Piano. Hat auch was so kompaktes wie #01, aber leichtfüßiger und eleganter. Mehr Näh- als Dampfmaschine. Schöne kleine unisono-Passagen, kesse kleine rhythmische Verzögerungen. Sehr charmant!
„Statt“ Piano stimmt natürlich nicht … Intro und dann ein ordentlich irres Solo später. Aber in der Begleitung relativ zurückhaltend und ganz gut auf die Gitarre abgestimmt, finde ich.
friedrich
#04 – Erinnert anfangs mit dem Solo-Piano an #02, lässt sich erst etwas treiben, mit Einstieg von Bass und drums entwickelt es aber einen ähnlichen Nähmaschinen-Groove wie #03. Der/die Pianist/in will zeigen, was er/sie kann, lässt aber auch dem drummer etwas Platz für kleine akrobatische Einlagen. Schöne und elegante Shownummer.
Hier ist schon recht viel Show, aber hintenraus wird es stark, finde ich (gerade im Austausch mit dem Schlagzeug, das davor einen ständigen Tanz der Besen hinlegt). Ist kein Herzensding, diese Aufnahme, aber den Song mag ich total gerne („Cheek to Cheek“ vor Irving Berlin – das steht ja weiter oben schon und @vorgarten weiss auch, was das für eine Aufnahme ist).
friedrich
#05 – Es geht weiter mit einem eleganten Swing, aber zurückhaltender und sparsamer als #04. Eher cool als hot. Der/die Pianist/in tippt die Tasten fast bloß an und hat dabei ein feines Lächeln im Gesicht. Kleines, einfaches und einprägsames Thema, leicht, fast ein bisschen naiv wirkend. Alles andere als Blues!
Das ist sehr viel zurückhaltender … naiv wirkend passt, das gehört hier quasi zum Markenzeichen, ich finde es anderswo auch wahnsinnig toll, hier irgendwie toll und zugleich etwas frustrierend, weil ich denke: da ginge noch so viel mehr … und das auch ganz ohne aus der Stimmung auszubrechen. Das hier ist ja auch aus einer Zeit, als das 3-Minuten-Format längst Geschichte war, die Kürze war also zumindest nicht aus externen technischen Gründen auferlegt.
friedrich
#06 – Nochmal Piano-Trio. Aber das packt schon etwas anders zu. Deutlich akzentuierter, der/die Pianistin lässt die Finger tanzen und springen und zeigt auch was er/sie kann. Ein bisschen Kabinettstück, nach dem man lachend applaudiert. Und auch alles andere als Blues.
Das hier ist ein Rätsel (okay, ich hab bisher nicht weiter zu recherchieren versucht … aber viel wird da kaum zu finden sein) … am bekanntesten ist der Herr am Kontrabass, der im Solo aber viel zu leise ist. Das Klavier finde ich wirklich gut.
friedrich
#07 – Hier geht’s zur Sache! Am Anfang klingt nicht nur der drummer perkussiv. Latin flavour. Nimmt dann eine Umleitung ohne latin percussion um dann wieder zum Thema zurückzukehren. Und wieder hin und her. Zieht seinen Reiz auch aus den kontrastierenden Passagen – prägnantes perkussives Thema hier, freier fließendes Solo dort. Auch dies hier knapp, kompakt und präzise. Vermutlich aber kein Latino. Auch nicht Bud Powell. Gefällt mit in seiner Kürze und Würze. Hat Ohrwurmqualitäten.
An Bud Powell („Un poco loco“) muss ich hier auch ein wenig denken … aber zugleich ist das viel schlanker, gradliniger gespielt – was wiederum in einem interessanten Kontrast zu den durchaus vorhandenen Schnörkeln steht. So ganz komme ich da bisher nicht dahinter, aber höre immer wieder mal was (es gibt zum Glück was zu hören).
friedrich
#08 – Wenn es in diesem BFT nicht am Anfang zwei Aufnahmen mit Bläsern gegeben hätte und nicht auch noch ein Solo-Piano-Stück dabei wäre, würde ich tippen: Das Thema dieses BFT ist das Piano-Trio!
Wieder so ein kleines Piano-Kabinettstückchen. Gerade dachte ich an Dave Brubeck, weil sich das für mich fast klassisch geschult anhört. Ist er aber wohl nicht. Eher weiß als schwarz, wenn das nicht so doofe Kategorien wären.
Die Hälfte von „Piano Trio“ ist das halbe Thema, die andere Hälfte ist anderswo – aber ja, ich hatte einen Moment lang gedacht, alles Trio-Stücke zu wählen (bei #2 hätte es die passenden Alternativen gegeben) und dann ev. vorn und hinten was anderes zu platzieren. Aber dann waren halt drei „andere“ und das Solo. Gibt ja auch etwas mehr Abwechslung so, auch wenn die Klavierstile, die zu hören sind, auch ordentlich unterschiedlich sind. Hier gibt es ja diese kontrapunktischen Passagen, die wirklich fast klassisch daherkommen … Brubeck hätte die wohl alle mit Blockakkorden verdichtet und das ganze gröber geschnitzt, aber das hat schon eine gewisse Ähnlichkeit. Und ja, weiss stimmt hier.
friedrich
#09 – Das ist cool & sexy, swingt gelassen und lässt sich Zeit – was bei einigen der vorherigen Aufnahmen keineswegs der Fall war. Die zogen ihre Sache zügig durch. Das hier ist vom Thema weit weniger prägnant, springt einen nicht so an, das Stück groovet aber umso sämiger und ist spannend. ¾ Takt fällt mir gerade auf, oder?
Grübel … der unterschiedliche Umgang mit Zeit und Dynamik bei einigen der Stücke hier fällt mir auf. Einige stompen wie eine Dampflokomotive, andere ticken mit der fein-mechanischen Präzision eines Metronoms, wiederum andere haben einen entspannt pendelnden Swing, und das hier groovet mit herausfordernder Lässigkeit. Irgendwie ein unterschiedlicher Umgang mit Zeit, mit Regelmäßigkeit und Verschiebung, Dehnung und Verdichtung, Spannung und Entspannung. Nur so ein Gedanke …
Gell, das ist faszinierend: maximale Entspanntheit und doch reisst dieser gemütliche 3/4-Swing irgendwie mit, lässt nicht los, wird fast hypnotisch mit der Zeit … die Vergleiche zwischen den Tracks finde ich auch spannend, grad drum hätte ich auch kein Problem gehabt, das ales reinen p/b/d-bft zu präsentieren.
friedrich
#10 – Und wieder ein Kabinettstückchen, der Pianist zeigt seine rasanten Läufe (Huiii …!) und was er sonst noch so kann. Applaus, Applaus! Ist rasant, akrobatisch, toll, beeindruckend, kann ich auf die Schnelle aber nicht viel mehr zu sagen.
Huiii in der Tat. Das ist eine Aufnahme, die ich erst im letzten Moment bei der Vorbereitung kennenlernte … das stompt durch (auch dank der Drums, die nicht nur Besentanz auf Snare machen sondern ein paar heftigere Akzente setzen), das Klavier manchmal mit perfekten Perlenketten, dann mit Blockakkorden … @thelonica nannte Erroll Garner, was ich passend finde (die Passage von 2:16 an … das geht irgendwie direkt von Garner zu Garland, natürlich ohne Garners extremes hinter dem Beat spielen) – und doch ist das Clubmusik, ohne die ganzen Ansprüche von #8.
friedrich
#11 – Und jetzt das Gegenteil: Sehr zurückgenommen, mit viel Luft zwischen den Tönen (da ist sie wieder: die Zeit …), wirkt introvertiert und nachdenklich. Lyrisch. Romantisch. Melancholisch. Beeindruckt nicht durch Virtuosität, sondern durch Gefühl. Und Mut zur Lücke.
Evans vor Evans finde ich hier glaub ich die passende Beschreibung – auch wenn es hier noch ganz andere Einflüsse gibt, die aber relativ versteckt sind (in anderen Stücken treten sie viel deutlicher hervor). Evans gab’s da schon, aber ich kann überhaupt nicht abschätzen, ob ihn zu dem Zeitpunkt schon jemand kannte, ob man ihn überhaupt schon kennen konnte. Jedenfalls noch nicht als Leader eines Trio und ab Platte. Einer der Mitwirkenden hier hat später auch oft zusammen mit Evans im Studio oder auf der Bühne gestanden.
friedrich
#12 – Totales Kontrastprogramm. Jetzt geht’s wieder zurück auf Los oder es schließt sich der Kreis. Jedenfalls was völlig anderes als das vorherige Stück, deftiger Jazz im pre-war style wie Track #01. Stramm tuckernder beat. Ein bisschen wie Jahrmarkt. Tanzboden. Show. Macht mir Spaß, allerdings auch mit etwas Augenzwinkern und Schmunzeln.
Das schliesst den Bogen zum Opener … ist nochmal rauher, kommt tatsächlich aus New Orleans und nicht via Chicago nach New York (wobei in #1 noch ein weiterer geographischer Punkt zu nennen ist), das sind Veteranen, die ihr Ding machen und dafür kein Revival benötigen (das gab’s nur insofern, als dass halt jemand aus New York vorbeikam, um eine Platte zu machen).
friedrich
#13 – Das klingt wie früher Swing, einfacher beat, einfaches Thema, das im Hintergrund immer wieder mitläuft, davor abwechselnd sehr individualistische Solisten. Fast so, wie Ellington seine Solisten einsetzte, als Charaktere, die ihre eigene Geschichte erzählen, wie Schauspieler, die ihren Auftritt haben. Schönes Spannungsfeld zwischen der Einfachheit von Thema und Beat einerseits und Soli und Individualismus andererseits. Augenzwinkern und Schmunzeln wie oben.
Früher nicht ganz, aber Swing, klar … das mit den Solisten hat hier einen kleinen Twist. Und zum Thema gehört der Track auch nicht, drum ist es ein Bonustrack
friedrich
Das erstmal von mir. Die Unterschiedlichkeit der Stücke fand ich reizvoll, auch oder gerade bei oft gleicher Besetzung (Piano, Bass, drums). Die Pianisten hatten oft einen sehr unterschiedlichen Ansatz, was Rhythmus, Zeit, Spannung betrifft. Jedenfalls fiel mir das auf, auch wenn das wahrscheinlich nicht Thema dieses BFTs ist. Die Rahmung der Pianostücke durch die Oldtime-Jazz-Stücke fand ich interessant, auch wenn ich die Absicht dahinter nicht erkenne.
Lieblingstracks: #02, #07 und #09.
Danke @.gypsy-tail-wind!
Danke Dir fürs Mitmachen!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba