Antwort auf: blindfoldtest #33 – gypsy tail wind

#11914523  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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(Er-)kenne nichts davon. Soll mich aber nicht davon abhalten, meinen Senf dazuzugeben.

#01 – Sehr lebhaft und treibend, kompakt und präzise. Die einzelnen Stimmen – Trompete, Posaune, Klarinette, Piano – sind sehr schön verwoben und schieben sich abwechselnd in den Vordergrund. Die rhythm section arbeitet wie eine Dampfmaschine, tolle Solisten, die mit dem beat – äh … – grooven.

New Orleans, Dixieland oder Chicago? Stylistisch sicher pre-war, Aufnahme aber wohl post-war. Vielleicht so ein Fall, wo das Revival besser ist als das Original.

#02 – Ganz anders, Klavier, solo, wie nur für sich selbst gespielt, erst getragen, kommt dann aber in Fahrt. Klingt bluesig, ist aber eigentlich kein Blues, oder? Schön, wie die lakonische linke Hand mit der lebhaften rechten Hand korrespondiert und kontrastiert. Klingt fast so, als seien das zwei Musiker. Erinnert mich an irgendein Comeback-Album eines alten Blues-Recken. Weiß aber nicht welches und glaube auch nicht, das es/er das ist.

#03 – Das swingt! Gitarre statt Piano. Hat auch was so kompaktes wie #01, aber leichtfüßiger und eleganter. Mehr Näh- als Dampfmaschine. Schöne kleine unisono-Passagen, kesse kleine rhythmische Verzögerungen. Sehr charmant!

#04 – Erinnert anfangs mit dem Solo-Piano an #02, lässt sich erst etwas treiben, mit Einstieg von Bass und drums entwickelt es aber einen ähnlichen Nähmaschinen-Groove wie #03. Der/die Pianist/in will zeigen, was er/sie kann, lässt aber auch dem drummer etwas Platz für kleine akrobatische Einlagen. Schöne und elegante Shownummer.

#05 – Es geht weiter mit einem eleganten Swing, aber zurückhaltender und sparsamer als #04. Eher cool als hot. Der/die Pianist/in tippt die Tasten fast bloß an und hat dabei ein feines Lächeln im Gesicht. Kleines, einfaches und einprägsames Thema, leicht, fast ein bisschen naiv wirkend. Alles andere als Blues!

#06 – Nochmal Piano-Trio. Aber das packt schon etwas anders zu. Deutlich akzentuierter, der/die Pianistin lässt die Finger tanzen und springen und zeigt auch was er/sie kann. Ein bisschen Kabinettstück, nach dem man lachend applaudiert. Und auch alles andere als Blues.

#07 – Hier geht’s zur Sache! Am Anfang klingt nicht nur der drummer perkussiv. Latin flavour. Nimmt dann eine Umleitung ohne latin percussion um dann wieder zum Thema zurückzukehren. Und wieder hin und her. Zieht seinen Reiz auch aus den kontrastierenden Passagen – prägnantes perkussives Thema hier, freier fließendes Solo dort. Auch dies hier knapp, kompakt und präzise. Vermutlich aber kein Latino. Auch nicht Bud Powell. ;-) Gefällt mit in seiner Kürze und Würze. Hat Ohrwurmqualitäten.

#08 – Wenn es in diesem BFT nicht am Anfang zwei Aufnahmen mit Bläsern gegeben hätte und nicht auch noch ein Solo-Piano-Stück dabei wäre, würde ich tippen: Das Thema dieses BFT ist das Piano-Trio!

Wieder so ein kleines Piano-Kabinettstückchen. Gerade dachte ich an Dave Brubeck, weil sich das für mich fast klassisch geschult anhört. Ist er aber wohl nicht. Eher weiß als schwarz, wenn das nicht so doofe Kategorien wären.

#09 – Das ist cool & sexy, swingt gelassen und lässt sich Zeit – was bei einigen der vorherigen Aufnahmen keineswegs der Fall war. Die zogen ihre Sache zügig durch. Das hier ist vom Thema weit weniger prägnant, springt einen nicht so an, das Stück groovet aber umso sämiger und ist spannend. ¾ Takt fällt mir gerade auf, oder?

Grübel … der unterschiedliche Umgang mit Zeit und Dynamik bei einigen der Stücke hier fällt mir auf. Einige stompen wie eine Dampflokomotive, andere ticken mit der fein-mechanischen Präzision eines Metronoms, wiederum andere haben einen entspannt pendelnden Swing, und das hier groovet mit herausfordernder Lässigkeit. Irgendwie ein unterschiedlicher Umgang mit Zeit, mit Regelmäßigkeit und Verschiebung, Dehnung und Verdichtung, Spannung und Entspannung. Nur so ein Gedanke …

#10 – Und wieder ein Kabinettstückchen, der Pianist zeigt seine rasanten Läufe (Huiii …!) und was er sonst noch so kann. Applaus, Applaus! Ist rasant, akrobatisch, toll, beeindruckend, kann ich auf die Schnelle aber nicht viel mehr zu sagen.

#11 – Und jetzt das Gegenteil: Sehr zurückgenommen, mit viel Luft zwischen den Tönen (da ist sie wieder: die Zeit …), wirkt introvertiert und nachdenklich. Lyrisch. Romantisch. Melancholisch. Beeindruckt nicht durch Virtuosität, sondern durch Gefühl. Und Mut zur Lücke.

#12 – Totales Kontrastprogramm. Jetzt geht’s wieder zurück auf Los oder es schließt sich der Kreis. Jedenfalls was völlig anderes als das vorherige Stück, deftiger Jazz im pre-war style wie Track #01. Stramm tuckernder beat. Ein bisschen wie Jahrmarkt. Tanzboden. Show. Macht mir Spaß, allerdings auch mit etwas Augenzwinkern und Schmunzeln.

#13 – Das klingt wie früher Swing, einfacher beat, einfaches Thema, das im Hintergrund immer wieder mitläuft, davor abwechselnd sehr individualistische Solisten. Fast so, wie Ellington seine Solisten einsetzte, als Charaktere, die ihre eigene Geschichte erzählen, wie Schauspieler, die ihren Auftritt haben. Schönes Spannungsfeld zwischen der Einfachheit von Thema und Beat einerseits und Soli und Individualismus andererseits. Augenzwinkern und Schmunzeln wie oben. ;-)

Das erstmal von mir. Die Unterschiedlichkeit der Stücke fand ich reizvoll, auch oder gerade bei oft gleicher Besetzung (Piano, Bass, drums). Die Pianisten hatten oft einen sehr unterschiedlichen Ansatz, was Rhythmus, Zeit, Spannung betrifft. Jedenfalls fiel mir das auf, auch wenn das wahrscheinlich nicht Thema dieses BFTs ist. Die Rahmung der Pianostücke durch die Oldtime-Jazz-Stücke fand ich interessant, auch wenn ich die Absicht dahinter nicht erkenne.

Lieblingstracks: #02, #07 und #09.

Danke @gypsy-tail-wind !

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)