Antwort auf: george adams & don pullen

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vorgarten

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pullens biografie, 2021 von seinem jüngsten sohn keith als print-on-demand-buch veröffentlicht, ist eine eher traurige lektüre – zumindest erzählt sie eine andere geschichte als die, die erzählt werden soll (wie sich der entfremdete vater und sein lieblingskind am totenbett einander verzeihen, woraufhin der sohn von nun an sein eigenes selbstbestimmtes leben führen wird).

keith ist mitte der 70er jahre geboren worden, seinen vater hat er kaum gesehen, weil dieser keinen vertrag mit us-amerikanischen labels und agenten hatte und deshalb permanent in europa auf tour und in studios war. das ist eine in mehrerer hinsicht bittere geschichte, weil sie nicht nur von fehlender anerkennung dieser musik erzählt, sondern auch konkret die zerrissenheit pullens markiert, der zu diesem zweitpunkt 4 kinder von 2 geschiedenen frauen hat. die mutter von keith und seiner älteren schwester wird 1983 zu einer 48-jährigen haftstrafe verurteilt (warum, erzählt keith nicht), pullen erhält das sorgerecht, ist aber nie zuhause.

die effekte deser familiensituation wirken offenbar traumatisch auf alle beteiligten. keith reimt sich die karriere des vaters aus der rückschau zusammen, das meiste wirkt wie von wikipedia abgeschrieben, andere musiker hat er nie kennengelernt. pullen kümmert sich finanziell, um ein sicheres zuhause, gute schulen, kindermädchen – gibt aber z.b. dem interessierten sohn keine klavierstunden. es taucht eine frau in pullens leben auf, die sich um die kinder kümmert, etwas von jazz versteht, und esoterische interessen hat (keith, tief religiös, gibt ihr quasi mitschuld an der krebserkrankung des vaters). auf der anderen seite erzählt keith, wie pullen seinen beiden jüngsten kindern gegenüber sein coming-out hat, in einem raren offenen moment – über seine krebserkrankung (die kurz mal besiegt scheint, dann aber wieder zurückkommt) lässt er seine familie dagegen völlig im dunkeln. die liebhaber lernen sie kennen, den an den folgen von aids verstorbenen freund auch, wie das alles zusammenhängt, scheint keith immer noch nicht klar zu sein. das alles fällt in die zeit seiner pubertät, pullen ist durch den blue-note-vertrag zwar jetzt eigentlich in der nähe, aber als workaholic trotzdem nie da. keith erzählt von drastischen lebensveränderungen bei seinem vater in den letzten jahren, sagt aber nicht genau, was er damit meint. das ist alles nicht schön zu lesen, weil es auch dem text nicht gelingt, eine nähe zum vater herzustellen, die zu lebzeiten schon nicht möglich war.

schön fand ich: pullen hat – quasi kompensierend für abwesen- und verschlossenheiten – all seinen geliebten menschen kompositionen gewidmet: „one arc jake“ war für keith, „jana’s delight“ für die esoterische partnerin (der keith außerdem vorwirft, sich die musikrechte unter den nagel gerissen zu haben, die alte geschichte), „listen to the people – bonnie’s bossa nova“ für die langjährige therapeutin (die ein kleines vorwort geschrieben hat), „ode to life“ für den verstorbenen liebhaber.

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