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@clasjaz Das war ein Tuben-Fund von Gould – ich hab nicht versucht, rauszukriegen, von wann diese TV-Aufnahme ist und kannte sie davor nicht. Das mit dem Namen ist ja interessant, war das offiziell oder schrieb er sich selbst so?
Bei mir läuft heute Morgen mal wieder Ida Haendel:
Gerade nochmal das Booklet gelesen (immerhin ca. 7 Seiten Text, nebst einigen Fotos). Sie war noch nicht mal ganz zwölf, als die frühesten ihrer Decca-Aufnahmen (ab 1940) entstanden. In den Kriegsjahren spielte sie bei den Proms, wurde ab 1945 dann deswegen nicht berücksichtigt, als Decca begann, sich internationaler auszurichten: Sie galt als „domestic“ und nicht als „international“ Künstlerin. Vier der sechs CDs in dieser Box enthalten ihre frühen Aufnahmen (1940-47), bevor sie zu EMI wechselte, wo sie aber auch nicht angemessen dokumentiert wurde, wie man leider feststellen muss. Das grandiose Album mit Ashkenazy ist dann auf CD 5 zu finden und auf CD 6 folgen Aufnahmen aus Israel im Dezember 1982, als Zubin Mehta dort zu Ehren von Huberman ein Festival veranstalte, zu dem ganze sieben Weltklasse-Geiger*innen kamen. In Vivaldis Konzert h-Moll für vier Violinen (Op. 3 Nr. 10 aus „L’estro armonico“, RV 580) sin zu hören: Isaac Stern, Ivry Gitlis, Haendel und Shlomo Mintz, auch vor Ort waren zudem Szeryng, Perlman und Zukerman. Ihr „feature“ war das Sibelius-Konzert, auf diesen Aufnahmen spielen Mehta und das Israel Philharmonic Orchestra (das Huberman 1936 als Palestine Symphony Orchestra gegründet hatte, 1982 galt es, seinen 100. Geburtstag zu feiern). Als Bonus ist dann noch ein zuvor unveröffentlichtes „A Lark Ascending“ von 1997 mit dem LPO unter Norrington zu hören, geplant als Teil eines unvollendeten Vaughan Williams-Zyklus, bei dem die Symphonien durch kleinere Werke ergänzt wurden. Das Album, auf dem Haendel hätte zu hören sein sollen, kam leider nicht heraus.
Was die frühen Aufnahmen angeht, ich denke die Bonus-CD des Albums mit Ashkenazy macht da eine ganz gute Auswahl, was die Kammermusik angeht. Ein paar grössere Werke, die aufgenommen wurden, blieben damals (ein Grund könnte schlicht der Mangel an Schellack sein, neben qualitativen Entscheiden) unveröffentlicht und sind vermutlich später verloren gegangen, darunter die Sonate von Debussy, Mozarts e-Moll-Sonate (KV 304) und die dritte von Brahms, die zusammen mit der achten von Beethoven im Februar 1941 mit Noël Mewton-Wood eingespielt wurde. An substantielleren Kammermusik-Werken sind sonst noch dabei: Schuberts Sonatina g-Moll Op. 137 Nr. 2 (D 408), die Carmen-Fantasie von Sarasate und Notturno e tarantella Op. 28 von Szymanowski (alle mit Adela Kotowska), Ravels Tzigane, Stravinskys Divertimento (arr. Dushkin) sowie Bartóks „Hungarian Folk Tunes“ und „Romanian Folk Dances“ (alle mit Ivor Newton) Sarasates Zigeunerweisen sind gleich zweimal zu hören: 1940 mit Kotowksa und 1947 mit Newton. Kotowaska spielt auf fast allen kleinen Stücken („Encores“) Klavier (viel Kreisler, aber auch Leclair, Dvorák, Wieniawski, Falla, Albéniz, Massenet usw.), nur je einmal sind Mewton-Wood und die ältere Schwester Alice Haendel zu hören. Alice sollte zunächst den verhinderten Traum des Vaters, Violine zu spielen, verfolgen, doch Ida erwies sich bekanntlich als das wundersame Talent, während Alice eine leidlich gute Pianistin wurde, die aber nicht professionell spielte. Im Oktober und Dezember 1942 fanden Sessions mit den zwei Schwestern statt, von denen aber nur die „Hebrew Melody“ von Achron überlebte, u.a. Sarasates „Romanza andaluza“ ist verloren.
Neben der Kammermusik sind aber auch ein paar frühen Konzert-Einspielungen zu hören, mit dem National Symphony Orchestra, das der Amateur-Dirigent Sidney Beer gegründet hatte, um Kriegsrückkehrern, die Musiker werden oder ins Musikerleben zurückkehren wollten, einen Posten zu bieten. Das hervorragende Orchester wird bei der ersten Aufnahme von Haendel mit Orchester von Basil Cameron geleitet und es gibt das Tschaikowski-Konzert (April 1945 und Februar 1946), bei den ersten Sessions im April – als in London keine Luftangriffe mehr zu befürchten waren und die Lage sicher genug war, als dass ein Orchester dort auftreten konnte) wurde auch noch Saint-Saëns‘ Introduction et Rondo Capriccioso aufgenommen. Im September 1945 entstand unter der Leitung von Malcolm Sargent („You play remarkably well, young lady, but you have much to learn.“) das Konzert von Mendelssohn. Im Juli 1947 folgte dann unter Karl Rankl noch das Konzert von Dvorák – die letzte Decca-Aufnahme von Haendel. Decca nahm inzwischen mit seinem „ffrr“-Verfahren auf, was für „full frequency range recording“ steht und den aufgezeichneten Frequenzbereich massiv erweiterte. Entwickelt hatte die Technik der Ingenieur der Firma, Arthur Haddy, als er im Krieg Mikrophone entwickelte, die es erlaubten, feindliche U-Boote unter Wasser anhand ihrer Motorengeräusche zu identifizieren. Verloren ist eine Einspielung von Lalos „Symphonie espagnole“, die im September 1945 von Enrique Jorda geleite wurde.
Haendel hatte mit Auftritten und mit Aufnahmen nicht die geringste Mühe. In den Liner Notes von Alan Sanders wird sie zitiert: „At that time I was still so unsophisticated that all I looked for was a beautiful tone, flawless technique, tasteful glissandi. All this I found in my playing and I was more than content.“ Ihr Debut in London hatte sie im Dezember 1936 in der Queen’s Hall gegeben – schon das eher ungewöhnlich, fanden solche ersten Auftritte doch üblicherweise in der kleineren Wigmore Hall statt. Doch Haendel war ein grosser Erfolg, Henry Wood wurde auf sie aufmerksam, und unter seiner Leitung führte sie im Dezember 1937 das Brahms-Konzert auf (wieder in der Queen’s Hall): „I probably didn’t understand it: you can’t expect a child to understand a genius like Brahms. I was using pure instinct“, sagte sie später. Wood schrieb später: „Her tone and feeling in the concerto were so beautiful that I seemed to hear dear old Ysaÿe at my side again.“ Die frühen Schallplatten-Aufnahmen mussten natürlich ins 78er-Format gezwängt werden, aber auch damit hatte Haendel keine Mühe: „In those days you just had to play and hope for the best. It was easier in a way when tape came in, but not less strenuous in the end, since you still wanted to play to perfection, so that you did not have to go back and do a re-take.“ Ganz in diesem nonchalanten Geist entstanden schon bei Haendels erstem Tag im Studio zwölf „sides“ (also encores, die jeweils auf einer Seite einer Single Platz fanden), von denen zehn als veröffentlichungswürdig eingestuft wurden – und neun von ihnen waren „first takes“.
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