Antwort auf: Count Basie

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In den ersten Monaten des Jahres 1962 war die Band unterwegs, spielte unter anderem zum ersten Mal auf Jamaica und den Bahamas, verbrachte ein paar Wochen im Süden und im Mid-West, zudem einen Monat in Europa. Nach der Rückkehr ging es für eine Woche an die World’s Fair in Seattle und ein paar Wochen nach Kalifornien, bevor eine Reihe von One-Nightern die Musiker im Sommer nach New York zurück brachten, wo die letzten Roulette-Aufnahmen entstanden.

Sechs letzte Studio-Sessions für Roulette fanden zwischen dem 2. und dem 26. Juli 1962 statt. Die Musik erschien auf den LPs „Easin‘ It (Music from the Pen of Frank Foster)“ (1963), „Back with Basie“ (1964), in der 3-LP-Box „The World of Count Basie“ (1964) sowie der Split-LP mit Maynard Ferguson, „Big Band Scene `65“ (1965).

Freddie Green ist an der Gitarre zurück, Fortunatus „Fip“ Ricard hatte noch in Kalifornien den Platz von Snooky Young eingenommen, und dazu kam noch ein veritabler „end of an era“-Wechsel: Bassist Eddie Jones wechselte von der Musik zu einem Job bei IBM. Bei der ersten Session am 1. Juli ist Art Davis am Bass zu hören, bei der zweiten übernimmt dann zudem Gus Johnson (der in den frühen Fünfzigern zur Band gehörte) von Sonny Payne – in Basies Autobiographie heisst es, er hätte „a few personal problems“ gehabt. Und obwohl Payne ein toller, manchmal überraschend unberechenbarer (im Guten wie im Schlechten) Big Band-Drummer war: Gus Johnson steht im Ranking der Basie-Drummer direkt hinter Jo Jones (und für meine Ohren direkt vor Shadow Wilson) an zweiter Stelle. In der dritten Session sind dann Major Holley/Johnson zu hören, in der vierten Ike Isaacs/Payne, in der fünften und sechsten Art Davis/Louis Bellson. Der künftige Bassist, der nicht nur einsprang, war dann Buddy Catlett, der davor u.a. bei Quincy Jones aber auch in der Combo von Eddie „Lockjaw“ Davis und Johnny Griffin gespielt hatte.

Freddie Green ist nicht nur im ersten Stück der ersten Session, Thad Jones‘ „The Elder“, kurz im Vordergrund zu hören (neben Aarons und dem Leader) sondern in Frank Fosters folgendem „Four-Five-Six“ gleich wieder. Hier sind Thad Jones und – sein Debut – Eric Dixon die Solisten. Es folgt „Toot Sweet“, in dem Komponist/Arrangeur Jones, Frank Wess an der Flöte und Benny Powell an der Posaune zu hören sind. Das Stück war schon ein Jahr im Repertoire der Band, wurde aber – das Schicksal vieler Arrangements von Thad Jones – nur selten gespielt. Dann endet die Session mit „Summer Frost“ von Frank Wess, einer wunderschönen Ballade – Sonny Cohn an der offenen, Al Aarons an der gestopften Trompete – und dem dem Höhepunkt der Session, wie „The Elder“ auf „Back with Basie“ veröffentlicht. Das Stück von Foster erschien auf „seinem“ Album „Easin‘ It“, das zweite von Jones auf Big Band Scene `65″.

Bei der zweiten Session entstanden wieder vier Stücke, von denen aber drei erstmals in der Mosaic-Box zu finden sind, nur „I Got It Bad“ erschien auf „Back with Basie“, die Arrangeure sind für alle vier Stücke unbekannt. Eigenes Material gab es dieses Mal keines, die Session öffnet mit „The Song Is You“ in schnellem Tempo, ein Feature für Henry Coker, der schon im Thema nicht immer perfekt intoniert, und im Solo phasenweise etwas unsicher wirkt – vielleicht der Grund, dass das Stück nicht erschienen ist. „I Got It Bad“ gehört Dixons Tenor, das hier ein wenig an Al Sears erinnert. Es folgen zwei Stücke mit der Sängerin Irene Reid, Ray Charles‘ „Them That’s Got“ und „It Won’t Be Long“, die beide ohne Soli auskommen.

Bei der dritten Session (Major Holley übernimmt am Bass – er spielte damals mit der Band von Coleman Hawkins, die 1962 auch superbe Aufnahmen gemacht hat). Auf Fosters „Matte Jersey“ legt Holley gleich mal vor, und der Solist Henry Coker klingt deutlich besser als zwei Tage zuvor. „Molasses“ ist eins der wenigen Arrangements von Joe Newman, der die Band längst verlassen hatte: ein Shuffle mit Elementen von Soul und Gospel, einem tollen „preaching“ Solo von Frank Foster und einem guten Spot für Sonny Cohn, der stark an Newman erinnert (das Stück landete auf „Big Band Scene `65“). Die Session zeitige noch ein drittes Stück, das wie das erste auf der LP „Back with Basie“ landete, „Thanks for the Ride“, Arrangeur unbekannt und ein Jahr früher im Birdland noch als „So Young, So Beautiful“ verzeichnet (vermutlich der Arbeitstitel). Marshall Royals cremiges Altsax steht hier im Zentrum, dazwischen sind auch Sonny Cohn und Eric Dixon zu hören.

Beim Auftritt in Newport 1956 spielte Walter Cole den Bass, doch als Sonny Payne eine Woche später zurückkehrte (die vierte Session fand am 13. Juli 1962 statt), war Ike Isaacs am Bass dabei. Diese ständigen Wechsel hatten den Effekt, dass die für Basies Musik so zentrale Rhythmusgruppe etwas weniger stabil wirkt als üblich – trotz Gus Johnson, bzw. weniger auf den beiden Sessions mit ihm. Bei der vierten Session wurden zwei Kompositionen (und Arrangements) von Ernie Wilkins eingespielt, die beide erst in der Mosaic-Box erschienen sind: „The Third Stage“ und „I Gotcha“. Das erste ist ein Flirt mit modalem Jazz – und der gelingt überraschend gut. Die Solisten sind Aarons, Powell, Dixon und der Leader am Klavier. Das zweite ist ein Blues, in dem Thad Jones gegen das Ensemble anspielt. Nach dem Leader ist dann auch Frank Wess an der Flöte zu hören. Beides sind tolle Stücke und es ist schwer nachvollziehbar, dass sie damals nicht herausgebracht wurden.

Knapp zwei Wochen später fanden am 25. und 26. Juli 1962 Basies letzte Roulette-Sessions statt. Sonny Payne hatte drei Tage nach der vorigen Session bei einem Auffahrunfall, in den vier Wagen verwickelt waren, schwere Gesichtsverletzungen erlitten. Seine Genesung sollte am Ende ein halbes Jahr dauern – und dass die Band deshalb nicht in die von Down Beat schon Monate zuvor herbeigeschriebene Krise fiel, hatte mit einem alten Freund zu tun: Louis Bellson sprang ein und ging direkt danach auch mit der Band auf Europa-Tour, bei einem Auftritt in Schweden entstanden im August die allerletzten Roulette-Aufnahmen Basie.

Bei den zwei Sessions mit Bellson und Ike Isaacs am Bass entstanden neun Stücke, von denen drei auf „Easin‘ It“ landeten, vier auf „Back with Basie“ und zwei („Lullaby of Birdland“ in gekürzter Fassung) auf „The World of Count Basie“. Das erste Stück ist ein weiteres Feature für Marshall Royal, „The Touch of Your Lips“, dessen Arrangeur unbekannt ist. Chris Sheridan denkt, es könnte eins von Eric Dixons ersten für die Band sein. Die kurze Flötenpassage stammt von Frank Wess. In Thad Jones‘ „Bluish Grey“ ist wieder einmal die Gitarre von Freddie Green prominent platziert, das Stück hat einen damals modischen Gospel-Touch, ist aber gekonnt arrangiert. Quentin „Butter“ Jackson holt den Plunger hervor, danach sind auch Basie und der Komponist zu hören – Jones mal wieder sehr markant – dass nicht er nicht mal nach dem Abgang von Newman zum wichtigsten Trompetensolisten wurde, bleibt mir auf immer ein Rätsel.

Die erste Session endet mit zwei weiteren Foster-Stücken, „It’s About That Time“ und „Mama Dev Blues“ (beide auf „Easin‘ It“). Im ersten sind Flöte und Bassklarinette im Unisono zu hören (Wess und Fowlkes), bevor Wess, Powell und Basie solieren. Der Blues ist Irene Reid gewidmet, die allerdings abgesehen von der einen Single und den vier unveröffentlichten Stücken nicht nochmal zu hören ist. Besser als O.C. Smith, der überhaupt nicht zum Zug kam und nur bei den von Mosaic vollständig vorgelegten Roulette-Live-Aufnahmen auch tatsächlich zu hören ist. Komponist Foster, Jackson (am Plunger) und der neue Trompeter Fortunatus „Fip“ Ricard (grosser Ton, ziemlich altmodisch, inklusive Highnotes – auch er ist retro und bringt keinen frischen Wind) sind die Solisten – und der äusserst solide Bass von Ike Isaacs ist sehr prominent im Mix.

Die zweite Session öffnet mit Wess‘ „Peppermint Pipes“, in dem der Komponist zusammen mit Dixon im Flöten-Call-and-Response und danach allein im Solo zu hören ist. Danach ist eine ziemliche „oddity“ an der Reihe: Lalo Schifrins Arrangement von Jobims „One Note Samba“. Schifrin war damals Dizzy Gillespies Arrangeur und von dort kommt das Stück wohl auch. Dixon spielt ein starkes Solo am Tenor, allerdings im swingenden 4/4. „Basie’s Jingle Bells“ erschien auch als Single (und in der 3-LP-Box unten) – eine Novelty, auch wenn der Leader und besonders Dixon sich anstrengen.

„Lullaby of Birdland“, das Stück von George Shearing, war schon ein Jahrzehnt früher zum Band-Thema von Basies neuer Band geworden – aber erst jetzt, wo die Ära von Basie im Birdland vorbei war, nahm die Band das Arrangement von Ernie Wilkins auch mal noch im Studio auf. Wess (Flöte), Aarons und der gesamte Trompetensatz stehen im Zentrum. Den Abschluss macht ein letztes Stück von Frank Foster, der „Misunderstood Blues“, in dessen Thema Aarons mit gedämpfter Trompete zu hören ist. Basie ist in seinem Element, vor ihm ist Foster am Tenor, nachher Wess oder Dixon an der Flöte zu hören (ich tippe auf Dixon, Sheridan kann sich nicht entscheiden, er schreibt, um Basie herum höre man „the two Franks, Foster on tenor and Dixon on flute“).So endet eins der feinsten Kapitel aus Basies langer Karriere sehr versöhnlich, nachdem diese letzten Sessions davor nicht immer so konsistent waren.

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