Antwort auf: Count Basie

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Im Oktober 1961 – nach zehn Monaten Pause – folgten die nächsten Sessions der Basie Big Band für Roulette: ein zweites Album mit Arrangements von Benny Carter, „The Legend“ (oben die UK-Ausgabe der LP). Inzwischen hatte die Band leider Federn lassen müssen. Joe Williams und Joe Newman waren die schmerzlichsten Verluste. Der Trompeter war seit Mitte der Vierziger bei Basie, nach ein paar Jahren Absenz kehrte er 1952 zur New Testament Band zurück und bis Neujahr 1960/61. Sein Ersatz war Lennie Johnson, der aber weder über die selbe Erfahrung noch über vergleichbares Können als Solist verfügte. In Down Beat konnte man damals lesen: „Trade talk is that things are far from stable among the Count Basie Band personnel; key sidemen may exodus soon due to conflict of interest between independent writing assignments and road work with the band“ (2. Februar 1961, S. 50).

So schlimm kam es nicht, aber auch Al Grey verliess die Band im Januar 1961. Bei einem Auftritt für Kennedy im Weissen Haus meldete er sich krank, als er am nächsten Tag wieder auftauchte, wurde er entlassen. Quentin Jackson von der Band von Quincy Jones war sein Ersatz. Zu möglichen Gründen findet man in Basies Autobiographie leider keine Hinweise. Anfang Februar verliess dann auch Billy Mitchell die Band – um eine neue Combo zusammen mit Grey zu leiten. Sein Ersatz war Albert „Budd“ Johnson, damals ebenfalls mit Quincy Jones unterwegs, aber natürlich ein Veteran mit Erfahrung in so mancher Band, und wie Basie mit der Szene von Kansas City bestens vertraut. Im August 1961 – also noch vor den nächsten Aufnahmen der Band (es gab dazwischen ein Album mit Sarah Vaughan) – übernahm Al Aarons für Johnson. Er sollte lang bleiben und ganz hübsche Soli beitragen, aber die kamen in ähnlich lyrischer Gestalt wie die von Newman daher und klangen oft etwas anachronistisch, altmodisch.

Bei den Sessions zu „The Legend“ – an vier aufeinanderfolgenden Tagen vom 30. Oktober bis zum 2. November 1961 – nahm Benny Carter auch in der Sax Section Platz, er ersetzte zwar Marshall Royal, den Lead-Altisten, aber nur unter der Bedingung, dass er die zweite Stimme spielen durfte. So übernahm für einmal Frank Wess den Lead der Sax-Section. An der Gitarrre sprang Sam Herman aus der Dorsey Brothers Band für den aus persönlichen Gründen abwesenden Freddie Green ein, die neuen Stimmen – eine konnte Joe Williams nicht ersetzen – waren Irene Reid und O.C. Smith. Bei der ersten Session kamen drei Stücke zustande, in denen vor allem Frank Foster gut zur Geltung kommt, aber auch Thad Jones und – in „The Trot“ – erstmals Al Aarons sowie Henry Coker zu hören sind.

Am zweiten Tag entstand nur ein Stück, das am Vortag zu keinem guten Take kam, „The Twister“. Chubby Checker lässt grüssen, die Soli von Budd Johnson und Basie selbst klingen fast wie Parodien, typisch dann auch der Fade-Out … das gab eine Single, der „The Trot“ (als „The Basie Trot“) als B-Seite beigegeben wurde.

In „The Swizzle“ hört man in den ersten Takten dann anscheinend doch Carter am Lead, dann folgen – zwischen typisch Carter’schen Sax-Tutti – tolle Soli von Thad Jones und Budd Johnson. Grad letzterer ist für meine Ohren für jede Band ein Gewinn, auch für die von Basie. Das ändert aber nichts, dass die bis in die vierten Stimmen super eingespielte Maschinerie, die seit 1956 bestand, mit den personellen Wechseln halt etwas an Schlagkraft und Kohärenz verlor. Sonny Payne gibt bei diesen Sessions mal wieder alles, und grad die Tenorsolisten Foster und Johnson scheinen das richtiggehend zu geniessen. In „Who’s Blue?“ hat dann Aarons mit seiner bittersüssen Trompete erneut die Gelegenheit, sich zu präsentieren – und das ist schon sehr gut. Es folgten zwei erste Versuche mit dem neuen Blues-Shouter O.C. „Ocie“ Smith, „Don’t Push, Don’t Pull“ (arr. Ernie Wilkins) und „Don’t Worry ‚bout Me“ (arr. Edgar Sampson) – beide „rejected“ und verloren.

Bei der vierten Session fanden sich dann ein paar Gäste im Studio ein: Cozy Cole nimmt in „Turnabout“ den Platz von Sonny Payne ein, in dem Johnson das erste Solo spielt und dann in den Dialog mit Foster tritt. Aarons, der Leader und Coker sind auch noch zu hören. In „Amoroso“ steuert dann wieder Sonny Payne durch den afro-kubanischen Beat, während Thad Jones, Snooky Young, Charlie Fowlkes und Basie zu diversen Percussion-Instrumenten greifen (Young schlägt mit einem Drumstick auf einen „derby hat“, eine Melone). In einem leider verlorenen Take übernahm dann Dizzy Gillespie von Basie die Cowbell. Die Session endet mit „Easy Money“ – Fowlkes hat noch im Studio die Stimmen kopiert, Snooky Young und Benny Powell sind hier endlich mal wieder zu hören. Bei dieser Session sollte dann auch noch Irene Reid eingeführt werden, aber beide Wilkins-Arrangements sind verloren („Easy Living“ und ihr „signature tune“, „Alexander’s Ragtime Band“).

Nach den Sessions zog die Band ein paar Wochen auf One-Nightern durch die Lande, bis hoch nach Ontario und dann zurück, um wie üblich die christmas season im Birdland zu spielen. In der Zwischenzeit war Budd Johnson weitergezogen, sein Ersatz kam wieder aus der Band von Quincy Jones: Frank Wess hat Eric Dixon empfohlen, der lange bleiben sollte (und sich mit Wess die Vorliebe für die Querflöte teilte, die denn auch bald zum Einsatz kommen sollte). Anfang Januar 1962 schloss die Band den Gig im Birdland ab. Es sollte die letzte sein, nach zehn Jahren, in denen die New Testament Band nicht nur zwei bis drei einmonatige Gigs pro Jahr dort spielte, sondern auch – wenn sie in New York war – vor den Öffnungszeiten wöchentliche Proben abhielt. Morris Levy – Manager von Birdland und Besitzer von Roulette Records – merkte, dass der Wind drehte. Eine Schlagzeile in der Village Voice brachte es auf den Punkt: „Birdland goes go-go“. Basie sollte auch bald ohne Plattenvertrag dastehen: im August 1962 lief sein Vertrag mit Roulette aus. Das zusammen markiert dann eigentlich den Schlusspunkt des „Atomic“-Kapitels der „New Testament“-Ära von Basie – auch wenn er natürlich weitermachte, 1962 ein Small Group-Album für Impulse! aufnahm (wegen des Labels eine Spur überschätzt, denke ich, aber schon ganz gut: Thad Jones und alle drei wichtigen Saxer: Wess, Foster und Dixon, plus Basie/Jones/Payne) und auch schon die ersten Alben für Verve machte – das alte neue Label, das inzwischen zwar nicht mehr Norman Granz gehörte (er war 1959 in die Schweiz gezogen und hatte Ende 1960 Verve an M.G.M. verkauft). „On My Way & Shoutin‘ Again!“ war auch gleich eins der wenigen richtig guten aus diesem Übergangsjahrzent, das erst 1973 endete, als Granz sein neues Label Pablo gründete und Basie dort unterkam. Davor gab es nach den paar Jahren bei Verve auch Alben für United Artists (das superbe Bond-Album mit Eddie „Lockjaw“ Davis), MPS, Dot („Standing Ovation“ von 1969 ist ebenfalls grosse Klasse!) etc. Das Material im Studio wurde kommerzieller, weniger anregend – es gab Beatles-, Broadway-, Hollywood- und eben Bond-Alben etc. – die Qualität der Solisten nahm im Lauf der Jahre ebenfalls stetig etwas ab, vor allem in den Blech-Sections (Aarons blieb bis 1969, sonst lesen wir da Namen wie Oscar Brashear, Gene Goe, George „Sonn“ Cohn, Grove Mitchell, Richard Boone), bei den Saxophonen sorgten Dixon und der Rückkehrer Eddie „Lockjaw“ Davis für Kontinuität, auch Sonny Plater war nicht von schlechten Eltern, Marshall Royal und Charlie Fowlkes blieben beide bis 1969 dabei. Aber da greife ich jetzt etwas vor. Das ist aber insofern für Roulette relevant, als dass das Label seine Aktivitäten 1962 bis auf einen anderen „Hauskünstler“, der schon länger als Basie dabei war, Sonny Stitt, einstellte. Basie-LPs erschienen aber noch bis 1964/65 auf dem Label.

Am 13. Januar 1962, als die Band noch bei ihrem einwöchigen Auftritt im Apollo war, fand dann eine weitere Session statt, bei der Irene Reid im Mittelpunkt stand. „Alexander’s Ragtime Band“ (vermutlich von Wilkins arrangiert, Aarons spielt die gestopfte Trompete) kam als B-Seite von „Untouchable“ (arr. Wilkins) heraus. Die beiden weiteren Stücke, „Yes Sir, That’s My Baby“ (das Arrangement klingt nach Frank Foster) und „Backwater Blues“ (ein Stück von Bessie Smith, deren Text Reid aber grosszügig ändert – Frank Wess und Quentin „Butter“ Jackson begleiten die Sängerin) mussten bis zur Mosaic-Box 1993 warten.

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