Antwort auf: COLDPLAY – World Tour 2022

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jackofh

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Ich habe Coldplay das erste Mal 2000 bei der so genannten „Rolling Stone Roadshow“ live gesehen. Das war ein sehr seltsames Format mit drei Acts an einem Abend (neben Coldplay noch Toploader und Keith Caputo). Coldplay hatten damals zwar gerade erst ihr Debütalbum „Parachutes“ herausgebracht, waren aber doch nach meinem Eindruck die Band, wegen der die meisten Besucher*innen gekommen waren. Kurioserweise mussten sie dennoch den Abend eröffnen. Das Berliner Publikum war da zum Teil noch gar nicht anwesend und erst recht nicht in Stimmung, was Chris Martin ziemlich verärgerte, so dass er mehrmals sarkastische Kommentare abgab. Man merkte: Die Band war zwar noch ziemlich jung und galt als leiser Indie-Act (die Bühnendeko bestand nur aus einem beleuchteten Globus – analog zum Plattencover). Dennoch wollte sie schon groß sein und von allen geliebt werden.

Das zweite Mal sah ich Coldplay dann 2002 zur „A Rush Of Blood To The Head“-Tour in der (nach meiner Erinnerung: ausverkauften) Arena. Ein absolut triumphales Konzert! Chris Martin war nicht mehr der schüchterne Junge, sondern hatte sich zu einem Rockstar gemausert, der die Massen absolut im Griff hatte. Und die Band orientierte sich eindeutig in Richtung Entertainment. Ich war über das ulkige Rammstein-Cover von „Du hast“ ebenso erstaunt wie über die (für eine Indieband, als die Coldplay damals durchaus noch galt) aufwändige Lasershow. Hier war schon alles auf Überwältigung aus – auch, wenn von der Bühne meist noch eher verhaltene Töne kamen.

Mit dem dritten Album „X&Y“ habe ich dann das Interesse an Coldplay verloren und sie danach auch nie wieder live gesehen. Ihre neueren Stücke höre ich nur noch gelegentlich im Radio. Wenn ich diese aber höre und die Videos von den aktuellen Shows sehe, ist das eine absolut folgerichtige Entwicklung, die die Band genommen hat. Sie sind heute die globale Popband, die Chris Martin immer schon vorgeschwebt hat (ich meine, das war im Jahr 2000 schon angelegt). Die Musik ist dabei mittlerweile auf Gefälligkeit/Massentauglichkeit ausgerichtet und funktioniert generationenübergreifend (z.B. bei den Kindern meiner Freundin). Und sie ist nur in Kombination mit der Show wirklich zu verstehen und auch zu würdigen. Der Faktor Unterhaltung, also die Dinge, die sich die Band abseits der reinen Darbietung ihrer Musik ausdenkt, spielt nach meinen Eindrücken bei den Konzerten mindestens eine ebenbürtige Rolle (wenn nicht die Hauptrolle). Ich habe eine Besprechung des Berliner Konzerts neulich hier im Radio gehört, bei der es mehr darum ging, was das Publikum alles gemacht hat oder welche Effekte die Band aufgefahren hat, als wie sie eigentlich ihre Songs gespielt hat. Coldplay-Konzerte sind offensichtlich Events, bei denen die Band gemeinsam mit ihren Fans die Lebenslust feiert. Wen wundert es da, dass das in dieser Zeit extrem erfolgreich ist? Die Leute gehen da hin für diese Inszenierung und dafür, in dieser Masse aufzugehen und für zwei, drei Stunden ihre Sorgen zu vergessen. Und es ist selbstverständlich vollkommen in Ordnung, auch wenn es nicht meins ist.

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