Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Mailand, La Scala – 21.06.2022

La Gioconda
Amilcare Ponchielli

Teatro alla Scala Orchestra and Chorus
Chorus Treble Voices and the students of the Ballet School of the Teatro alla Scala Academy
Conductor Frédéric Chaslin
Staging Davide Livermore
Sets Giò Forma
Costumes Mariana Fracasso
Lights Antonio Castro
Video Designer D-WOK
Choreography Frédéric Olivieri
Chorus Master Alberto Malazzi

La Gioconda Saioa Hernández
Laura Adorno Daniela Barcellona
Alvise Badoèro Erwin Schrott
La Cieca Anna Maria Chiuri
Enzo Grimaldo Stefano La Colla
Barnaba Roberto Frontali
Zuàne Fabrizio Beggi
A singer / A pilot Giorgio Valerio
Isèpo Francesco Pittari
Barnabotto Guillermo Esteban Bussolini

Die letzten drei Opern der Saison – nur ein paar Sätze. Ich kannte „La Gioconda“ noch gar nicht – und ich kann auch verstehen, warum die Oper nicht populärer ist. Allerdings fand ich die Aufführung in Mailand mit zwei Pausen (die aus dem Stück, das auf zwei CDs Platz findet, ein fast vierstündiges Spektakel machten, etwas aufgebläht (die Pausen müssen zudem lang sein, weil erst muss man ja an der Kasse anstehen, um den Spritz zu bezahlen und danach nochmal an der Bar, um die Quittung einzulösen). Die Inszenierung war allerdings sehr schön, aufwändige Bühnenbilder, tolles Licht, sehr guter Einsatz von Video – alles sehr lyrisch, sehr stimmungsvoll. Die aufwändige Bühne machte wohl auch zwei Umbaupausen nötig. Und das war echt schade, denn erst bei der zweiten Pause (nach dem zweiten Akt, der nur so 35 Minuten dauert, die erste Pause war nach ca. 50 Minuten) hatte ich in das Stück hineingefunden. Immerhin wurden danach die letzten beiden Akte am Stück gespielt.

Sehr bedauerlich war auch, dass Sonya Yoncheva – schon vor Beginn der Proben – für die Titelpartie absagte. Saioa Hernández singt in der hohen Lage leider sehr gepresst, manchmal geradezu unangenehm schrill. Sie hatte sehr schöne Momente, aber es waren eher all die anderen auf der Bühne, die den wacklig beginnenden Abend (ich fand den ersten Akt für sich genommen – was eben so war, weil danach ja schon eine lange Pause folgte – echt nicht besonders attraktiv) doch noch zum Erfolg verhalfen. Daniela Barcellona, Erwin Schrott, Stefano La Colla (der eine kurzfristige Einspringer, geplant war Fabio Sartori) und Roberto Frontali waren allesamt gut bis hervorragend. Im zweiten Akt hatten Barcellona und Frontali sehr schöne Musik zu singen – und taten dies auch ganz wunderbar. Ab da ging’s mit dem Abend erfreulicherweise bergauf. Im dritten Akt folgt dann das grosse Spektakel, die „Danza delle ore“, das bekannteste Stück von Ponchielli, das musikalisch ziemlich aus dem Rest der Oper heraussticht: das ist einfach richtig gut. Und dazu gab es eine tatsächlich sehr, sehr schöne Ballet-Einlage. Eben: Regie, Bühne, Licht und auch Choreographie waren den ganzen Abend hindurch hervorragend. Die grosse „Suicidio“-Arie von Hernandez im vierten Akt war dann leider eher schwierig (es gibt sie in verschiedenen Aufnahmen in der Tube, auch von jemand mit dem Handy aus der aktuellen „Gioconda“, aber in so einer Low-Fi-Version ist das natürlich erst recht übel).

Am Ende fand ich den Besuch dennoch sehr lohnenswert: eine seit einigen Jahrzehnten nur noch selten aufgeführte Oper zu sehen und hören ist ja eh toll. In der Scala, wo die Oper 1876 uraufgeführt wurde, folgten von 1880 bis 1952 (mit Maria Callas) insgesamt fünfzehn weitere Inszenierungen, dann bricht das ab. 1997 folgte eine neue Aufführung, und jetzt 2022 wieder eine.

Trivia: keine Aufführung in der Scala ohne ein klingelndes Handy.

Bologna, Teatro Comunale – 26.06.2022

Otello
Dramma liciro in quattro atti
Musica di Giuseppe Verdi
Libretto di Arrigo Boito

Orchestra, Coro e Tecnici del Teatro Comunale di Bologna
Conductor Asher Fisch
Director Gabriele Lavia
Maestro del Coro Gea Garatti Ansini
Scene Alessandro Camera
Costumi Andrea Viotti
Aiuto regia Gianni Marras
Assistente alle scene Andrea Gregori

Otello Gregory Kunde
Jago Franco Vassallo
Cassio Marco Miglietta
Roderigo Pietro Picone
Lodovico Luciano Leoni
Montano Luca Gallo
Desdemona Mariangela Sicilia
Emilia Marina Ogii

Die zweite Oper im Urlaub (beide Male hatte ich Gutscheine für abgesagte Vorstellungen von 2020 verwendet, bei der Scala aber weil ich spät dran war noch etwas draufbezahlt, für einen am Ende weniger guten Platz, aber so läuft das in der Oper halt) war dann eine überaus runde Sache, die mich vollkommen überzeugte. Auch „Otello“ hatte ich davor noch nie gehört (oder gar gesehen). Erwartungen hatte ich wenige – ausser dass das Stück sich auch dank der Zusammenarbeit mit Boito sehr interessant anhörte, und dass Gregory Kunde ein klingender Name ist (er sang drei der sechs Vorstellungen, auch anderswo gab es zwei oder drei Besetzungen). Umso schöner, dass auch das eine wunderbare Produktion war – mit grossem Kontrast, was die Bühne angeht: sie war zwar ebenfalls wunderschön gestaltet und beleuchtet, aber ganz einfach gehalten, kein grosser Aufwand wie bei der „Gioconda“, aber mindestens so effektiv bespielt (die Fotos sind aus „Otello“, aus meiner Loge, die ich in der zweiten Hälfte ganz für mich hatte, drum hab ich das auch ausnahmsweise mal gemacht, ging ohne andere zu stören).

Jedenfalls fand ich das tatsächlich nah an der perfekten Oper-Aufführung: ein ausgeglichenes Ensemble voller passender Stimmen, ein toll aufgelegtes Orchester, eine wiederum sehr schöne Bühne mit guter Regie, ein passender Raum, in dem es auch ordentlich intensiv werden kann (das gelingt in der Scala nicht bzw. gerade nicht in der Lautstärke, dafür ist das Gebäude schlicht zu gross – aber ein schönes Pianissimo, das ja denselben, oft noch atemberaubenderen Effekt haben kann, gab’s in der Gioconda auch kaum zu hören). Und eben: ich kannte das Werk nicht, war nicht auf die so enge Verflechtung von Gesang, Musik, Handlung vorbereitet – und enorm beeindruckt.

Zürich, Opernhaus – 10.07.2022

Falstaff
Commedia lirica in drei Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901)
Libretto von Arrigo Boito nach dem Drama «Sir John Falstaff and the Merry Wives of Windsor» sowie Auszügen aus «King Henry IV» von William Shakespeare

Musikalische Leitung Gianandrea Noseda
Inszenierung Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild Rolf Glittenberg
Kostüme Marianne Glittenberg
Lichtgestaltung Jürgen Hoffmann
Choreinstudierung Janko Kastelic

Mrs Alice Ford Irina Lungu
Nannetta Sandra Hamaoui
Mrs Quickly Marianna Pizzolato
Mrs Meg Page Niamh O’Sullivan
Sir John Falstaff Bryn Terfel
Ford Konstantin Shushakov
Fenton Cyrille Dubois
Dr. Caius Iain Milne
Bardolfo Nathan Haller
Pistola Brent Michael Smith

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

… so beeindruckt war ich tatsächlich, dass ich am Freitag beschloss, mir die Chance nicht entgehen zu lassen, kurz vor Saisonabschluss zurück in Zürich auch noch den „Falstaff“ zu sehen, Verdis letzte Oper und wie der Vorgänger zusammen mit Boito geschaffen. Vom Werk – und einmal mehr dem Orchester, das ich noch nicht oft unter dem neuen Chefdirigenten Noseda gehört habe – war ich erneut sehr beeindruckt. Dabei gehört zur Vorgeschichte, dass ich „Falstaff“ vor vielen Jahren (vermutlich als Gymnasiast, als ich jeweils ein kleines Opern-Abo für Schüler hatte) gesehen, später auch Aufnahmen davon angehört habe – und die Oper einfach nicht verstand. Im richtigen Kontext war das heute ganz anders.

Das Ensemble auf der Bühne war klasse, allen voran für meine Ohren Pizzolato (die auch riesigen Applaus bekam) und Dubois. Terfel wirkte nicht immer ganz auf der Höhe – er hatte da und dort auch Mühe, sich gegen das Orchester zu behaupten, das ja – in beiden diesen Verdi-Opern – einen eigenen Part spielt, der sich nicht einfach dem Geschehen unterordnet oder sich mit dem Begleiten begnügt. Dennoch war das ein grosses Vergnügen und ich werde das eine oder andere (auch die ganzen autopoetischen Elemente im Sütck) auf jeden Fall nochmal anhand von Aufnahmen etwas vertiefen wollen.

Leider fand ich die Inszenierung in Zürich (sie stammt von 2011 und wurde schon früher mit Terfel wieder aufgenommen) mässig interessant – aber darauf war ich gefasst, so ergeht mir das halt, wenn da der Name Bechtolf steht. Im direkten Vergleich mit dem „Otello“ in Bologna, aber auch „Rheingold“ oder „Arabella“ in Zürich, fand ich heute, dass die Führung der Sängerinnen und Sänger überhaupt nicht stringent wirkte. Die bewegten sich halt ein wenig auf der Bühne, organisiert wurde bloss, dass sie zur richtigen Zeit zusammen standen und bei grossen Szenen alle am richtigen Ort waren. Aber die ziemlich leere, durchaus schön gestaltete Bühne (die Glittenbergs sind ja ein sicherer Wert, in dessen Genuss wir hier öfter kommen) wurde in Szenen mit zwei oder drei Figuren auf der Bühne kaum bespielt, das wirkte auf mich sehr beliebig (und hob nochmal die Qualität des „Otello“ hervor).

Nichtsdestotrotz, ein stimmiger Ausklang meiner Opern-Saison, die im Rahmen des Lucerne Festival noch durch eine konzertante Aufführung von „Porgy & Bess“ ergänzt wird.

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