Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Bin überhaupt nicht in Schreiblaune – die Hitze, Urlaubsvorbereitungen … aber ich ärgere mich selbst, wenn ich hier nicht wenigstens die Eckdaten festhalte, weil ich diesen Faden und ein paar andere eben auch als Gedächtnis nutze :-) – also:

Zürich, Opernhaus – 10.06.2022

Il pirata
Melodramma in zwei Akten von Vincenzo Bellini (1801-1835)
Libretto von Felice Romani nach dem Roman «Bertram or the Castle of St. Aldobrand» von Charles Robert Maturin

– Konzertante Aufführung –

Musikalische Leitung Iván López-Reynoso
Szenische Einrichtung Natascha Ursuliak
Choreinstudierung Janko Kastelic

Ernesto Konstantin Shushakov
Imogene Irina Lungu
Gualtiero Andrew Owens
Itulbo Thomas Erlank
Goffredo Stanislav Vorobyov
Adele Irène Friedli

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Es ist Pandemie, es ist Krieg – Javier Camarena hätte den Gualtiero singen sollen, hatte aber bereits vor den drei Aufführungen, von denen ich die letzte sah, abgesagt. Statt Irina Lungu aus Moldawien war einst die Russin Albina Shagimuratova angekündigt, doch sie stieg wohl schon im Vorfeld aus, da wurde jedenfalls gar nicht erst informiert drüber – ebensowenig wie darüber dass das gestandene Ensemblemitglied Irène Friedli statt Siena Licht Miller (sie gehörte 2021/22 zum Opernstudio und sang in zahlreichen Produktionen mit, 2022/23 ist sie als – oder in? – „Serse“ angekündigt) die Adele sang. Das war allerdings alles nicht weiter tragisch, die Musik erwies sich als ein Hochgenuss. Schon die Ouvertüre beeindruckte durch ihre Farbigkeit und ihren Reichtum an Melodien, und auch danach ist die Oper voller wunderbarer Momente. Manchmal wird sie etwas laut, so richtig ausgereift scheint Bellinis Kunst da ja noch nicht gewesen zu sein … aber wahnsinnig schöne Melodien, besonders von Lungu wunderbar gesungen. Zu Owens, dem Ensemblemitglied, das für Camarena eingesprungen ist, gab es vor der Aufführung eine Ansage mit der Bitte um Nachsicht, da er auch gerade am Genesen sei. Mich dünkte auch, dass er vor allem Anfangs etwas zögerlich agiert habe, aber das tat dem Genuss insgesamt keinen Abbruch. Das Orchester war auf dem hochgefahrenen Graben wie auch im Bühnenraum platziert, dahinter der Chor. Iván López-Reynoso ist kein Name, der mir schon mal begegnet wäre – ich bin allerdings eh ein Fan des Orchesters der Zürcher Oper (aka „Philharmonia Zürich“ – es scheint, als würde der neue GMD Gianadrea Noseda den manierierten Namen von Vorgänger Fabio Luisi nicht abzulegegen wollen … oder wer weiss, vielleicht muss er warten, bis auch Intendant Andreas Homoki gegangen ist) und es wusste mich auch an diesem Abend zu überzeugen.

Ein Detail am Rande: das waren allesamt Rollendebuts. Und ich mag solche konzertanten Aufführungen wirklich sehr. Die Auf- und Abgänge sind „orchestriert“, die Sänger*innen verhalten sich zueinander, stehen mal links, mal rechts vom Dirigenten, mal vor dem Chor etc., die einen mit Notenständer (den sie dann auch mal unter den Arm klemmen und mitnehmen), die anderen ohne – an Lebendigkeit fehlt mir da echt nicht viel, der Theaterfundus kann ruhig mal wegbleiben.

Zürich, Opernhaus – 12.06.2022

Lucia di Lammermoor
Dramma tragico in drei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
Libretto von Salvatore Cammarano nach dem Roman «The Bride of Lammermoor» von Sir Walter Scott

Musikalische Leitung Andrea Sanguineti
Inszenierung Tatjana Gürbaca
Bühnenbild und Lichtgestaltung Klaus Grünberg
Bühnenbildmitarbeit Anne Kuhn
Kostüme Silke Willrett
Kostümmitarbeit Kerstin Griesshaber
Choreinstudierung Janko Kastelic
Dramaturgie Beate Breidenbach

Enrico Ashton Massimo Cavalletti
Lucia, seine Schwester Sophia Theodorides/Stephanie Lenzen
Edgardo di Ravenswood Benjamin Bernheim
Lord Arturo Bucklaw Andrew Owens
Raimondo Bidebent, Lucias Erzieher Alexander Roslavets
Alisa, Lucias Kammerdame Roswitha Christina Müller
Normanno, Hauptmann Iain Milne

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Zwei Tage später meine Saison-Dernière und die Dernière der letztes Jahr gestarteten Neuproduktion von „Lucia di Lammermoor“. Damals hatte Irina Lungu die Titelrolle gesungen, dieses Mal hätte es Lisette Oropesa sein sollen, was mich überhaupt zum Besuch bewogen hatte. Nun, es kam anders, Oropesa wurde am Tag der Aufführung positiv getestet (ich hoffe natürlich, dass es ihr gut geht) und konnte diese letzte Aufführung nicht mehr singen. Um ein Haar hätte sie abgesagt werden müssen, denn kurzfristig einen Ersatz für die Rolle auftreiben ist nicht einfach (Lungu war wohl bereits wieder weg und/oder anderweitig engagiert). Erst gegen Mittag, so hiess es in der Ansage vor der Aufführung, hätte Dirigent Andrea Sanguineti gemeint, er kenne da eine Sängerin, der er das zutrauen würde, Sophia Theodorides. Diese kam dann um 17 Uhr in Zürich an (die Vorstellung war – weil’s am Nachmittag noch ein Ballet gab – für Sonntag ungewöhnlich spät, nämlich erst auf 20 Uhr angesetzt). Für eine szenische Probe reichte das natürlich nicht mehr, die Lösung war dann, dass die Regieassistentin Stephanie Lenzen auf der Bühne spielte, während Theodorides vom Rand der Bühne aus sang.

Gesungen nun hat Sohia Theodorides ganz bezaubernd – allerdings trug ihre Stimme nicht genug, um sich gegen den Chor und in lauteren Passagen gegen Bernheim zu behaupten. Immer wieder wurde sie zu sehr zugedeckt – und das obwohl sich alle Mühe gaben, die Zusammenarbeit mit Bernheim alles in allem wunderbar war, Sanguineti den Blick fast konstant in Richtung von Theodorides gerichtet hatte (die übrigens keinen Notenständer brauchte, die Rolle also wirklich komplett drauf hat). Irritierend war das leider allerdings schon sehr. In der längeren Hälfte vor der Pause (Akte I und II) stand Theodorides zudem auf der Seite, auf der ich sass, d.h. zu sehen kriegte ich sie erst im kurze dritten Akt, als sie netterweise auf der anderen Seite stand. Lenzen machte ihre Sache allerdings so gut, dass es mit der Zeit immer mehr Momente gab, in denen die Live-Synchronisation fast vergessen wurde. Bernheim fand ich einmal mehr hervorragend (ich hatte ihn im Juli 2020 bei einem Liederabend zusammen mit Sabine Devieilhe gehört, das war umwerfend – 2022/23 ist sie als Lakmé angekündigt, das darf ich nicht verpassen … nächsten Samstag beginnt der Vorverkauf – hier wieder wie vor der Pandemie für die komplette Saison aufs Mal, was die Geldbörse nicht sehr goutiert, zumal auch die Tonhalle-Abos im selben Monat fällig werden).

Mit Roslavets gab es noch einen Einspringer, weil Vitalij Kowaljow erkrankt war – und Andrew Owens wurde zwar dieses Mal nicht mehr extra erwähnt, aber topfit klang er auch zwei Tage später noch nicht. Dennoch: auch hier obsiegte die Musik. Auch Sanguinetis Namen hatte ich noch nie gehört, das Orchester leistete auch unter ihm hervorragende Arbeit, die musikalische Gestaltung des Abends hätte mit ein oder zwei Proben gewisse bestens austariert werden können … aber eben: es ist halt immer noch Pandemie.

(Fotos mit Irina Lungu und Massimo Cavalletti aus der vorigen Saison: Toni Suter/Opernhaus Zürich)

Zürich, Tonhalle – 17.06.2022

Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi
Music Director
Kirill Gerstein Klavier

George Gershwin Concerto in F
Leonard Bernstein Drei Tanzepisoden aus «On the Town»
Paul Hindemith «Sinfonische Metamorphosen» nach Themen von Carl Maria von Weber

Pandemie? Ich hatte es ja schon erwähnt: Das wäre die dritte Aufführung dieses Programmes mit Igor Levit sein sollen (Bernstein an erster Stelle, zumindest gemäss dem Programmflyer – gedruckte Programme wurden in dieser Saison ganz abgeschafft, die kriegt man in der Tonhalle nur noch als PDF), und am Samstagabend wäre ein Rezital von Levit gefolgt, für das ich ebenfalls Karten hatte. Leider musste Levit ebenfalls krankheitshalber absagen, das Konzert stand auch auf der Kippe, bis Kirill Gerstein, der am Vortag in Havana, Cuba, aufgetreten war, zusagte und sich auf den Weg machte. Nach der Pandemie behielt das Tonhalle Orchester zumindest für die (sehr zahlreichen) Konzerte unter dem Chefdirigenten Paavo Järvi es bei, kürzere Konzerte ohne Pause zu spielen. Ich finde das einerseits gut, mochte aber auch die früheren Konzerte unter Järvi sehr, die schon mal eine reine Spieldauer für zwei Stunden oder sogar etwas mehr dauerten. Da wurde man auch im Publikum echt gefordert, und das finde ich gut.

Gefordert wurde man bei diesem Programm nicht sehr, es sei denn, man hat’s nicht so mit Musik aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Das Orchester allerdings, in riesiger Besetzung (es wurden mehr Stuhlreihen ausgebaut als bei Bruckner mit Blomstedt neulich) hatte ordentlich zu tun. Aber auch viel Freude dabei, die knallige, manchmal jazzige Musik zu spielen. Gerstein kam also direkt zum Auftakt auf dei Bühne, spielte das Gershwin-Konzert mit Verve und einer Leichtigkeit, die immer wieder atemberaubend war. Ein bäriger Typ, dessen Pranken die Tasten kaum zu berühren schienen. Das Orchester (mit zwei der drei Konzertmeister am ersten Pult, darunter die erste Konzertmeisterin Julia Becker). Sehr beeindruckend und ein riesiges Vergnügen. Wann immer ich dieses Konzert höre, frage ich mich: warum wird das von Ravel landauf, landab von allen erst- bis siebtklassigen Orchestern und Solist*innen ständig aufgeführt, aber seine Blaupause, das Konzert F-Dur von Gershwin, ist eine solche Rarität geblieben? Echt schade, aber umso schöner, es in so einer tollen Version im Konzertsaal hören zu können. Riesiger Applaus, mehrere Ab- und Aufgänge (keine Blumen, danke!) – dann kam Gerstein alleine nochmal, sagte ein paar Sätze zur Zugabe, die er spielen wollte – und dass sie von Oscar Levant stammte, war mir klar, bevor er den Namen nannte: „Blame It on My Youth“ in einer wunderschönen, zärtlichen Version.
Umbaupause und dann die drei Sätze aus „On the Town“ die Bernstein aus dem Musical für die Konzertbühne extrahiert hatte. Und danach Hindemiths Sinfonische Metamorphosen nach Themen von Carl Maria von Weber. Letztere kriegte ich nicht recht zu fassen, viel Pomp, darin versteckt die wohl von Weber übernommenen, teils sehr sanglichen, liedhaften Melodien, deren Vorlagen ich allerdings in Unkenntnis von Webers Werk nicht entziffern konnte. Bernstein war einmal mehr ein Hochgenuss, das Orchester hatte die Musik im Griff – im Gegensatz zum Konzert vor vier oder fünf Jahren, als der grosse Krystian Zimerman vorbeischaute, um unter David Zinman „The Age of Anxiety“ zu spielen: damals hatte nur der Solist alles im Griff und die Begleitung liess zu wünschen übrig.
Ich hatte ja lange gewartet damit, das Tonhalle Orchester selbst in der wiedereröffneten Halle zu hören, das Konzert mit Blomstedt war das erste. Jetzt mit Järvi zu erleben, dass die Zusammenarbeit von Orchester und Dirigent nach wie vor so toll ist, wie schon bei den ersten Begegnungen, ist ein Glück – ich hoffe, das geht so weiter und freue mich schon auf die neue Saison (in der ich allerdings aus finanziellen Gründen – in der renovierten Halle gelten andere Preise als in der Interimshalle, meine Front-Row-Sitze sind doppelt so teuer geworden – wieder auf Stehplätze auf der seitlichen Galerie wechseln werde … also es gibt da schon Stühle, aber man sieht nur stehend was – ansonsten muss man eben zwei Kategorien höher und dann könnte ich auch wieder in die ersten vier Reihen).

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