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gypsy-tail-windAlso wenn Stemme sich anstrengen muss, dann stimmt wirklich etwas nicht mehr!
Ich saß zwar weit oben (was in der Elphi entfernungsmäßig kaum was bedeutet), aber frontal vor ihr. Das Orchester war hinter ihr platziert. Natürlich sind die Ohren nicht immer in der gleichen Verfassung. Ich weiß aber, dass ich ständig dachte, Janowski müsse doch bitte das Orchester zurücknehmen, damit es nicht so angestrengt klingen möge. Zudem japste ich schon selbst im Geiste nach Luft, weil klanglich so dauerdick aufgetragen wurde und ich den Eindruck hatte, die Streicher seien von Janowski dazu aufgefordert worden, so wenig wie möglich zu atmen. Ich hatte mich sehr auf Stemme gefreut, denn ihr Timbre spricht mich eigentlich wohl an (so gut kenne ich sie allerdings nicht). Ihre Stimme wirkte aber eben nicht frei schwingend auf mich, sondern klang nach anstrengendem Kampf.
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Danke für den Bericht aus der Elbphilharmonie! Die Tonahlle-Maag war halt zu klein für solche „grossen“ Werke. Aber von den oben erwähnten Bruckner-Aufführungen hörte ich die meisten des Tonhalle-Orchester („TOZ“) dort – und auch Mahler 4 mit Lisa Larsson, die mitten im Orchester platziert war. Das Vermögen von Gastdirigenten (Järvi war schon in der Saison vor seinem Antritt als Chefdirigent mehr denn ein Gast) war sehr unterschiedlich, Welser-Möst hatte grösste Freude an dem Saal (und als ehemaliger Wahlzüricher – er leitete einst das Opernhaus-Orchester – machte er sich auch im Interview mit der NZZ am Sonntag stark für den Erhalt des wunderbaren Saales), Rattle/LSO (mit Mahler 9) war ebenfalls grandios, aber andere Gäste kamen mit der Transparenz und dem vergleichbar kleinen Volumen nicht gut zurecht: Es wurde alles zu laut, was die Abende schnell ermüdend machte. In der Elbphilharmonie wird das aufgrund des grossen Volumens anders sein (eher wie in Jean Nouvels KKL-Saal in Luzern, stelle ich mir vor? Dort hörte ich auch schon Bruckner: die Siebte bei Haitinks allerletztem Auftritt).
Ja, dann kann ich mir immer besser vorstellen, was sich bei euch in Zürich da getan hat und wie deine Äußerungen zur Akustik und den Möglichkeiten (vorher/nachher) des Saales einzuordnen sind. Und es scheint mir, als sei das, was nun daraus geworden ist, eine nachvollziehbare Veränderung zu sein.
In der Elphi mit den ca. 2000 „Weinberg“-Plätzen geht wirklich sehr viel Unterschiedliches. Klar, ich habe da auch schon eine ganze Reihe von Nichtklassik-Konzerten mit elektrischer Verstärkung erlebt – da kommen die wahren Stärken des Saales aber eher nicht zum Vorschein. (Dennoch finde ich es richtig, weil es natürlich auch eine gesellschaftliche Relevanz hat, wenn es eine stilistische Vielfalt gibt. Und es ist akustisch in der Regel gut dort.)
Grundsätzlich höre ich es aber so, wie es in der Anfangszeit auch z.T. medial vermittelt wurde: Der Saal ist prädestiniert für Neue Musik. Die Redaktion des NDR-Orchesters hat diesen Umstand in der letzten Saison auch zu einem Hauptaspekt der Programmgestaltung gemacht. Ich habe da schon fantastische Aufführungen erlebt, in denen mir bis dato unbekannte Musik sofort derart „sinnfällig“ zu Gehör gebracht wurde, dass ich den Saal immer und immer wieder innerlich abgefeiert habe. Für die neue Saison rudert die Redaktion offenbar aber wieder etwas zurück, denn die Publikumszufriedenheit ging wohl auch etwas nach unten. Und es soll ja ein „Saal für alle“ sein. Na ja.
Dass ich persönlich auch diese großen (spät)romantischen Schinken dort ausgezeichnet aufgehoben finde, dürfte etwas persönlicherer Art sein. Ich mag auf diese Transparenz nicht mehr verzichten, selbst wenn es von der epochalen Ästhetik her nicht vom entscheidenden Ende her gedacht sein sollte. Aber was sicherlich kein Problem ist, sind große Besetzungen in der Elphi. Die Flexibilität des Saals ist einfach echt toll. Und was ich auch sehr schätze: Der Zuschauerraum wirkt erstens nicht sehr groß – viele Leute, die dort zum ersten Mal sind, wundern sich über die verhältnismäßig intime Atmosphäre. Und zweitens (damit zusammenhängend): Die Sitzblöcke sind alle unterschiedlich groß und unterschiedlich geformt, zudem vom Sitzgefühl her ein bisschen abgeschirmt. Es stellt sich da das Gefühl einer gewissen Privatheit ein (natürlich nicht wie in einer Opernloge), obwohl man schon auch spürt, wie die Konzentration des Publikums insgesamt ist (Husten ist dort übrigens sehr, sehr unangenehm).
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Ich muss aber schon betonen: der Tonhalle-Saal, also der „alte“ jetzt restaurierte, ist schon phantastisch, was die Akustik anbelangt. (Die Renovation brachte auch substantielle Verbesserungen mit sich, z.B. endete der Saal-Boden vorher an der Bühnenkante, das wurde jetzt korrigiert und er verläuft – wie es sich aus Gründen der Akustik anscheinend gehört – unter der Bühne weiter.) Es ist halt einfach eine ganz andere Art von Klang – eben einen warmen „Mischklang“ – den man da zu hören kriegt. Und beim üblichen altmodischen Repertoire, so von Haydn bis Wagner, ist das sicher ein nahezu perfekter Saal (kennst du die Laeiszhalle @gruenschnabel? Vermutlich eine müssiger Frage … der grosse Tonhalle-Saal ist ähnlich, nur ein Balkon und wohl etwas weniger hoch und überhaupt etwas kleiner, ca. 1400 statt 2200 Plätze, falls diese rasch ergoogelte Info für die Laeiszhalle denn stimmt).
Hört sich wirklich gut an. Manchmal nehmen Leute solche Projekte in die Hand, die auch wirklich Ahnung haben. Insofern gehöre ich auch hinsichtlich der Elphi, wie du merkst, nicht gerade zu den leidenschaftlichen Meckerern, obwohl die Phase ihrer Planung und Entstehung natürlich von vielen „Merkwürdigkeiten“ geprägt war. Jetzt aber hier solchen Konzerten beiwohnen zu können und zu erleben, dass es wirklich kein elitärer Musentempel geworden ist, macht mir große Freude.
Die Laeiszhalle ist von der Kapazität nahezu gleich groß (ca. 2000 Plätze) und lässt sich auch recht flexibel nutzen. Man sieht nicht von allen Plätzen gut und auch die Unterschiede beim Hören sind deutlich größer. In der Elphi kann ich bei Sinfonien oder auch Klavier-Recitals sitzen, wo ich will: Da geht akustisch wirklich jeder Platz. Wenn allerdings Sänger dabei sind, achte ich penibel darauf, nicht hinter ihnen zu sitzen. Da stimmt einfach nicht, was früher propagiert wurde („Jeder Platz gleich gut!“). Ich erinnere aber auch ein Konzert, bei dem ich hinter dem Orchester saß, als Vilde Frang Mendelssohn-Konzert spielte: War auch nicht optimal, die Geige strahlte dann doch in erster Linie nach vorne ab. Edit: Das war wohl doch Strawinsky-Violinkonzert. Jetzt dämmert es mir wieder. Und ich stelle mal ganz unvorsichtig die Vermutung in den Raum, dass ich es besser erinnert hätte, wenn die Geige klanglich präsenter gewesen wäre.
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