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gypsy-tail-windIch mache mit dem Ring weiter, wie er halt in Zürich aufgeführt wird, also voraussichtlich im Halbjahresrhythmus bis im Herbst 2023. Ich höre seit Beginn der Pandemie zuhause fast keine Oper und es passt mir eh sehr gut, die erste Begegnung live zu haben – und danach zuhause nachzuhören. Eilt mir alles überhaupt nicht, Oper braucht ja sowieso viel Zeit.
Das allgemeine Unbehagen Wagner gegenüber läuft glaub ich auf zwei Schienen: einerseits finde ich die Musik von Wagner unangenehm suggestiv (das hat jetzt erstmal nichts mit „schön“ oder „gut“ oder dem Gegenteil davon zu tun) – ich empfinde beim Hören, und das ist beim „Parsifal“ sehr ausgeprägt, ein fortwährendes Unbehagen, einen intellektuellen Widerwillen gegen den „Mief“, der von dieser Musik ausgeht (wie lautet das Bonmot von Hanslick? ob es nicht Musik gebe, die man stinken höre? der „Parsifal“ stinkt zum Himmel!), ich widerstrebe – unmittelbar wie auch intellektuell – den Überwältigungsmechanismen, die da eingebaut sind. Die intellektuelle Schiene ist die zweite, dass ich lieber Nietzsche lese statt Wagner usw., dass mir der Künstler Wagner unsympathisch, der um ihn gemachte Kult zuwider ist – und an diesem Kult ist er ja keineswegs unschuldig. Das gehört dann auch schon zur „Stellung“, es gibt ja auch heute in Klassik-Kreisen Leute, die ihn nahezu abgöttisch verehren, keine grössere Kunst als die von Wagner kennen, ja keine vergleichbar grosse zu akzeptieren bereit sind.
Ich weiss nicht, ob das eine Rolle spielt, aber ich lese (oder gucke) auch keine Fantasy-Epen, um die Welt besser zu verstehen. Das ist am Ende alles eine Frage von Interessen, Vorlieben, unterschiedlich (geschulten/vorgespurten) Wahrnehmungen … aber dieses Unbehagen geht bei mir selten weg.
Ich danke dir. Das ist die Haltung, die ich dazu von dir kenne. Meine Fragezeichen gingen wohl in die Richtung, dass ich dein Zögern nicht nachvollziehen konnte, da du gerade ein „Hin und weg“-Erlebnis hattest. Was für mich nach einer Art von Überwältigung klang, die du dir durchaus zugestanden zu haben schienst.
Das mit der „Stellung“ Wagners ist aus meiner Sicht kein so großes Mysterium. Natürlich gibt es die Fanboys – das ist aber sicherlich keine rezeptionsmäßig homogene Gruppe (einer der „Wagner über alles“-Fanboys hockt sogar in meiner angeheirateten Familie) und auch keine, der man das Feld überlassen müsste. Ich will selbst. Wagner bietet aus meiner Sicht nicht nur Suggestion und Überwältigung an (gegen die ich prinzipiell eh nichts einzuwenden habe), sondern auch Zugänge geistiger Wachheit und Intellektualität. Und zwar reichlich. Und klar, die dämlich-muffigen und – leider – bis zum Himmel stinkenden Seiten (antisemitische Codes) auch. Wie soulpope schrieb: Man bekommt Wagner grundsätzlich nur mit Ambivalenz-Prägung.
Was ich aber überhaupt nicht einsehe: Mir meine Begegnungen mit Wagnermusik von der Beschränkheit Anderer überschatten zu lassen. Es ist mir schlicht egal, dass ein paar Straßen weiter der Fanboy hockt, an selige Zeiten im Bayreuther Festspielhaus denkt und dabei die „Früher war alles besser“-Melodie pfeift.
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