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Anonym
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soulpope
gypsy-tail-wind Guten Morgen! Mich hat das Wohltemperierte Klavier von Ugorskaja sofort total in den Bann gezogen – finde das eine hervorragende Einspielung. Aber klar, mehr Zeit mit ihr verbringen wäre auch hier dringend nötig! ….
Mahlzeit 😁 …. grad mit dem „Wohltemperierten“ bestehen bei mir schon sehr verfestigte Favoriten und so hatte sie es von Haus aus schwer(er) ….
Entschuldigt meine Mundfaulheit; ich lese immer wieder hier und nehme auch Eure Anregungen auf. Bei Ugorskaja, zu der ich hier schon öfter geschrieben habe, nun ja, sie hatte und hat mich – allerdings auch nicht sofort – war das zwar nicht nötig. Aber die Installation von Verfestigungen kenne ich auch: Da sind ein paar Werke, die einem genug zu schaffen machen, und dann kommt immer noch einer und eine, die den nächsten Vorschlag zur Interpretation haben. Was ja gut ist! Also kurz, freut mich, dass Ihr mit Ugorskaja WTK gut zufrieden seid.
Ich bin gerade bei einem dieser anderen Zwiebelwerke, allerdings eine schwierige Zwiebel: Je mehr man sie zu häuten (nein, ich meine damit keine marsyanischen Phantasien) – zu interpretieren – versucht, umso mehr Ringe bildet sie; ich meine Schuberts späte B-Dur-Sonate. Aber gewiss eine Sonate, zu der es immer einen Rückweg geben wird, weil sie bereits da gewesen zu sein scheint, wo man hinwollte, als man den falschen Weg einschlug. Oder so, egal.
Also ich meine nur, @soulpope, dass Du als Afanassiev-Mann einmal ein Ohr in Ugorskajas B-Dur-Interpretation halten solltest – „solltest“, weil ich glaube, dass sie Dir gut gefallen wird. Die Welt ist klein, und erst vor paar Tagen wurde mir ein Bach von Afanassiev zugespielt – fast hätte ich wie Lessing gesagt: auf der anderen Seite wurde ein Wolf herbeigeführt, oder war es ein Schaf -, der mich auch sofort hatte, und so gelangte man weiter durch Nadelöhre auch zu Schubert und Ugorskaja.
Es gibt ja viele musikalische sog. Parameter, die beiden, die mich in dieser Sonate immer anspringen, wohl auch, weil sie zusammengehören, sind das Tempo und die Intonation. Die Agogik, so wichtig, lasse ich beiseite, weil sie kein technisches Merkmal ist, dennoch sehr leitend bei den Schubert-Einspielungen. Dann verheddere ich mich also mal weiter: Ugorskaja (Spoiler übrigens: Ich habe bis hierhin die ganze Zeit Ustwolskaja statt Ugorskaja geschrieben …) gehört zu den Langsamen im ersten Satz; eine Langsamkeit, die an ihrem Atem liegen muss, denn sie braucht Zeit für Klangfarbe, im Zugleich mit der zumindest für mich in dieser Sonate gestellten Rätselaufgabe: „Ist es so?“ – „Nein, so nicht!“ – „Also von Neuem.“ – „Ja, weiter.“ „Und wohin, ich habe keinen Essvorrat bei mir!“ – „Dennoch!“ – „Also gut. Aber die letzten Sätze mache ich so wie immer, die ersten beiden gehören dir.“ – „Wenn du meinst …“ Den ersten Satz hätte Schubert auch so lassen können, eine Fantasie à la Schumann, natürlich nicht ganz.
Vielleicht quatsche ich auch zu viel in dieses Werk hinein. Meine Verfestigungen waren sicher Richter und vor allem Schnabel. Es kamen manche hinzu und auch einer, den ich dort nie vermutet hätte, trotz anderer Schubert-Sachen von ihm: Rubinstein.
(Die Einspielung habe ich mir mal, weiß der Himmel wann und woher, aus dem Netz gezogen. Aufgenommen am 11.6.1969 in den RCA-Studios in Rom.)
Erster Satz, in Schnabelart, 8 Minuten kürzer als Ugorskaja. Und dennoch habe ich den Eindruck, dass Rubinstein kein bisschen weniger Zeit in Anspruch nimmt als Ugorskaja. Die Sache mit der Unterscheidung von chronologischer und imaginärer Zeit stimmt also wieder einmal.
An Rubinstein gefällt mir mehr und mehr, dass er alle Möglichkeiten eröffnet. Denn die Entscheidungen – und das sind sie ja alle, die Interpretationsmöglichkeiten, die meist alle Recht haben – sind vielfältig. Und wenn man die Zwiebel nicht zum Kern herunterschält, bleibt womöglich mehr übrig.
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