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Joe Henderson Big Band | Erste Sessions fanden im März 1992 statt, von da stammen der Opener „Without a Song“, das starke „Shade of Jade“ mit einem tollen Trompetensolo von Freddie Hubbard, sowie „Chelsea Bridge“ (alle von Henderson arrangiert). Hab keine Zeit, das Booklet zu lesen, aber ich erinnere mich, dass das Album damals als eine Art Ausgrabung dieser abgebrochenen Session verkauft wurde. Die restlichen sechs Stücke – je eins von Michael Philip Mossman, Slide Hampton und Bob Belden arrangiert, eins von Belden/Henderson, die zwei verbleibenden wieder von Henderson). 1966 gründete Henderson zusammen mit Kenny Dorham eine rehearsal big band und auf diese geht das Material hier zurück. 1992 gab’s einen Auftritt und eine Session mit ein paar Leuten, die schon in den Sechziger dabei gewesen waren (Lew Soloff, Jimmy Knepper, Kiane Zawadi, Pete Yellin, Chick Corea) und weiteren Veteranen (Idrees Sulieman, Marcus Belgrave, Jimmy Owens, Ronnie Mathews, Joe Chambers) sowie jüngeren Musikern (u.a. Robin Eubanks und Christian McBride). Für die Sessions 1996 wurde Chick Corea eingeladen, der ein paar tolle Soli beiträgt, zudem Leute aus dem Umfeld der Carnegie Hall Jazz Band und dem Maria Schneider Orchestra (Jon Faddis, Mossman, Conrad Herwig, Dick Oatts, Steve Wilson, Gary Smulyan, Lewis Nash). Das sind teils sehr gute arrangements („Step Lightly“ z.B. von Belden/Henderson), die einzige Schwäche finde ich, dass Henderson front and center ist als Solist, zweimal als einziger, viermal neben Corea und einmal davon noch McBride), bleibe drei Stücke mit weiteren Bläsersoli: einmal Freddie Hubbard, einmal Nicholas Payton an der Trompete, und dieser erneut im Closer „Recordame“, für den die Rhythmusgruppe ausgetauscht wurde: Helio Alves, Nilsson Mattes und Paulo Braga sind für den authentischen brasilianischen Groove zuständig – und Alves darf auch noch solieren. Es ist ja völlig okay, dass Henderson sich vorbehält, in jedem Stück zu solieren – aber bei den guten Leuten, v.a. bei der 1992er-Session, wäre es schon toll gewesen, wenn die Arrangements da und dort noch für weitere Solisten geöffnet worden wären (ich denke an Sulieman, Belgrave, Soloff, Owens, Knepper, Chambers …). Aber gut hat Bob Belden sich dieser Rettungsmission überhaupt rechtzeitig angenommen und ein bisschen was von Hendersons Big-Band-Musik dokumentiert (Slide Hampton war als Dirigent auch involviert, 1992 hatte Don Sickler den Part eingenommen und für den Latin-Closer übernimmt Mossman, der ihn auch arrangiert hat).
Bin jetzt dann für den Rest des Tages unterwegs und es steht noch ein Wiederhören mit „Porgy and Bess“ aus, dem für mich bisher stets enttäuschendsten der späten Henderson-Alben – aber ein Zwischenfazit kann ich jetzt schon äussern: das sind alles irgendwie lauwarme Alben für mich. Alben, die ich gerne mehr mögen würde. Alben, bei denen ich die Konzepte und Ideen verstehe, aber den Eindruck nicht loswerde, dass in der Umsetzung die einen oder anderen Fehler gemacht wurden, Dinge nicht beachtet wurden, die vielleicht ein besseres Ergebnis ermöglicht hätten – das mag, wie hier, an der Auswahl der Solisten liegen, anderswo an der Auswahl der Sidemen … Henderson hat ja den Ruf, alles minutiös selbst kontrolliert zu haben, ich denke da geht also mehr auf seine Kappe als auf die von Richard Seidel (oder Don Sickler oder Bob Belden – und bestimmt nicht auf die von Oscar Castro-Neves, der für das beste halbe Album aus der Zeit zuständig war). Das heisst jetzt auch nicht, dass auch nur eins der Alben schlecht wäre – überhaupt nicht … aber ich nehme sie als uneingelöste Versprechen wahr, als Alben, die das Zeug dazu hatten, richtig toll zu werden.
PS: hab gestern doch nochmal bisschen bestellt – etwas Abbey Lincoln, Betty Carter und Shirley Horn (muss dann bei allen dreien, wenn alles hier ist, nochmal gucken, ob ich noch Lücken habe), zudem das zweite Evidence-Album von Andy Bey (das blaue) und auch das Solo-Album von Stephen Scott (drum komm ich jetzt überhaupt zu diesem PS: ich halte ihn für einen der möglichen suboptimalen Faktoren beim Strayhorn-Album – das wär doch echt ein Programm gewesen, für das man einen Veteranen hätte buchen können … auch so jemand wie Ronnie Mathews oder Richard Wyands, oder meinetwegen John Hicks – aber vermutlich hatte Henderson darauf halt keine Lust).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba