Antwort auf: Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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MICHAEL NESMITH – The Prison – A Book with a Soundtrack (1974)

Unter meinen Lieblingskünstlern nimmt Michael Nesmith einen ganz besonderen Platz ein. Wie schon bei Dumbo geschrieben, hatte ich – wie auch ein von mir sehr geschätzter User namens wahr – schon immer einen sweet spot für den Underdog. Das heißt nicht, dass ich mich durch irgendwelche „worst anything“-Listen durchwühle und diese Werke dann krampfhaft verteidige, aber hat schon immer dazu geführt, dass ich mich gerne mit Künstlern auseinandersetze, von denen noch nicht jeder Furz dokumentiert wurde und bei denen eine intensivere Beschäftigung die eine oder andere Überraschung bereithalten könnte.

Ich würde mich zwar nicht als großer Monkees-Fan bezeichnen, habe ein paar Hits, besonders Daydream Believer, aber bereits als Kind kennen und lieben gelernt. Irgendwann habe ich dann den Film Head in die Hände bekommen, der für mich in meiner cineastischen Entwicklung allerdings einige Jahre zu früh kam, mich faszinierte, aber auch sehr verwirrte. Vor allem aber brachte er mich dazu, mich mit diesem eigenartigen Kerl mit den coolen Koteletten zu beschäftigen. Das ging zunächst sehr langsam vonstatten, weil ich den Online-Handel immer gemieden hatte und hier in Wien weder in Geschäften, in weitere Folge noch bei Plattenbörsen wirklich fündig wurde. Mit den Jahren habe ich die Diskographie aber nahezu komplett zusammenkratzen können, während Papa Nez mit seiner einzigartigen Stimme, seiner Vorstellung von Musik und generell als Künstlerfigur immer mehr zu einem persönlichen Favoriten avancierte. Als ich dann vor einem Monat las, dass Nesmith verstorben sei, war ich in erster Linie überrascht davon, wie nah mir das ging – und entschlossen, zeitnah eine kleine Würdigung zu verfassen.

Diese kommt nun einem Werk zu, das selbst in dem exzentrischen Oeuvre von Michael Nesmith eine besondere Rolle einnimmt. Wie der Titel schon suggeriert, handelt es sich bei The Prison – A Book with a Soundtrack um eine multimediale Erfahrung. Auf der einen Seite gibt eine kurze Novelle, die eine existenzialistische und allegorische Geschichte erzählt. Daneben das Album, auf dem Nesmith nicht dieselbe Geschichte vertont, die in seiner surrealen und spirituellen Natur aber durchaus als companion piece angelegt ist. Die Idee ist, dass man diese Novelle liest, während man der Musik lauscht, was in Bezug auf das richtige Lesetempo und die Konzentration gar nicht so einfach ist. Beim ersten Mal habe ich das so gemacht. Die Kurzgeschichte gewinnt keinen Literatur-Nobelpreis, ist aber in schöner, an Metaphern reicher Prosa geschrieben und beinhaltet wie die Musik jene Themen, die sich durch Nez‘ Karriere ziehen: nicht zuletzt, seine eigenen Ängste zu überwinden.

So interessant das Gesamtkonzept auch sein mag, am wichtigsten ist selbstverständlich der „Soundtrack“. Und an dem kann man sich herrlich abarbeiten. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie es anno 1974 (btw: ich hatte das release date bis vor kurzem immer als 1975 eingespeichert, mittlerweile sehe ich nur mehr Angaben von November 1974 als Veröffentlichungsdatum) überhaupt zu diesem Album kommen konnte. Nesmith war zwar immer auf eigenen Pfaden unterwegs und hatte eine sehr exzentrische Vision von jenem Country-Rock, der sich seit seinem ersten Album nach seinem Abschied von den Monkees bis zur letzten vorangehenden LP Pretty Much You Standard Ranch Stash 1973 auf seinen Platten findet, The Prison sollte allerdings die Krönung dieser Entwicklung werden.

Das fängt bereits bei den Arrangements an. Offiziell hat The Prison sicher noch eine gewisse Verwandtschaft zu Country Music und mit Red Rhodes findet sich auch Nez‘ langjähriger Mitstreiter und Pedal Steel-Gitarrist im Soundgebilde wieder, doch spielt sich in diesem einiges ab, das auf dem Papier gar nicht wirklich zusammenpassen dürfte. Synthesizer, Drum-Machine und Congas sind prominent vertreten, rauskommt ein sehr eigenwilliger Mix, der in seiner New Age-Romantik und den auf positive weise spirituellen Texten überraschenderweise gut funktioniert und immer wieder neue Momente der Schönheit offenbart. Meine liebste Passage auf The Prison war schon immer das Doppel Dance Between the Raindrops/Elusive Ragings, das die Ästhetik der LP und die Balance zwischen Spiritualität und Pop-Sensibilität eines ehemaligen Monkees am besten einfängt. Wenn ich vor irgendwelchen Terminen oder Ereignissen ein wenig nervös bin, beruhige ich mich gerne mit diesen transzendenten Tunes.

Apropos LP: Lange hatte ich nur die CD von The Prison. Irgendwann bemerkte ich aber, dass der Mix auf der CD ein doch deutlich anderer als jener auf der LP sein sollte. Einen Tag nach Nez Ableben bestellte ich mir direkt eine Mint-Version der Original-LP, die tatsächlich einige klangliche und instrumentale Unterschiede bietet (vor allem die Drum Machine ist prominenter vertreten) und höre diese seither mindestens zwei Mal pro Woche, wobei ich beide Mixes für sich sehr gelungen finde.

Das ambitionierteste und seltsamste Stück im Gesamtwerk von Michael Nesmith ist jedenfalls ein tolles Zeitdokument, das für mich gleichzeitig aber in keine Zeit so richtig zu passen scheint. Dort wo sich Country, New Age und psychedelisch-verzerrte Mantren die Klinke in die Hand geben, dort fühle ich mich aber anscheinend wohler, als ich es je vermutet hätte. Wer eine gewisse Sympathie für Nez’ Stimme und sein Musikverständnis mitbringt, darüber hinaus noch mit einer grundsätzlichen Offenheit ausgerüstet ist, der kann auf The Prison – A Book with a Soundtrack eventuell etwas für sich entdecken. Hidden behind all the logic one finds without truth.

Ruhe in Frieden, Michael Nesmith.

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