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Ich höre hier weitere alleine Swing, genau genommen in der understatetd coolen Ausformung von Billie Holiday, begleitet von kleinen oder mittleren Bands mit Charlie Shavers an der Trompete. Man kann einen grauen Dezembersonntag wie diesen sicher auf unangenehmere Weite verbringen.
Billie Holiday – Stay With Me (1958)
Stay With Me wurde erst 1958 veröffentlicht, die Aufnahmen sind aber von 1954-55, daher zuerst dazu. Das Programm sind wieder Standards, aber die Interpretationen sind wunderbar. Und das liegt auch an Charlie Shavers, der hier neben Billie Holiday der Star ist. Am deutlichsten und schönsten ist das auf dem fast 7-minütigen I Wished On The Moon zu hören. 7 Minuten? Gibt es sowas bei Billie Holiday überhaupt, deren Aufnahmen sich ja meist auf das etwa 3-minütige Single-Format beschränkten? Ja, hier gibt es das, und das hat den Grund in dem großartigen Trompetensolo von Charlie Shavers, das mich überhaupt erst auf ihn aufmerksam machte.
Hatte wir schon mal, aber weil’s so schön ist … Ab ca. 2:25:
Billie Holiday – Lady Sings The Blues (1956)
Lady Sings The Blues ist natürlich das klassische Album, das parallel zur ihrer gleichnamigen (Auto)biografie veröffentlicht wurde und hat daher nicht nur im Titel etwas programmatisches. Mit dem Titelsong, God Bless The Child und Strange Fruit sind auch gleich alle drei (?) von Holidays signatures tunes enthalten.
Gut, die letztgenannten Titel hatte sie bereits davor schon mehrmals aufgenommen und man kann darüber streiten, welche die „definitive“ Aufnahme ist. Ich weiß nicht mal, ob ich alle Versionen davon kenne. Aber die Aufnahmen auf Lady Sings … haben auf jeden Fall Charakter und Klasse, auch hier nicht zuletzt durch die großartig eingesetzten Solisten – zuvorderst Charlie Shavers. SeineTrompete am Anfang von Strange Fruit: Für mich so selbstverständlich mit diesem Stück verbunden, dass ich das gar nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte. Doch was baut Shavers da für einen Spannung auf, was wird da für eine dramatische unheilvolle Stimmung erzeugt! Bei God Bless The Child oder Good Morning Heartache dann das genaue Gegenteil: Innerhalb von nur ein paar Takten gibt Shavers die melancholische Stimmung für den Song vor und bereitet die Bühne für die Hauptdarstellerin Billie Holiday. Ein Meister des kurzen prägnanten Auftritts. Und wenn er geschickt eingesetzt wird, setzt er damit die Akzente.
Stay With Me und Lady Sings The Blues sind für mich zwei großartige Alben. Auch wenn ich mich mit der Diskographie von Billie Holiday nur teilweise auskenne, traue ich mich zu sagen: Wenn man sich von Billie Holiday nur diese zwei Alben zulegt, macht man sicher nichts falsch.
Hier gibt es beide Alben zusammen auf einer CD.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)