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lotterlotta
Frage an beide: Welche Überraschungen gab es für euch in der Auseinandersetzung mit dem ECM-Katalog, Aufstiege/Abstürze, Neuentdeckungen?
schwierige frage irgendwie. ich begleite – mal mehr, mal weniger – den ecm-output seit ca. 1990, insofern ist EXTENSIONS für mich ja auch ein startpunkt, aber da ich parallel durch freunde relativ früh viel aus den 80ern nachgeholt hatte (das jarrett-trio, special edition, früheres von holland), war für mich ecm erstmal ein garant für besonders sorgfältiges zeug aus den usa, mit den kurzen besuchen von steve coleman (und hollands enthusiasmus ihm gegenüber) auch eine wichtige m-base-referenz. das ist für mich auch so gelieben, mit zeitlichem abstand finde ich die sachen noch toller als damals, weil sie wirklich besondere momente nicht nur dokumentiert, sondern auch hergestellt haben: wie kevin eubanks auf EXTENSIONS spielt, das hat er nie wieder hinbekommen, das ist für mich nach wie vor unfassbar (diese in alle richtungen offenen akkorde, der facettenreiche anschlag, die technik, die klar von montgomery kommt, nicht aus dem rock), und auch coleman lässt halt nicht (wie rivers, braxton) den virtuosen raus, der er ja ist, sondern arbeitet mit an einem besonderen band-sound.
vor einigen jahren hab ich ja, durch meine affinität zum jazz der frühen 70er, die anfangsjahre von ecm nachgeholt, das waren aufregende exkursionen, sehr offen, auch für völlig verschiedene ansätze, davon ist gar nicht so viel als einzelalben-favoriten übrig geblieben, aber als gesamtoutput finde ich das sehr bemerkenswert. mittlerweile höre ich auch, dass ecm in der zwiten hälfte der 70er ziemlich schöne, offene jazzrock-produktionen hinbekommen hat, die überhaupt nicht generisch sind. und in den 80ern dann das kluge gegenkonzept zum musealisierenden us-traditionalismus, auch sehr wichtig.
ab den 90ern tauchen – für mich – mehr und mehr langweilige sachen bei ecm auf, da muss man ziemlich viel energie aufbringen, um die schätze darunter zu bergen (sowas wie sidsel endresen z.b.). diese unfassbar vielen klaviertrios, bis heute, mittlerweile sind das halt hülsmann und guidi und weber, das brauche ich alles nicht (dagegen: melford ist bei enja gelandet, was ist mit davis, sanchez, sam harris? iyer ist da die totale ausnahme, taborn – finde ich – das falsche pferd). was ich halt finde und was mich auch stört, ist diese behauptung einer reinen musik, so eine westliche vorstellung von klang und reinheit, während woanders halt über black life matters nachgedacht wird. mir ist ecm tatsächlich zu unpolitisch, war es irgendwie immer schon, und ich verstehe es halt nicht, musik entsteht ja nicht im luftleeren raum, auch wenn eicher wohl manchmal denkt, ihn herstellen zu können. und dann das weltmusikkonzept: nicht den tango in buenos aires aufzuspüren, nie ins subsaharische afrika zu gehen, nach indien, china, japan, sondern immer nur: die welt zu gast in ludwigsburg. oder oslo. und dann frieren die da alle und müssen erstmal protestantisch aushandeln, was sie gegenüber der heiligen stille so anzubieten haben. und das vorbeihören an jungen musiker*innen, die auch immer schon eine zähmungs- und integrationsbereitschaft vorzeigen müssen, bevor man ihnen das studio aufschließt: ich hab mich durchaus offen auf sowas wie kmer oder ronin eingelassen damals, aber das war dann doch immer ein bisschen sanfte elektronik für den ohrensessel – oder halt fürs deutsche feuilleton.
naja, und dann gibt es halt darunter sachen, bei denen ich vorher nie gedacht hätte, dass die für mich funktionieren, von SOLSTICE angefangen bis BLUE MAQAMS, auch stensons entwicklung hätte ich nach seinen anfängen so nicht vorhersehen können.
„verlierer“ bei mir, was die momentaufnahme dieser umfrage angeht: ganz klar jarrett solo, das leuchtet mir einfach immer weniger ein. kenny wheeler, leider. stanko leider, das ist bei mir ein tonproblem, das löst sich erst mit den allerletzten aufnahmen. gewinner auf jeden fall charles lloyd, dessen grenzen ich höre, auch die coltrane-imitationen, der aber so einen schönen, eigenen block auf ecm geschaffen hat, der einfach mittlerweile für sich steht.
das wär so mein fazit. aber letztlich hab ich hauptsächlich gehört, was ich eh schon kannte, und das ein bisschen vertieft und erweitert, muss ich gestehen.
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