Antwort auf: 2021: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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gypsy-tail-wind
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Unerhört – 25. November 20211
Kulturhaus Helferei, Zürich, 18.00 Uhr

David Virelles – Klavier

Gestern mein erstes Jazzkonzert seit März 2020 … wenig Nasenpimmler, aber dafür ordentlich viele, die ihre Masken einfach ganz wegliessen, weil sie ja etwas an ihrem Wein sippen mussten oder einfach alt und geimpft sind (Boomer-Einstellung, tut echt weh). Aber gut, ich konnte das trotzdem sehr entspannt geniessen und hatte einen super Platz (die Sicht war noch besser, hielt das Handy rasch nah vor die Brust beim Fotos knipsen, weil’s da drin so dunke war, dass es sowieso sehr störte). Der Raum ist leider alles andere als geeignet für Konzerte, aber das Unerhört macht dort drin immer wieder solche Solo-Klavier-Feierabendkonzerte (dieses Jahr auch Myra Melford und Django Bates, zudem spielte anderswo noch Kris Davis solo – aber ausser Virelles schaff(t)e ich nichts). Virelles spielte eine Stunde, ein schön gestaltetes Set mit ein paar Unterbrüchen, die er aber wohl nur für sich als Atempausen gedacht hatte – jedenfalls begann er stets mitten im Applaus, weiterzuspielen. Im Flügel lag ein Bündel Noten, in dem auch blätterte, aber ob er sie beim Spielen wirklich beachtete, wurde mir nicht klar. Los ging es relativ verhalten, nach einer Viertelstunde oder so verdichteten sich die Rhythmen, irgendwann haute er richtig wilde Cluster aus dem Flügel und liess diesen schnauben und krachen. In der Linken schien er dabei stets auf Cuba zu bleiben, spielte Half-Beat-Rhythmen mal von der sanften Sorte, dann wieder sehr energisch. Obwohl er ganz offensichtlich verschiedene Stücke spielte, ergab sich im Ganzen ein toller Bogen. Auf dem Weg musste ich auch mal an Louis Gottschalk oder an Jorge Bolet denken, wenn der Lecuona spielt – aber klar, bei den Clustern, wenn auch mal ein Ellbogen oder der ganze Unterarm auf die Tasten krachte, schielte auch Cecil Taylor herein. Gegen Ende spielte Virelles ein Monk-Medley, mit einem Intro, das sich dem ersten Tune annäherte, dann morphte er weiter – und diese Bewegung, dass die Dinge sich quasi aus Vorangegangenem ergeben, ein stetiges Fortlaufen, auch über die Pausen hinaus, schien das Konstruktionsprinzip des ganzen Sets gewesen zu sein. Nachdem der Einstieg nachdenklich und getragen war, nicht gerade dunkel schattiert, aber eher bitter, gab es zwischendurch Aufhellungen und süsse Klänge zu hören, tänzerische Grooves zu eingängigen Riffs, die wiederum zum Ausgangspunkt neuer Exkursionen wurden, die überall hin zu führen schienen – ein Set voller Möglichkeiten und Richtungen, keine leichte Kost. Dass er quasi als vorweggenommene Zugabe nach dem langen Monk-Medley – das am Ende von Monk wegmorphte oder sich von Vorlagen so weit entfernte, dass diese gar nicht mehr zu erkennen waren – noch ein fröhliches kurzes, vermutlich durchkomponiertes Stück spielte, war dann quasi das I-Tüpfelchen eines rundum faszinierenden und gelungenen Sets.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba