Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Lugano, LAC – 11. November 2021

Orchestra della Svizzera italiana
Robert Trevino
, direttore

ARNOLD SCHÖNBERG Verklärte Nacht, poema sinfonico per orchestra d’archi op. 4
FRANZ SCHREKER Kammersymphonie

FELIX MENDELSSOHN Sinfonia n. 5 in re minore

Drei wunderbare Konzerte habe ich Lauf meines Urlaubs in Lugano hören können – alle im LAC und alle vom selben Platz, der etwas Abseits in einer der seitlichen „Loggias“ war. Mir war im Vorfeld nicht klar, wie das mit Zertifikat (das schützt ja eh vor nichts), Masken usw. genau ausschauen würde, aber der Platz erwies sich dann für mich als optimal: Blick ins Orchester und akustisch wunderbar. Ein sehr direkter, komplett mit Holz verschalter moderner Saal mit einem recht steil ansteigenden „Parkett“ und einem grossen Balkon darüber/dahinter, sowie jeweils zwei solcher „Loggien“ mit 7 bzw. 9 Plätzen an jeder Seite (ich hatte in der mit 7 den einzeln abgesetzten Platz zuvorderst, in der unteren Loggia gab’s dort auch eine Gruppe mit 3 Sitzen, wie die zweireihigen dahinter/daneben).

Am ersten Abend spielte das OSI, soweit ich weiss das einzige noch überlebende Radioorchester (bzw. überhaupt Radio-Musikgruppe), ein Relikt aus alten Zeiten, das aber soweit ich weiss das einzige namhafte Orchester der Italienischen Schweiz ist (in Genf gibt es das OSR, in dem schon 1938 das Radioorchester aus Lausanne aufging; das Radio-Orchester Beromünster aus Zürich ging 1970 im Radio-Sinfonieorchester Basel auf und hat eine illustre Geschichte, über die ich bis eben gar nichts gewusst hatte, die Benennung gab’s auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Radio Beromünster überlebte noch bis 2008 als Volksmusikdudelfunk, ein unmöglicher Sender, dem wohl mit dem aussterbenden Publikum irgendwann einfach der Stecker gezogen werden musste).

Das OSI also … und Robert Trevino, ein amerikanischer Dirigent, der mir davor auch bloss namentlich bekannt war. Doch das Programm fand ich – bis auf Mendelssohn – sehr vielversprechend. Dass ich Schönbergs „Verklärte Nacht“ sehr mag, von der Fassung unabhängig, habe ich erwähnt, Schreker kenne ich dafür noch kaum und seine „Kammersinfonie“ hörte ich im Konzert zum ersten Mal (hat da jemand Empfehlungen zu einer Einspielung bzw. gerne überhaupt zu Orchester- und/oder Kammermusik von Schreker?). Mendelssohns Fünfte hörte ich davor mal mit dem Freiburger Barockorchester unter Pablo Heras-Casado und fand damals so wenig einen Zugang wie auf den mir vorliegenden CD-Einspielungen (also: vielleicht habe ich die richtige noch nicht entdeckt, es liegen wohl noch ein paar nie angehörte herum).

Das war denn aber die schönste Überraschung, denn Trevino spielte das seltsam disparate Ding schnörkellos und gradlinig, mich dünkte zügig aber ohne auf den Effekt aus zu sein, zupackend ohne knallig zu werden. Und am Ende wusste ich gar nicht mehr, warum ich mit dem Werk bisher immer so grosse Mühe gehabt hatte.

Schönberg und Schreker in der der viel längeren ersten Konzerthälfte waren sowieso erstklassig, das Orchester überzeugte mich sehr. Und der Saal auch mit seinem sehr transparenten, direkten Klang: das ist der Klang, wie ihn die Maag-Halle in Zürich bot, die ja leider als Konzertsaal nicht überlebt hat. In der neuen/alten Tonhalle wird jetzt wieder der üppige, warme Mischklang zelebriert, der natürlich seine Verdienste hat, aber mir alles in allem einfach weniger entspricht. Durch die Höhe des Saales in Lugano ergaben sich natürlich auch keine der Schuhschachtelprobleme wie in der Tonhalle-Maag (die vergleichsweise sehr tief war, nur knapp über 11 Meter). Bei Schönberg vermisste ich dennoch keinen Moment die Wärme, die dem ja durchaus spätromantisch inspirierten Stücke inne ist.

Die Aufstellung war – wie bei Mendelssohn – die alte, also mit den zweiten Geigen rechts vorn, in der Mitte links die Bratschen und rechts die Celli. Für Schreker musste umgebaut werden: Klavier und Harfe dazu, ein paar Streicher weg, und die Bratschen tauschten mit den zweiten Geigen (von da ist das Foto). Fand ich am Ende ein rundum gelungenes, in jeder Hinsicht stimmiges Konzert – mit der für mich schönen Versöhnung mit Mendelssohns fünfter Symphonie (die glaub ich in der Chronologie seine zweite ist?).

Lugano, LAC – 12. November 2021

Mahler Chamber Orchestra
Leif Ove Andsnes
piano & director
Christiane Karg soprano
Matthew Truscott concertmaster & leader

W. A. MOZART
Piano Concerto No. 23, K. 488
Ch’io mi scordi di te?, K. 505
Masonic Funeral Music, K. 477
Piano Concerto No. 24, K. 491
E: II. Andantino (aus: Piano Concerto No. 21 in C major, K. 467)

Gleich am nächsten Abend ging es wieder hin, diesmal mit Begleitung: ein Bekannter aus Mailand mit seiner Frau stiess dazu, mit dem ich in den letzten Jahren soweit ich mich erinnere zweimal in der Scala und zweimal bei Kammermusikkonzerten im Konservatorium in Mailand war – höchst erfreulich, sowas wieder mal zu tun, auch wenn das anschliessende Abendessen in einer engen Pizzeria unter den Umständen eine grenzwertige Ausnahme darstellte (für beide Seiten, wie ich sie verstanden habe).

Das war von den drei Konzerten für meine Ohren das beste, ein wunderbares, ohne Pause gespieltes Programm (nur kleine Umbaupausen vor der Maurerischen Trauermusik, für die die Bläser massiv verstärkt werden mussten). Ohne Pause ist auch beim Tonhalle-Orchester die neue Entwicklung, aber dort war ich noch nie, und ich weiss nicht, ob der nächste Lockdown mir zuvor kommen wird (die Zahlen sind beängstigend, der Anstieg und die Fallzahlen hochgerechnet noch eine Spur heftiger als in Deutschland – aber da übernächstes Wochenende bereits zum zweiten Mal über das Covid-Gesetz abgestimmt wird, wird die Regierung sich hüten, vorher neue Massnahmen anzukündigen – lieber einige Dutzend Tote mehr).

Aber gut, zur Musik! Andsnes kenne ich nicht gut bisher – nur die EMI-CD „Shadows of Silence“ u.a. mit dem Klavierkonzert von Lutoslawski und ein paar kleine Sachen von Liszt aus einer Box, ebenfalls EMI). Ich hatte also höchst unklare Erwartungen, fand es auch etwas seltsam, dass Karg nur für die gut 10 Minuten dieser Arie dabei sein sollte – letzteres lässt sich aber nicht aufs „ohne Pause“-Konzept schieben, denn geboten wurde in Lugano einer von drei Mozart-Abenden, mit denen das Mahler Chamber Orchestra und Andsnes derzeit touren (in grösseren Städten spielen sie teils gleich alle drei Programme an drei Abenden, neulich in Hamburg oder Wien und ab morgen in Brüssel).

Fand das jedenfalls grossartig, Mozart klang nahezu modern, sehr transparent und sehr klar ausgestaltet und doch manchmal im Klavierpart mit einem fast improvisatorischen Touch – aber nicht von der ausufernden Sorte, wie Jan Lisiecki sie in Basel bot, was mich ja auch sehr beeindruckt hatte. Eher, dünkt mich, kam eine Mischung aus Strenge und Freiheiten zum Vorschein. Karg war in der Arie (mit Klavierbegleitung) auch klasse, und klar, ich hätte gerne mehr von ihr gehört. Nach ihrem Abgang folgte die längere Umbaupause, und dann das Highlight: die Maurerische Trauermusik diente quasi als Prélude zu KV 491, das mit einer kurzen Fermate, ohne die Instrumente abzusetzen, direkt folgte. Dass beide Konzerte zu den „Klarinettenkonzerten“ und Mozarts Klavierkonzerten zählen, kam wunderbar zur Geltung, die relativ kleine Besetzung und der erwähnte transparente Klang sowohl des Orchester wie des Saales trugen wohl beide bei zum Fazit, dass das sehr modern geklungen hat. Der Applaus war gross, obwohl der Saal nicht sehr voll war, als Zugabe spielte Andsnes dann noch den langsamen Satz aus KV 467, ein wundervoller Ausklang, in dem der Konzertmeister des Orchesters dann auch noch solistisch etwas glänzen konnte. (KV 467 gehört das zu einem der aktuellen Programme; auf der bereits erschienen ersten Doppel-CD – es folgt wohl bald noch eine zweite, aber ich muss die erste jetzt erstmal kaufen – ist übrigens die Trauermusik dem Konzert KV 482 vorangestellt).

Lugano, LAC – 15. November 2021

Julia Fischer, violin
Yulianna Avdeeva, piano

WOLFGANG AMADEUS MOZART Violin Sonata No. 33 in E-flat Major, K. 481
GEORGE ENESCU Violin Sonata No. 2 in F minor, Op. 6
ROBERT SCHUMANN Sonata for violin and piano n. 1 in A minor, op. 105
MAURICE RAVEL Tzigane, Concert Rhapsody for violin and piano
E: JOHANNES BRAHMS Scherzo (aus: F-A-E Sonate)

Der dritte Abend begann dann auch wieder mit Mozart, doch den fand ich nicht restlos überzeugend – ganz im Gegensatz zum restlichen regulären Programmteil. Ich habe das Duo 2018 schon mal in der Tonhalle-Maag gehört, auch damals mit einem guten Programm, in dem das Vertraute (Brahms‘ zweite) auf das eher unerwartete (Szymnowskis „Mythes“) und ein halbvertrautes, nicht unbedingt mit Fischer assoziiertes (huch, vermutlich tue ich ihr damit Unrecht?) Werk traf (Schostakowitschs Sonate – als Zugabe spielten sie damals schon das FAE-Scherzo). Dieses Programm spielten sie am Vorabend in der Tonhalle, wo ich das Konzert bestimmt ausgelassen hätte (und wo das erst die zweite dokumentierte Aufführung von KV 481 und die erste überhaupt von Enescu war!) – aber ich bin froh, hab ich das im Urlaub anders gemacht.

Die Enescu-Sonate im Konzert zu hören, danach Schumann, beides in sehr zupackenden, fast angriffigen Sichtweisen, und dann als Krönung und logischen Schluss die „Tzigane“, in der Fischer im langen Solo-Intro eine klangliche Palette bot, die fast schon atemberaubend war – das Konzert bot quasi einen Steigerungslauf, wenn man so will – und dass Schumann nach Enescu zu hören war, war jetzt überhaupt kein Fehler. Die Zugabe fand ich dann etwas brav – und hätte natürlich gerne eine andere gehört. Aber auch das war wieder ein rundum gelungenes Konzert (auch ohne Pause – das scheint im LAC wie beim Tonhalle-Orchester gerade generell das Konzept zu sein, ob das nach der Pandemie wieder geändert wird, weiss ich nicht; von mir aus darf es so bleiben, auch wenn ich Järvis zweieinhalbstündige Programme vermissen werde, die schon auf tolle Art sehr fordern sein können bzw. konnten).

Dass ich einen Moment lang gedacht hatte, Fischer hätte in Zürich auch die Franck-Sonate gespielt, sei mir verziehen, denn beim letzten Mal, als dort die erste von Schumann erklang, war ich auch – das waren aber Janine Jansen und Alexandre Gavrylyuk (die dann eben auch die Sonate von Franck spielten, und zudem die zweite von Brahms, ganz wie Fischer/Avdeeva ein Jahr davor – da kann man schon mal durcheinander kommen). Ein besseres Foto brachte ich leider nicht hin, weil die zwei immer sofort ihre Masken montierten, und bis ich beim Handy das Licht dunkler gestellt hatte, fummelten sie bereits mit den Masken herum – sind ja bloss unwichtige Erinnerungsschnappschüsse, aber ich hab mir vorgenommen, öfter solche zu machen. Die schöne doppelte Klavierspiegelung hatte ich schon vor dem Konzert einfangen müssen.

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