Antwort auf: Paul Weller

#11608565  | PERMALINK

marbeck
Keine Lust, mir etwas auszudenken

Registriert seit: 27.07.2004

Beiträge: 23,973

k-o-r-r„Days Of Speed“, da kommen schöne Erinnerungen hoch. Ich habe damals Paul bei zwei Konzerten sehen können: zuerst am 10.04.2001 im Tollhaus in Karlsruhe …

Ich bin gerade zufällig über ein Review in der FAZ „gestolpert“.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. April 2001:

Und lieg‘ ich dereinst auf der Bahre

Dann denk‘ ich an seine Gitarre: Paul Wellers fulminantes Solokonzert im Karlsruher Tollhaus

Es war dieser wundervolle Moment, als die letzten Akkorde von „Down in the Seine“ gerade verklungen waren, der einsame Mann vor dem Mikrofon die Gitarre wechselte und dann das Riff anstimmte, mit dem „That’s Entertainment“ beginnt. Kein anderes Stück aus dem Repertoire von „The Jam“ sollte an diesem Abend gespielt werden, doch der beißende Sarkasmus dieses einen Lieds ließ plötzlich, und sei es auch nur für die zwei Minuten, die es dauerte, wieder die Erinnerung daran zu, wer da allein auf der Bühne stand:
Paul Weller, der erbitterte Gegner von Margaret Thatcher, der ehedem die Tories mit der Macht der Töne aus der Regierung singen wollte.
Das ist lange her. Weller ist grau geworden, seine markante Pilzkopffrisur ist langen Strähnen gewichen, doch die Stimme hat noch denselben souligen Charakter wie vor einem Vierteljahrhundert, als der damals Siebzehnjährige mit zwei Freunden „The Jam“ gründete, die erfolgreichste englische Band der ausgehenden siebziger und beginnenden achtziger Jahre. Damals löste Weller ein Mod-Revival aus, doch er wehrte sich heftig gegen alle Behauptungen, seine Musik sei rückwärtsorientiert: „Wie kann ich ein verdammter Revivalist sein, wenn ich erst achtzehn bin?“ wetterte er 1977. Bis heute aber hat sich an seiner Neugier auf die Tradition nichts geändert, deren Früchte er zu einem unverwechselbaren Stil verarbeitet, der ihn zum einflußreichsten Gitarristen seiner Generation gemacht hat. Und darüber hinaus: Heute ist Weller neben David Bowie das einzige allgemein anerkannte Idol auch des jungen Britpop. Er hatte das klassische Dreiminutenstück nach all den Klangexzessen der siebziger Jahre wieder populär gemacht. Doch als „The Jam“ auf dem Höhepunkt ihres Ruhms stand, löste Weller die Gruppe auf und schloß sich mit dem Pianisten Mick Talbot 1983 zu einem Duo zusammen, das sich „The Style Council“ nannte.

In den hedonistischen achtziger Jahren traf dieser Name den Zeitgeist, doch die alten „Jam“-Fans hatten unter Musik etwas anderes verstanden. Statt der Verbrämung von Punk und Gitarrenpop mischte Weller nun Jazz, Soul, Funk und Rhythm & Blues ineinander oder schuf chansonartige Balladen, für die „Down in the Seine“ eines der schönsten Beispiele ist. Doch die beiden musizierenden Herren in ihren Maßanzügen schienen sich als Salonbolschewisten zu entpuppen, wenn sie in ihren Texten dazu aufriefen, die Regierung zu stürzen, oder die desolate Lage der streikenden Minenarbeiter beklagten. 1986 setzte „The Style Council“ dann die Theorie in die Praxis um und beteiligte sich an der von der Labour-Opposition finanzierten „Red Wedge“-Tournee, die zahlreiche Musiker zur Unterstützung der Kandidatur von Neil Kinnock gegen Margaret Thatcher zusammenbrachte.
„Council Meetings“, Ratssitzungen, nannte Weller die Konzerte seiner Band, auf denen plötzlich Rapper zum Einsatz kamen oder das Programm zur Hälfte mit alten Soul-Klassikern bestritten wurde. Immer mehr Gastmusiker verstärkten die Band, immer mehr eignete Weller sich die schwarze Musik an. Doch dieses eklektische Ideal ruinierte sein Projekt, als das letzte Album von „The Style Council“ als zu unkommerziell eingestuft und nicht veröffentlicht wurde. „Modernism“ hatte es heißen sollen, die erste weiße House-Platte wäre es geworden. Weller sah alle seine Vorurteile gegen den Kapitalismus bestätigt und betrieb fortan seine Solokarriere.
Das hatte immerhin Tradition, denn schon die Alben und Konzerte von „The Style Council“ hatten den beiden festen Mitgliedern reichlich Gelegenheit zu solistischen Zwischenspielen geboten: Stücke wie „My Ever Changing Moods“, „Ghost of Dachau“ oder „The Whole Point of No Return“ zeigten Weller zudem als einen melancholischen Songschreiber von hohen Graden. Auf seinen Soloplatten beruhigte sich der zornige junge Mann noch weiter, legte seine politischen Ambitionen ab und komponierte nur noch Liebeslieder. In den Konzerten blieb die radikale Vergangenheit ausgespart.
Jetzt ist Weller wieder einmal solo unterwegs, und das heißt: erstmals wirklich ganz allein. Im Karlsruher „Tollhaus“, wo er das letzte Konzert seiner Deutschland-Tournee spielte, teilte er die Bühne nur mit vier Gitarren und einem Flügel. „Das könnte ein furchtbares Desaster werden“, kokettierte er, als er sich an die Tasten setzte, doch „Frightened“ von dem im vergangenen Jahr erschienenen, hervorragend gelungenen Album „Heliocentric“ und das altere „You Do Something to Me“ wurden zum Höhepunkt des Abends, bevor dann doch noch einmal ein winziges Council-Meeting einberufen wurde. Weller spielt aggressiv, entlockt elektrischer wie akustischer Gitarre donnerndes Klanggebrüll, versieht „Amongst Butterflies“ mit viel künstlichem Hall, ehe er doch wieder die elegischen Töne die Oberhand gewinnen läßt.
Sie blieben prägend fur das Konzert, auch wenn „Wild Wood“ und das frühe „Style Council-Stück „Headstart for Happiness“ als erste Zugaben Weller noch einmal zu verjüngen schienen. Doch seine alte Liebe zum Soul kam nur noch einmal zu ihrem Recht, als der deutsche Sänger Tom Liwa, der das Entree des Konzerts bestritten hatte, von Weller auf die Bühne geholt wurde, um mit ihm in einem etwas schrägen Duett „Never Lay Your Head Down“ vorzutragen. Da war erst kaum eine Stunde vergangen, und Weller ließ sich nur durch frenetischen Beifall nach langem Zögern noch zu „Fly on the Wall“ hinreißen.
Niemandem würde man einen solch kurzen Auftritt durchgehen lassen; niemandem außer Paul Weller, der in seine fünfundsechzig Minuten Spielzeit etwas gepackt hat, was kaum jemand für sich in Anspruch nehmen kann: ein Lebenswerk als Zweiundvierzigjähriger – und jedes Stück ein Kleinod.

ANDREAS PLATTHAUS

edit: Das Duett mit Tom Liwa war „May You Never“.

zuletzt geändert von marbeck

--

"I spent a lot of money on booze, birds and fast cars. The rest I just squandered." - George Best --- Dienstags und donnerstags, ab 20 Uhr, samstags ab 20.30 Uhr: Radio StoneFM