Antwort auf: Keith Jarrett

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friedrich

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Ein paar Gedanken zu:

Keith Jarrett / Gary Peacock / Jack DeJohnette – Changeless (Aufnahme 1987, veröffentlicht 1989)

Ein Zen-Symbol auf dem cover, Titel wie „Endless“ oder „Ecstasy“, und in den liner notes philosophiert Keith Jarrett ausgiebig kulturpessimistisch über die Oberflächlichkeit einer verdorbenen Gesellschaft und dem unter dieser Oberfläche verborgenen, wahrem und unveränderlichen („changeless“) Kern der Dinge, den es freizulegen gilt: „Intuition“ statt „Denken“, „Fühlen“ statt „Wissen“, „Natur“ statt „Technik“ – um es stark verkürzt zu sagen. Grübel, grübel …

Aber lasse ich mich einfach mal auf diese 4 Stücke ein, die während 4 verschiedener Auftritte entstanden sind – ohne Komposition und ohne Probe. Ausgangspunkt sind jeweils kleine, sich wiederholende Figuren auf dem Klavier und/oder Bass + drums, die jedoch meist so klar und prägnant klingen, als hätte Keith Jarrett davon ein paar in der Schublade liegen und würde sie hier einfach hervorziehen. Oder ist das wirklich wie aus dem Nichts improvisiert? Egal, denn von da an gerät etwas in Bewegung und der weitere Verlauf ist unvorhersehbar. Diese kleinen Motive verwandeln sich, wogen auf und ab, plätschern, sprudeln, brausen auf und schäumen, zerfließen auch mal um dann wieder eine Form zu finden. Meist ist das Klavier im Vordergrund, dann schieben sich Bass oder drums mal etwas mehr nach vorne, es gibt aber keine eigentlichen Soli, es bleibt immer eine gemeinsame Bewegung. Und selbst wenn das ursprüngliche Motiv nicht immer zu hören ist, so bleibt es doch immer als Ursprung spürbar.

Das erste Stück Dancing ist stärker rhythmisch akzentuiert, es pulsiert und es wird sogar ein beat suggeriert (obwohl ausgerechnet hier der drummer sehr zurückhaltend ist), Endless hingegen wirkt verträumt und entspannt, Lifeline etwas kühler und klarer. Beim abschließenden Ecstasy spielt sich das Trio aus einem anfangs kaum wahrnehmbaren gemeinsamen Vibrieren von Klavier, Bass und drums langsam in einen tosenden Rausch. Da brandet richtig was auf: Dröhnende cluster auf dem Klavier und Jack DeJohnette haut auf die Pauken und lässt die Becken zischen. Großes Drama!

Nicht zu erkennen, woher da jeweils der Impuls kommt, die Richtung zu ändern, die Spannung auf oder abzubauen. Man gewinnt den Eindruck, einem sich selbst organisierenden Prozess zuzuhören, der zwanglos einem geheimnisvollen inneren Antrieb folgt. Irgendwie so als würde man dem Lauf eines Baches folgen, sich im Wind wiegenden Bäumen zusehen oder einem Vogelschwarm. Klingt etwas kitschig und pathetisch? Vielleicht . . . Man muss sich schon auf diese Musik einlassen, dann geht sie erstaunlich leicht ins Ohr und entfaltet eine sehr schöne meditative, manchmal hypnotische Wirkung. Dabei kann man sogar mal ein wenig wegdösen. Und wenn man sich wieder fasst denkt man: Das war schön! Aber dann ist es auch schon vorbei – gone, up in the air …

Vielen Dank @vorgarten!

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)