Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Biomasse

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Lester Bowie – All the Magic | Ein Doppelablum, das ich noch fast nie hören mochte (hatte auch bloss eine Kopie davon, jetzt liegt es in der grossen Art Ensemble-Box vor). Eine Frage, die sich mir bei Lester Bowie immer mal wieder stellt: ist er nicht eigentlich der (viel!) bessere Wynton Marsalis? Wie auch z.B. bei David Murray laufen hier alle Stränge der Jazztradition mit, werden gedreht, gewendet, liebkost, hinterfragt, umgestülpt – und damit gewürdigt auf eine viel tieferschürfende Art, als es der Retro-Bop der Junglöwen oder die smarten Jazzschul-Abgänger der zweiten Generation in den 90ern tat. Einmal mehr hat Bowie hier eine klasse Band zusammengestellt, in der neben seiner brillanten Trompete das kantige, erdige Tenorsax von Ari Brown zur zweiten Stimme wird. Am Schlagzeug ist einmal mehr Phillip Wilson, der hier leider noch mehr nach Rock-Drummer klingt (der er ja auch war), Art Matthews sitzt am Klavier (wer? hat 1981 auch ein Album mit Archie Shepp gemacht und davor schon in dessen Attica Blues Big Band mitgespielt, und auf dem Live-Album von Bowie, das bei jazzwerkstatt erschien, ist er auch dabei) und Fred Williams spielt den Bass. Fontella Bass und David Peaston singen u.a. auf dem langen Opener „For Louie“ (komponiert von Wilson, getextet von Bass). Nach Bowies „Spacehead“ endet die erste Hälfte mit „Ghosts“ von Albert Ayler, mit Gusto interpretiert, aufgeräumt und doch sehr charmant. Auf Teil 2 gibt es die „Trans Traditional Suite“ – schon der Titel ein Statement, in der in der Mitte, zwischen zwei Bowie-Stücken, Bernard Ighners „Everything Must Change“ (mit einer tollen Gesangsperformance!( eingearbeitet wurde. Den Abschluss macht dann der alte R&B-Klassiker „Let the Good Times Roll“. Gefällt mir auf jeden Fall besser als „The Great Pretender“.

Album Nr. 2, aka „The One and Only“, präsentiert Bowie solo – auf dem Territorium seines Kollegen Wadada Leo Smith, bin ich zu schreiben versucht. Zwölf kürzere Stücke sind zu hören, zum Anfang und Ende „Organic Echo“, auf dem Bowie in einen offenen Flügel spielt und die entstehenden Obertöne einbaut. Dazwischen trifft Miles Davis auf Donald Duck, es geht „Down Home“, wird „Dunce Dance“ und „Monkey Waltz“ getanzt, aber auch eine „Fraudulent Fanfare“ erklingt. Ich finde das Solo-Album allerdings nicht sehr packend – bleibt also leider, wie ich es dumpf erinnerte, und das trübt natürlich die Bilanz schon.

Kleine Zwischenfrage: Viele Alben aus der Zeit (1981/82) sind bereits zwischen 45 und 50 Minuten lang – wie verträgt sich das eigentlich mit dem aktuellen Trend zu schwerem Vinyl? Ginge das überhaupt? Die ECM-Pressungen sind ja nicht besonders schwer (120 Gramm?) und klingen in aller Regel auch so hervorragend – wäre da überhaupt mehr herauszuholen (und klar: die Frage ist dann auch, ob die anderen schweren LPs überhaupt besser klingen als sie das auf regulärem Vinyl tun könnten)? Oder ist das dann eher eine Spielerei für jene mit Anlagen, die Tausende Euros kosten?

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