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Marillion – Brave
Nachdem das Experiment “Holidays In Eden” für viele eine Art “Marillion light” darstellte, wusste weder die Plattenfirma, noch die Band selbst wohin die Reise für die nächste Platte gehen sollte.
EMI stellte der Band für “Holidays in Eden” den Mike & The Mechanics Produzent Christopher Neil an die Seite, nachdem man herausgefunden hatte, dass Steve Hogarth bei seinen vorherigen Bands im Grunde eher eingängigere Songs zum Besten gab. Also dachte man sich, dass dies wieder frischen Schwung, sprich mehr Einnahmen bringen sollte.
Christopher Neil fragte Hogarth nach früheren Songs seiner ehemaligen Bands und wählte zwei eher Pop lastige Stücke für das Album aus, “Cover My Eyes” und “Dry Land”. Wie auch immer, weder Fans noch die Musiker, geschweige denn EMI waren mit dem Ergebnis zufrieden.
Für “Brave” wurde schließlich der Produzent Dave Meegan (der schon Fugazi produzierte) ausgewählt. EMI gab ihm als Vorgabe auf den Weg, man solle schneller zu Ergebnissen kommen, anstatt monatelang zu jammen und Ideen auszuprobieren. Hogarth selbst war von dieser Vorgehensweise zuerst sehr angetan. Denn lange Jam-Sessions inkl. zeitaufwändigem Hören der Jams waren ihm nicht sehr vertraut.
Die restlichen Musiker waren ob der neuen Marschrichtung erstmal wie vor den Kopf gestoßen. Jedenfalls fand ein P&R Manager der Plattenfirma ein geeignetes Schloss in Frankreich. Dort sollte die Band wohnen und aufnehmen, das würde Geld sparen.
Dort angekommen, erinnerte sich Hogarth wieder an die Geschichte, die er vor Jahren im Radio hörte. Ein junges Mädchen wurde an der Severn Bridge gefunden, orientierungslos, ohne Erinnerung, nicht fähig zu sprechen. Die Brücke galt damals als “Selbstmord-Hotspot”. Hogarth schlug vor, daraus eine fiktive Geschichte zu entwickeln und die restliche Band stimmte zu. Die restlichen Musiker wollten an ihrer Vorgehensweise festhalten, die Songs in Jams zu entwickeln. Hogarth stimmte zu.
Man fing an ab mittags zu jammen, aß dann gemeinsam etwas, trank Rotwein und ging wieder an die Arbeit. Es war die Phase, in der Marillion zu der Band zusammen wuchs und zu dem wurde, wie man sie auch noch heute kennt.
Dave Meegan hörte sich jedes Demo an und begann die Schlagzeugparts herauszufiltern und zu bearbeiten. Aus Tagen wurden Wochen. Der Druck aus dem UK wurde größer, die Plattenfirma wollte Ergebnisse hören. Nach über einem Monat berief die Band eine Krisensitzung ein und fragte besorgt, ob Meegan das ganze Projekt aus dem Ruder laufen würde. Dieser blieb cool und erwiderte, man hätte zwei Moeglichkeiten, entweder eine “Sch…platte” oder ein “Meisterwerk” aufzunehmen. Die Band stimmt der zeitaufwändigen Vorgehensweise zu.
Währenddessen wurde man im UK immer nervöser und zog nach 3 Monaten ohne fertige Platte die Reissleine. Man orderte die Band zurück nach England, buchte ein Tonstudio und die Band musste sofort weiter machen. Der Druck wurde immer größer, die Band war Tag und Nacht im Studio. Die Ehe von Hogarth drohte zu zerbrechen und seine Frau stellte ihm ein Ultimatum, er müsse wenigstens für eine Woche nach Hause kommen. Hogarth fragte bei EMI nach und bat um eine Woche Pause. Die Plattenfirma verweigerte ihm dies. Wutentbrannt fuhr Hogarth ins EMI Headquarter und schilderte seine Situation. Man gib ihm schließlich eine Woche frei, unter der Bedingung, dass dies die einzige freie Zeit sei, bis die Platte fertig gestellt wird.
Während die Band kurz vor Fertigstellung war, waren die Charts vom aufkommenden Britpop gefüllt. Marillion legten der Plattenfirma schließlich ein Konzeptalbum auf den Tisch, dass sperriger war, als alles, was sie jemals aufgenommen hatten. Zudem handelte die Geschichte von einer suizid gefährdeten jungen Frau, die von einer Brücke springen wollte und ihr Gedächtnis verloren hat. Keine guten Voraussetzungen für einen Charterfolg. Die Band zeigte sich jedoch aus musikalischer Sicht sehr zufrieden.
In den UK Charts stieg “Brave” auf Platz 10 ein und hielt sich 22 Wochen in den Top 100. Man verkaufte 300.000 Platten, was aus heutiger Sicht einen enormen Erfolg darstellt. Doch für EMI war das zu wenig. Nur die Hälfte an abgesetzten Platten im Vergleich zu “Holidays In Eden” und keine Hitsingle. Für die Aufnahmen zur letzten Platte für EMI wurde das Budget nochmals gekürzt und bevor die Band ins Studio ging, fragte man nach einer Hitsingle. “Beautiful” war der einzige Song, den die Band präsentieren konnte. Die Band erfüllte ihren Vertrag, lieferte unter Dave Meegan wieder eine hochwertige Arbeit ab, doch Promotion wurde so gut wie keine mehr gemacht.
Als die Band auf ausgedehnte Tour zu “Brave” ging, waren viele Fans entsetzt und nicht wenige kehrten ihnen den Rücken. Doch mittlerweile gilt die Platte als Klassiker und wird auch von den Marillion Fans sehr geschätzt.
Für mich stellte das Konzert in der Hugenottenhalle (Neu Isenburg) mein erstes Marillion Konzert dar. Und ich war absolut begeistert. Die Band spielte die anspruchsvolle Musik enorm dynamisch und Hogarth wuchs über sich hinaus. Er gab alles, lebte die Rolle auf der Bühne förmlich. Von den ruhigen Momenten mit Kerzen am Piano bis hin zu den rockigen Passagen, in denen er bis an seine physischen Grenzen ging. Zumindest in Neu Isenburg wurde die Band euphorisch gefeiert. Und Marillion hatten einen neuen Fan gewonnen (der Hogarth Ära, die Fish Platten kannte ich ja schon vorher) und einen Platz in den Top 5 meiner besten Konzerterlebnisse sicher.
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