Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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pfingstluemmel
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Es muss eine mythische Zeit gewesen sein, an die sich viele Fußballfans zurückerinnern. In einem Land vor unserer Zeit, als es im Fußball noch um den Sport ging, fernab vom schnöden Mammon der Aktiengesellschaften und Konzerne. Als man sich dem Spiel widmete, nicht der Vermarktung der Spieler. In den frühen 1970ern lag diese Zeit schon ein Weilchen zurück, denn wir treffen in Libero auf den durchkommerzialisierten Fußball, den wir auch aus unseren Tagen kennen, verkörpert von Franz Beckenbauer.
Regisseur Wigbert Wickers scheint sich nicht der Dissonanz zwischen seinem angestrebten Porträt und der tatsächlichen Wirkung seines Filmes bewusst zu sein, versucht er doch Beckenbauer in die Rolle des sensiblen Sportgenies mit Antennen für die kapitalistischen Auswüchse des Fußballs zu pressen, während dieser gleichzeitig (innerhalb und außerhalb des Films) alles verkörpert, was diesen Sport so jämmerlich erscheinen lässt. Schon im Jahr vor seinem Weltmeistertitel kann man ihn als Superstar bezeichnen, zumindest reicht „weltberühmt in Germany“ nicht mehr aus, um dem Rummel um die Person Beckenbauer gerecht zu werden.
In einem ähnlichen Zwiespalt findet sich Libero auf formaler Ebene, denn unübersehbar haben wir es mit einem handwerklich kompetent bebilderten Leinwanderlebnis zu tun, das sich sorgfältig um Farbe und Komposition kümmert, Musik nutzt, um Fußballszenen einen künstlerischen Anspruch zu verpassen, und auch in Sachen Kameraführung und Beleuchtung mehr Aufwand betreibt als die durchschnittliche bundesdeutsche Konkurrenz zu diesem Zeitpunkt. Leider entpuppen sich die auf vermeintliche Größe geschneiderten Aufnahmen als etliche Nummern zu weit für Franz Beckenbauer, den FC Bayern und den deutschen Fußball. Des Kaisers neue Kleider kaschieren kaum den etwas tumben Arbeiterjungen mit dem treudoofen Gesichtsausdruck; sie vermögen nicht über die Unzulänglichkeiten des Fußballs hinwegzutäuschen: Er ist in den kleinen Fernsehgeräten der damaligen Zeit weit besser aufgehoben als auf der Kinoleinwand. Weder das eigentliche Spiel, noch das Drumherum können in diesen Dimensionen glänzen. Fußball mag ein netter, kleiner Zeitvertreib mit ungeahnten kommerziellen Möglichkeiten sein, in den Hallen der Kunst wirkt er schäbig und deplatziert.
Aus diesem Dilemma entsteht eine Menge unfreiwilliger Komik, die Libero einen erhöhten Unterhaltungswert verschafft, vor allem durch das Aufeinandertreffen des audiovisuellen Zeitgeistes mit dem verknöcherten Spießertum, das unterhalb all der bunten Klamotten und Einrichtungsgegenstände den Ton angibt, manchmal sogar einen Kasernenhofton, der vor allem im Umgang mit Frauen und Kindern zutage tritt. Beckenbauer selbst fällt in dieser Hinsicht nicht unangenehm auf, sein ständiges grenzdebiles Grinsen erschwert jedoch auch irgendeine andere Rolle als die des Franz-im-Glück, der gar nicht so genau weiß, wie er das alles verdient hat. Aus diesem Grund wirken die vorgebrachten Zweifel am Beruf des Fußballprofis auch wie von Wigbert Wickers eingeflüstert, eine ungelenke Verrenkung, um mögliche Kritik am Fußballbetrieb schon im Voraus einzudämmen.
Dazwischen kann man Familie Beckenbauer beim Urlauben in Israel über die Schulter schauen, ein professionelles Homevideo, das Wickers ähnlich wie die Fußballszenen zu einer längeren, musikalisch unterlegten Sequenz zusammenschneiden lässt, gespickt mit ein wenig Schleichwerbung, wie man sie immer wieder über den Film verteilt findet: Adidas, Marco Polo, Lord, Mercedes-Benz.
Wie zu erwarten, wurde der Film von der Presse (die Libero wenig ruhmreich skizziert) verrissen. Beckenbauers damaliger Manager hielt dies für ein gutes Zeichen, denn was verstehen diese „Intellektuellen“ und „Filmmenschen“ schon vom Fußball? Die Fußballfans, der anvisierte Markt, würden die Kassen schon zum Klingeln bringen.
Natürlich geben sich auch die Kollegen vom FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft für kurze Cameos her, von Paul Breitner über Gerd Müller und Uli Hoeneß bis Günter Netzer sind sie alle in Libero vertreten, meist nur in ihrer Rolle als Fußballspieler. Die beteiligten Schauspieler wie Harald Leipnitz und Klaus Löwitsch bekleckern sich nicht gerade mit Ruhm, die Profis haben den Laien aus dem Fußballcamp höchstens ein oder zwei Grimassen voraus.
Libero versucht den Fallrückzieher auf der Metaebene der fußballerisch-kaufmännischen Wirklichkeit, in einer Reihe von Eigentoren endend, welche die Fans des Fußballers Franz Beckenbauer nicht erfreuen werden, jedoch für einige Lacher unter den Anhängern des unfreiwilligen Humors der salbadernden Lichtgestalt sorgen, deren kleingeistige Litanei wie für die Welt des Sportfernsehens geschaffen ist. Gott erhalte Franz, den Kaiser.

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Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.