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Die manchmal leiernden, manchmal flimmernden und manchmal sich überlagernden Störungen des Signals einer VHS-Kassette, wenn es nicht gar zu abrupten Totalaussetzern von Bild und Ton kommt, muten ein wenig wie forcierter Retro-Chic an, bevor sich die Ereignisse in The Rambler vom staubigen Wüstenstraßensetting emanzipieren und eine charmante Räuberpistole etablieren, wie sie b-filmischer nicht sein könnte: Der slightly mad scientist und seine Mumien-Roadshow stecken in der Beta-Testphase einer Maschine, die Träume sichtbar machen und auf Videokassetten aufzeichnen kann. Dies läuft nicht immer ganz nach Plan, der Strom an Neu-Mumifizierten will nicht abreißen, da die Kopfform der Träumenden oft wenig kompatibel mit der Maschine scheint. Viel wichtiger: Der Zuschauer kann ab diesem Moment vermuten, er betrachte eines der aufgezeichneten Tapes, obwohl das traumkonstituierende Verfremdete und Unbewusste noch zurückhaltend an der Peripherie herumlungert.
Zunächst sieht es nämlich so aus als würde Regisseur Calvin Reeder, der auch das Drehbuch und einige Songs für The Rambler basierend auf der Vorlage seines eigenen Kurzfilms gleichen Namens verfasste, eine relative geradlinige Story über einen Ex-Knacki erzählen, den seine vierjährige Haftzeit so weit verändert hat, dass er mit seinen partner- und freundschaftlichen Beziehungen brechen muss, um ein neues Leben anzufangen. Er greift wiederum auf noch ältere Familienbande zurück, die ihm den Neustart in der Ferne ermöglichen sollen.
Der Rambler ist ein wortkarger Mann mit lakonischem Humor, der die Fallstricke des Lebens kennt, sich selbst zu helfen weiß, jedoch niemals ganz in die Niederungen des echten Gesindels herabgestiegen ist, das ihm die erste Etappe seiner Reise vergällen soll. Als er den selbsternannten Wissenschaftler und seine Traummaschine trifft, hat man ihn längst um sein Geld gebracht und krankenhausreif geschlagen. Die Flirts mit einer leichtfüßigen, aber mysteriösen Reiterin hellen den Tag etwas auf, obwohl das erbarmungslos gleißende Licht der Wüstensonne kaum Platz für Schatten lässt. Aus den wenigen dunklen Ecken, die nicht von den Sonnenstrahlen erreicht werden, kriecht eine Finsternis in den Film, die ich als seelisch bezeichnen möchte. Hatte der Rambler zuvor Probleme mit anderen Menschen oder gesellschaftlichen Institutionen, verfolgen ihn nun Erinnerungen und Gedankenbruchstücke, die sich um Schuld und eine ehemalige Beziehung drehen könnten.
Regisseur Calvin Reeder beschränkt sich ab diesem Zeitpunkt darauf, frei zu assoziieren und albtraumhafte Flashbacks in das staubtrockene Roadmovie, welches vollständig in Roswell, New Mexico (ja, genau, dem!) gedreht wurde, einbrechen zu lassen. Die harsche Wirklichkeit der Straße bietet jetzt vielfältigere Ebenen des Schreckens, abseits von Gewalt und Alkohol. Die White-Trash-Körperlichkeit bleibt weiterhin der Ausgangspunkt für schmerzhafte Erfahrungen, potenziert diese jedoch durch seelische Qualen und eine wiederkehrende Reflexion all dieser Vorgänge. Zu diesem Zeitpunkt kann man erahnen, warum auf dem Cover der DVD mit „David Lynch trifft David Cronenberg“ geworben wurde, denn so wenig sich The Rambler in deren filmischen Universen aufhält, so sehr erinnert manches bei oberflächlicher Betrachtung an Wild at Heart oder Videodrome.
Der offensive, fast schon slapstickartige Humor von Reeders Film fügt sich überraschend gut in die kruden Gedankensplitter, Albträume und Roadmovie-Szenerien ein, auch die teils völlig überraschenden (und recht blutigen) Splattereffekte hätten einem weniger talentierten Regisseur sicher einen Strich durch die Rechnung machen können. Bei allen B-Movie-Zutaten, zuweilen an der Grenze zum Trash, schlingert die Inszenierung nicht und hält ihren atmosphärischen Kurs bis zum Schluss aufrecht, wenn The Rambler über einem psychedelisch verhallten Countrysong (dargeboten von Hauptdarsteller Dermot Mulroney) siegreich tänzelnd ins Ziel einläuft. Mögen die Sujets und das Budget aus dem B-Bereich stammen, das minimale Storygerippe die Geschichtenerzähler höhnisch grinsen lassen, so sprechen Fotografie (an der Kamera Dave McFarland, editiert von Buzz Pierce), Soundtrack, Ideen und Ausführung für einen hochwertigen Film, dem man eine mutigere Kinoauswertung gegönnt hätte, auch im Wissen um die haarsträubend niedrige Durchschnittswertung auf imdb.com, die wieder einmal mehr über diese spezielle Internetklientel verrät als über den Film.
Lynch und Cronenberg beiseite, zöge man die einleuchtendere Verbindung sicher zu Richard Stanleys Dust Devil, der ähnliche Themen in einem ähnlichen Setting verhandelt, auf eine robustere und ausführlichere Weise, die der quecksilbrigen Sprunghaftigkeit von The Rambler zuweilen entgegenläuft, beide aber mit Spaß an der Assoziation und dem Reich des Unterbewussten und des Traums.
Eine vollständig ausbuchstabierte Deutung von Calvin Reeders Film mag nur dem Regisseur oder dem Psychoanalysten des Regisseurs gelingen, auf diese bin ich aber überhaupt nicht scharf. Mir reicht der erhaschte Blick auf die inneren Mysterien fremder Köpfe, ohne diese von Naturwissenschaftlern mit dem Skalpell in kleine Stücke schneiden zu lassen. Performatives Kino wie man es sich viel öfter wünscht, garniert mit etwas menschlichem Roadkill und dem Wissen um die Unmöglichkeit von Zufriedenheit und Heimat.
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Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.