Antwort auf: The Sound of Japan

#11410123  | PERMALINK

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Heute mal eine geschätzte Band von mir, die ganz gut zu den letzten Beiträgen hier passt. Hitsujibungaku („Schafsliteratur“ oder „Literatur des Schafes“) ist ein Trio aus Tokyo, das vor bald zehn Jahren zusammengefunden hat. Ursprünglich als Quintett gegründet, bilden seit dem professionellen Startschuss und dem Andocken beim Label felicity um 2017 SHIOTSUKA Moeka (Vocals, Guitar), KAWANISHI Yurika (Bass) und FUKUDA Hiroa (Drums) das Gefüge der Band.

Seither haben Hitsujibungaku zwei Alben und vier EPs veröffentlicht, die mir allesamt gut gefallen. Musikalisch kann man sie vermutlich dort verorten, wo Kritiker bei höchst unliebsamen und schwammigen Genre-Bezeichnungen Indie-Rock, Alternative-Rock und meinem Favorit, Shoegazing, ihre Grenzen zueinander ziehen würden. Da ich diese Beschreibungen aber wenig praktikabel finde, würde ich sagen, die Band spielt eine sehr knackige Form von Rock mit großer Pop-Sensibilität und gelegentlicher Noise-Affinität, die trotz im Pop-Kosmos vergleichsweise ausufernder Laufzeiten sehr tight einläuft. Ich mag vor allem den kernigen Gitarrensound, Shiotsukas tollen Gesang und die poetischen, aber doch simpel gehaltenen Lyrics (immerhin simpel genug, dass sogar ich sie problemlos verstehen kann – nicht nur akustisch). Dazu die besonders auf dem letzten Album prominent vertretenen Ausflüge in Richtung kraftvoller und mitreißender Power-Pop-Hooks und der immer stärker werdenden Rhythmusgruppe Kawanishi/Fukuda. Abgesehen davon denke ich, dass Shiotsuka es tatsächlich schafft, ihre Emotionen auch jenen nachhaltig zu vermitteln, die kein Wort verstehen.

Das 2018 veröffentlichte Debütalbum Wakamonotachi e („An die Jugend“ oder „Für junge Leute“) vereint bereits die angesprochenen Tugenden und spielt die Stärken der Band geschickt aus. Das Mixing finde ich insgesamt nicht optimal, einige Stücke wie das schöne Step sind davon aber nicht merklich betroffen. Step zeigt im Übrigen auch, wie ich finde, dass die Band ein ganz besonderes Gespür für die Dramaturgie bzw. die Struktur ihrer Songs hat.

Noch ein bisschen lieber habe ich den Nachfolger, das im vergangenen Jahr erschienene Powers, das sich immerhin auch in meiner Jahresabschlussliste sehr gut platzieren konnte. Wie oben angedeutet, höre ich das Zweitwerk noch ein gutes Stück zugänglicher, melodischer und auch hymnischer mit einigen großartigen Hooks. Besonders liebe ich die Jangle-Gitarre am wunderbaren Aimai de ii yo, die wehmütige Poesie von Omajinai und generell, wie toll Shiotsuka auf Powers klingt. Oh, und der Sound ist auch etwas besser austariert als am Debüt. Die EPs besitze ich nicht, habe sie aber online gehört, wirklich schön auch.

Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wie populär die Band in Japan ist, die Youtube-Zahlen scheinen nicht überwältigend zu sein (aber ich kenne mich dort zugegeben auch kein bisschen aus). Ich glaube allerdings, dass es doch eine überschaubare, enthusiastische und loyale Fanbase gibt, die in den kommenden Jahren kontinuierlich wachsen wird. Und obwohl Hitsujibungaku bislang sicher tendenziell Songs schreiben, mit denen sich jüngere Menschen identifizieren können, darf hier jeder bedenkenlos zugreifen, der ein offenes Ohr für mitreißende und empfindsame Musik zwischen Rock und Pop, Melancholie und Euphorie hat. Ich hoffe, ich kann das Trio noch live sehen, bevor es in die größeren Hallen geht.

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