Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

Startseite Foren Kulturgut Für Cineasten: die Filme-Diskussion Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

#11403577  | PERMALINK

pfingstluemmel
Darknet Influencer

Registriert seit: 14.09.2018

Beiträge: 7,417

Eine der ersten öffentlichen anti-rassistischen Aktionen in der noch jungen BRD, zeigte sich in den Protesten von in Deutschland studierenden Afrikanern, zusammen mit dem SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), gegen den Film Africa Addio, der 1967 in die deutschen Lichtspielhäuser kam. Die italienischen Regisseure Gualtiero Jacopetti und Francesco Prosperi hatten im Stil ihres sehr erfolgreichen Vorgängerwerks Mondo Cane einen weiteren Mondofilm gedreht, der sich speziell auf den afrikanischen Kontinent fixierte. Die nach eben diesem Mondo Cane benannten Filme führten exotische Szenen aus dem Leben fremder Völker auf fernen Kontinenten vor, oftmals sensationsheischend und semi-dokumentarisch, mit dem Fokus auf Sex, Gewalt und Tod. Aus dieser kleinen Welle von exploitativen (Pseudo-)Dokumentationen entwickelte sich später der italienische Kannibalenfilm und Videoreihen wie Faces of Death, wobei vor allem letztere nur noch den niedersten voyeuristischen Bedürfnissen des Publikums huldigten.
Jacopettis und Prosperis Vision des Mondofilms suhlt sich noch nicht in der niederträchtigen Verwertungslogik der krassen Nachrichtenbilder von Unfällen, Suiziden und Morden, sondern vereinigt Jacopettis vorherige Arbeit als Kriegsberichterstatter mit dem wissenschaftlichen Interesse an Flora und Fauna von Prosperi. Auch die cinematographische Brillanz der Bilder des Kameramanns Antonio Climati hebt Africa Addio weit über den Videothekenschmuddel, welcher überwiegend in den 1980ern produziert wurde. Wir erfahren durch ihn Afrika vor allem aus der Totalen, meist aus einem Hubschrauber heraus gefilmt. Climati pflegt eine Vorliebe für Massenszenen: Er nutzt die Weite des Kontinents, die Masse der Menschen und Tiere, um in einer Kombination aus Schönheit und Schrecken, die Leichen und Kadaver in ihrer erstaunlich geometrischen Anordnung mit den Spektakeln der Natur und den Bauwerken der Zivilisation abzugleichen. Die kunstvolle Spielfilmästhetik und die eingängige Filmmusik von Riz Ortolani, der schon an Mondo Cane beteiligt war und später den sehr bekannten Soundtrack zu Cannibal Holocaust komponieren sollte, verweisen deutlich auf eine Inszenierung der Wirklichkeit, die der gewöhnliche Dokumentarfilm oft zu verschleiern versucht, gerade auch durch bewusst „unprofessionelle“ Kameraarbeit, Tonaussetzer, Beleuchtungsprobleme und ähnliche Kniffe. Ironischerweise bleiben Jacopetti und Prosperi „aufrichtiger“ in der Wahl ihrer filmischen Mittel als die ehrbaren Kollegen des Dokumentarfilms, die im Mondo nur den schmuddeligen kleinen Bruder sehen, der die Welt nach dem Bauchgefühl des Pöbels inszeniert.
Jacopetti behauptete bis zu seinem Tod, keine der Szenen sei gestellt gewesen, was ihm unter anderem den Vorwurf einbrachte, er habe weiße Söldner bezahlt und betrunken gemacht, um Exekutionen an afrikanischen Soldaten filmen zu können. Vor Gericht konnte er sich dieser Anschuldigungen erwehren, ein negativer Beigeschmack bleibt, sprechen die Bilder von Africa Addio doch eine lautere Sprache als Beteuerungen, Eide und Gerichtsurteile. Die Menschen wurden getötet und anstatt zu versuchen ihnen zu helfen, hat Jacopetti vor allem dafür gesorgt, fantastische Einstellungen der Hinrichtung einzufangen. Üblicherweise reden sich Dokumentarfilmer mit einer verschwurbelten Objektivitätspflicht aus Situationen dieser Art heraus, da sie „die Aufgabe haben, die Wirklichkeit abzubilden, anstatt sie zu gestalten“, doch selbst der filmische Laie weiß um die Inszenierung und Subjektivität eines jeden auf Zelluloid festgehaltenen Vorgangs. Einem Profi nehme ich diese Blauäugigkeit nicht ab. Ich halte sie für eine Lüge.
Problematisch wird Africa Addio vor allem durch sein pro-kolonialistisches Weltbild. Zu Zeiten des Drehs, in der Mitte der 1960er Jahre, erlebten viele afrikanische Völker die Befreiung von der Knute des Kolonialismus: Briten, Franzosen und andere Europäer traten den Rückzug an, nachdem sie den Kontinent Jahrhunderte ausgebeutet und ausgeblutet hatten. Das daraufhin entstehende Machtvakuum bereitete den Boden für Kriminalität und Grausamkeiten aller Couleur – und das Voice-Over des Erzählers lässt wenig Zweifel daran, dass dies auf die afrikanische Bevölkerung zurückzuführen ist, die ihren ehemaligen europäischen Herren, die Zucht, Recht und Ordnung aufrecht erhielten, in allen sozialen und politischen Aufgaben hoffungslos unterliegt. Tenor: Weitere Jahrzehnte unter europäischer Herrschaft hätten Afrika blühende Landschaften beschert.
Neben den atemberaubenden Aufnahmen des Naturpanoramas, die meist auf Prosperis Kappe gehen, ergießt sich eine Flut von verstörenden Bürgerkriegsszenen, Hinrichtungen, Aufständen, Massengräbern und Tiertötungen von der Leinwand herab, welche den gesetzlosen Zuständen der jeweiligen Länder Rechnung tragen. Tierfreunde sollten einen Bogen um Africa Addio machen, denn wem die aufgeknüpften Affen zu Beginn des Films und kurz darauf die Kühe mit den durchgeschnittenen Hinterläufen noch nicht genug sind, der kommt spätestens mit dem Nilpferdschlachthof, wo nach Quote getötet wird und man Föten aus den trächtigen Kühen herausschneidet, an seine Grenzen. Beeindrucken kann die folgende Einstellung, die unzählige Kieferknochen geschlachteter Flußpferde an den Ufern des Stroms einfängt. Ein gespenstischer Friedhof, von der Kamera be(d)rückend in ein Stilleben übersetzt.
Ich muss zugeben, dass mir der Tier-Snuff näher geht als die Gewalttätigkeiten der Menschen untereinander. In dieser Hinsicht bin ich wohl abgestumpft und bar jeder Hoffnung. Die Konflikte der Menschen im Afrika der 1960er sind auch heute noch die Konflikte der Menschen in Afrika – mehr als 50 Jahre später. Als ein Beispiel dient das Massaker an Arabern in Sansibar, von dem Jacopetti und Prosperi die einzigen bekannten Aufnahmen anfertigten: Massengräber von Menschen in weißen Roben, die wie reglose Gespenster wirken.
Über weite Strecken von Africa Addio würde ich den Ton der Darstellung als pro-kolonialistisch bezeichnen, nicht mal als anti-afrikanisch, leider schlägt der Film kurz vor Schluss noch ins Rassistische um. Die Szenen in Südafrika verhöhnen das zuvor abgebildete Morden und Schlachten und der Erzähler breitet genüsslich aus, warum Südafrika das „reichste Land der Erde“ (war es das damals?) ist: Weil man hier nach europäischem Modell verfährt, unter Anleitung von weißen Menschen, den Buren. Unterlegt mit fetziger Pop-Musik, zu der junge, weiße Damen in Bikinis am Strand tanzen. Grotesk, infam. Der Mund bleibt einem offen stehen.
Ruggero Deodato entwickelte dieses zurückgebliebene Weltbild im Kannibalenschocker Cannibal Holocaust weiter. In seinem Abkömmling der Mondofilme wirken Europäer und Amerikaner nicht besser als die „Wilden“ – und Filmemacher wie Jacopetti kriegen ebenfalls ihr Fett weg, zeichnet Deodato sie doch als rücksichtslose Manipulatoren. Einen Vorwurf, den sich Jacopetti gefallen lassen muss, immerhin vertraute er für die Arbeit an Africa Addio auf die Hilfe des berüchtigten Nazis Kongo-Müller.
Die FSK sah keine Probleme und verteilte eine Freigabe ab 18; VZM/X-Rated nutzt sogar den alten widerwärtigen Klappentext (Zitat: „Grausames Afrika! Wilderei, politische Missstände, Bürgerkrieg, Rassenhass und Hinrichtungen dominieren das ’neue‘ Afrika während dem Wechsel zur eigenen Regierung nach der britischen Imperialherrschaft. Nachdem sich die Ureinwohner unter Gewalteinwirkung das zurücknehmen, was ihnen angeblich zusteht, versinkt der ’schwarze‘ Kontinent in einem Sumpf voller Terror und Gewalt. Rassismus steht an der Tagesordung, denn der weiße Mann wird als Unterdrücker verkannt und soll nun für seine Schandtaten büßen. Doch auch die Tierwelt ist einigen Veränderungen ausgesetzt: Schwarze Wilderer töten aus Profitgier Unmengen von Nilpferden und aus Freizeit werden unschuldige Elefanten abgeschossen.Außerdem verkauft sich Elfenbein hervorragend auf dem Weltmarkt. So wird einem auch gegen Ende klar, wer das grauenvollste Tier in Afrika ist – der Mensch!“) für die Blu-ray-Neuveröffentlichung des Films, die seit Ende 2018 in jeder Elektronik- und Drogeriekette ausliegt.
Wie stehe ich zu Africa Addio? Einem Film, der in seiner Aussage belegbar rassistisch ist, aber voll wunderbar komponierter Bilder und Szenen steckt? Der mir eine Welt vorführt, die mir nicht schmecken mag, aber dies auf eine Art und Weise tut, die mich unmittelbar anspricht? Ich entscheide mich, wie in anderen Fällen, für den Sieg der Ästhetik über die Moral.

--

Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.