Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

Startseite Foren Kulturgut Für Cineasten: die Filme-Diskussion Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

#11397833  | PERMALINK

pfingstluemmel
Darknet Influencer

Registriert seit: 14.09.2018

Beiträge: 7,417

Nicht nur die Kreuze, alle Dinge stehen Kopf, wenn man der Zeichnung des Bösen im zeitgenössischen Horrorfilm folgen will und diese mit dem Bild des Guten in der Wirklichkeit abgleicht. Gott hat ein schwerwiegendes Problem mit seinem Bodenpersonal. Waren es in vergangenen Zeiten gierige und größenwahnsinnige Menschenschinder, die im Namen der Weltreligionen Angst und Schrecken schürten, trifft man heutzutage auf Schwächlinge mit automatischen Schusswaffen und Raketenwerfern, die bei allergrößter Anstrengung einige Wolkenkratzer pulverisieren, während sie meist nicht in der Lage sind, den Bauplänen für Bomben zu folgen und deshalb lieber wahllos in Weihnachtsmärkten herumstochern. Auch die Jünger Jesu waren vor allem dumm und gewöhnlich, kein Vergleich zu den Satanssöhnen und -töchtern, die in den Okkultschockern der späten 1960er bis heute ihre Auftritte hatten. Angefangen bei Rosemary’s Baby über The Omen bis hin zu Another weist die Brut des Unaussprechlichen Charisma, Intelligenz, außergewöhnliche Begabung und Bildung auf, die den Witzfiguren mit AK-47 im Dienste des HERRn völlig abgehen.
So verwundert es wenig, wenn Jason Bognacki in seinem Spielfilmdebüt, das auf einem seiner Kurzfilme gleichen Namens beruht, viele der Kadragen mit einem Porträt der auffällig hübschen Hauptdarstellerin Paulie Rojas beginnt und diese dann sukzessive auf durchgestaltete Räume ausweitet, welche den Stilwillen des Giallos atmen und in dessen Tradition einen Spagat zwischen der klassischen Schönheit der Hochkultur und den visuellen Camp-Sensationen des Horrorfilms der 70er und frühen 80er wagen. Sobald die Sicherheitsmarkierung der Rolltreppen mit dem gesetzten Licht und Schuhen und Kleid der Hauptdarstellerin farblich übereinstimmen und bewusst perspektivisch zusammengeführt werden, weiß man um die Präferenzen des Regisseurs, der sich hier als Auteur ebenfalls um Drehbuch, Schnitt und Fotografie kümmert, dazu bedarf es nicht erst der kleinen Danksagung im Abspann an Jess Franco und Dario Argento.
Another weist in der Herangehensweise Ähnlichkeiten zu den Filmen von Cattet und Forzani (Amer, L’étrange couleur des larmes de ton corps) auf, gibt sich im Ablauf jedoch weniger kryptisch und hilft dem Zuschauer durch einige erklärende Dialoge bei der Orientierung in den Bildwelten. Diese bauen nicht unbedingt aufeinander auf, sondern entspringen einem Potpourri aus filmischen Stilen, die sich von dekorativer Werbung bis hin zum psychedelischen Farbenrausch erstrecken. Ein Nebeneinander der optischen Einfälle des letzten Jahrhunderts, nicht ganz so unverbunden, wie es in manchen Szenen wirken mag. In das Knallige und Farbenfrohe mischen sich bedrohliche Bilder des Mystischen und Okkulten, oft mit Wurzeln in der Natur, etwa die symbolisch eingesetzten Raben und das Ritual in einer Felsenhöhle. Unterschwellig durchziehen christliche Motive den Film, Mönchskutten und Latein künden am Offensichtlichsten davon, auch wenn Regisseur und Schauspieler in Interviews selbst auf die griechische Mythologie verweisen. (So wie Satanisten christliche Symbole umkehren, findet die Geburt der Hauptfigur durch den Mund der Mutter statt. Eine ganz neue Definition von Kopfgeburt und Muttermund.)
Bognacki erfreut sich offensichtlich sehr an einer eklektischen Auswahl von Schönheit, die er auf immer anderen, neu ausgestalteten Wegen mit dem Publikum teilen möchte. Die drei starken weiblichen Charaktere geben dem Leitmotiv einen Drall ins Hexische; die Männerfiguren hingegen bleiben unwichtige Karikaturen, Nebensächlichkeiten in den Kämpfen dieser Welt, zu goofy für eine echte Rolle. Weil Schönheit (ob nun weiblich, natürlich oder gegenständlich) auf Dauer ermüdend wirkt, nutzt er das Böse (und mitunter Hässliche) um die Spannung in Another aufrechtzuerhalten. Dies gelingt – bis auf den etwas dialogreicheren Mittelteil, der sich für mein Empfinden schon etwas zu geschwätzig und informativ ausbreitet, vor allem im Vergleich zum Rest des Films, welcher sich bei einer Spielzeit von knappen 80 Minuten noch den Luxus eines fast zehnminütigen Abspanns gönnt. Ganz im Sinne des Regisseurs erhascht man hier aber einen ausführlichen Blick auf eine weitere Stilfacette, man sollte den Abspann also eher als abschließende Szene betrachten, denn als Bilderrahmen für die Credits.
Im Aufeinandertreffen der stark stilisierten Einstellungen und ausgewählter klassischer Musik von Händel, Chopin, Puccini und Beethoven wirkt Another wie ein Werbefilm für das Böse: Elegant, verführerisch, sinnlich – mit so beunruhigenden wie transzendenten Momenten des Abgrunds, oft in Zeitlupe, deren ätherischer Effekt die Außerweltlichkeit zu unterstützen weiß.
Alle Dinge stehen Kopf, nicht nur die Kreuze, auch die Sterne und Punkte im Internet: Die lächerlich niedrigen Wertungen von Another bei imdb.com oder anderen Filmportalen zeichnen kein vorteilhaftes Bild der Abstimmenden. Apostel der ewig gleichen Erzählweise – möge der HERR ihren lahmen Seelen gnädig sein.

--

Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.