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Ein-Mann-Armee Trevor Simms produziert, schauspielert, schreibt das Drehbuch, führt Regie und hat in allen anderen Bereichen des Filmemachens (vom Schnitt bis zu den Special FX) seine Finger im Spiel, nutzt er seinen ersten Spielfilm Adrenochrome doch ausgiebig zur Selbstdarstellung. Dreh- und Angelpunkt aller Geschehnisse ist Simms in seiner Hauptrolle als Irakkriegsveteran West, der – nach der Rückkehr aus George W. Bushs unter falschen Angaben und Lügen zustandegekommenem Angriffsfeldzug gegen das Böse in Form von Saddam Hussein (seines Zeichens Diktator ohne Massenvernichtungswaffen) – in Venice Beach, Kalifornien, einen Neuanfang wagt. Beim Versuch etwas Geld aufzutreiben, mischen ihm ein paar knapp beschürzte Strandmädels etwas in den Tee, so dass die Jobsuche zugunsten eines bizarren Drogentrips zurückgestellt werden muss, denn an dessen Ende wird er von der Polizei verhaftet, nachdem er nur mit Müh und Not einer kannibalischen Surfersekte auf der Suche nach dem neuesten Drogenkick entkommen war.
Klingt jetzt schon konfus? Nun – übersichtlicher wird es nicht mehr. Simms hat sich mit Haut und Haaren der trippigen Gegenkultur der späten 60er und frühen 70er verschrieben, schon in den ersten Szenen hat Raoul Duke (aus Hunter S. Thompsons Fear and Loathing in Las Vegas) einen Gastauftritt, später im Film fällt der Name von Colonel Kurtz, bekannt aus Apocalypse Now. Man mache jetzt nicht den Fehler und assoziiere mit Gegenkultur den angepassten, milden Quark, welchen Ökofritzen und Friedensbewegte in den Mainstream gespült haben; in Adrenochrome geht es um Sex, Drogen und Gewalt, einen Todestrip, nicht darum die Welt oder gar die Menschheit zu retten. Schon bei der Geburt des Regisseurs im Jahr 1987 war der konservative Rollback in den USA so ausgeprägt, dass er selbst im Säuglingsalter die Informationen über die portraitierten Aussteiger nur durch den Gang in Biblio- und Videotheken erhalten hätte. Nachdem die Generation der 68er in den Positionen ihrer Väter und Großväter angekommen war, mühte sie sich um ein bereinigtes Bild der Ereignisse, um ein Vorbild, das die dunklen, bedrohlichen (und damit spannenden) Schwingungen und Verzweigungen innerhalb der Bewegung aussparte. Stellt Robert Habeck von der Partei Die Grünen das eine, furchtbar falsch wirkende Ende dieser Entwicklung dar, sitzt auf der gegenüberliegenden Seite der grinsende Geist Charlie Mansons auf dem Thron, den ihm die kollektive Hysterie errichtete. Trevor Simms Zugang zur psychedelischen Seite von Venice Beach erfolgt in rasanter Motorradfahrt, wehrmachtsbehelmt, über beide Ohren zugedröhnt und bis an die Zähne bewaffnet.
Neben dem US-amerikanischen Originaltitel Misirlou verweist auch ein Großteil des Surf-Soundtracks wenig verschämt auf Pulp Fiction und das exploitative Zitatkino Quentin Tarantinos. Als Nachgeborener montiert Simms Erzählungen, Bilder und Klänge aus liebgewonnenen Büchern, Filmen und Schallplatten, ausgewählt nach dem Grad ihrer Eindrücklichkeit. Er verbindet altbekannte Sensationen miteinander, um deren Durchschlagskraft noch zu erhöhen. Manchmal gelingt ihm dies, vor allem, wenn er nicht versucht einen Gegenwartsbezug herzustellen (im zeitgenössischen Kino stellt der Krieg im Irak meist nur einen wenig erfreulichen Nam-Abklatsch dar), strahlt die durch Digitalkameras eingefangene Gegenwart doch auch ohne sein Zutun schon heftig auf die Szenen des Films ab. Adrenochrome verliert viel von seinem Charme, sobald der Zuschauer die Anwesenheit des Hier und Jetzts bemerkt, etwa in innerstädtischen Szenen. Potenziert wird dies durch manche Einstellungen, in denen man stärker erkennen kann, mit welch geringem Budget gearbeitet wurde – oft von einem einzigen Mann: Trevor Simms. Exploitatives Autorenkino im wörtlichsten Sinne, gerade oberhalb der Wahrnehmungsgrenze des Amateurfilms. Sich der Tatsache bewusst, dass ein Film wie Adrenochrome in den 80ern und 90ern als VHS-Futter in den Videotheken ohne Kinorelease geendet wäre, sorgte der Regisseur schon während der Dreharbeiten für kleinere Skandälchen um den Film (meist ging es dabei um nicht erteilte Drehgenehmigungen oder zerstörtes Equipment), die genug Aufmerksamkeit für einen internationalen Verleih sicherten – und wieder Trevor Simms in den Mittelpunkt stellten, der die Grenzen zwischen seinem Film und seiner Person absichtlich verwischen will.
Simms inszeniert sich als post-traumatisch belasteten Kriegsveteranen in Rambo-Manier, den Halluzinogenen nicht abgeneigt, mit einem Traum vom Leben am Strand zwischen vollbusigen, willigen Gespielinnen und der Freiheit der Straße. Ziemlich amerikanisch, kein Wunder, destilliert er Adrenochrome doch aus unzähligen Episoden der US-Gegenkultur. Das eigentliche Adrenochrom wurde bei Versuchen mit Schizophrenie-Patienten entdeckt und hatte den Ruf von körpereigenem LSD, bis sich die Messreihe als schwer fehlerhaft entpuppte. Nun müsste nur noch jemand den Kannibalen in Simms Film beibiegen, dass sie dem Placebo-Effekt aufgesessen sind…
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