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archie shepp in den 1970ern
(1969/1979)
die erzählung ist ja eigentlich, dass da ein angry young man, der spätestens mit FIRE MUSIC einen black-panther-score eingespielt hatte, und der bewegung zum panafrican festival 1969 in algier folgte, im laufe der nächsten 10 jahre zum traditionalisten und museumswärter für afroamerikanische musiktraditionen wurde. von der djellaba zum nadelstreifen. ganz sicher liegen einige wichtige karrieredaten in diesen 10 jahren:
1969/70: das pan-afrikanische festival in algier und die dort erfolgenden einladungen nach paris durch jean georgakarakos, jean-luc young und fernand boruso, für ihr BYG label aufzunehmen. die expat-szene in paris, bewegungsflüchtlinge, die in der heimischen jazzszene auf wenig verständnis gestoßen sind: das art ensemble gründet sich dort, shepp kommt mit grachan moncur, dave burrell, clifford thornton, bobby few ist da, alan shorter, alan silva, selbst philly joe
jones und hank mobley stranden dort. es gibt ein paar kontakte zu französischen musikern, ansonsten bleibt die szene unter sich, teilt sich leader-dates, bei shepp kommen originelle sounds und stimmen dazu, mundharmonikerspieler aus chicago, jeanne lee, leroy jenkins. panafrikanismus setzt auf kontinuitäten und transnatioanle verbindungen, nicht auf radikalisierung und flucht vor dem fbi. shepp spielt plötzlich ein nordafrikanisch anmutendes sopransax, schreibt feministische texte, sein „poem for malcolm“ ist eigentlich eins für die geistlich & musikalisch interessierte großmutter, die dem vater die musikkarriere nicht verboten hatte, aber vieles ist ende der 1960er nicht neu: weder die rezitation („rufus“ in newport, „malcolm, malcolm“ auf FIRE MUSIC), noch der kitsch („somewhere“ mit bill dixon, „girl from ipanema“ auf FIRE MUSIC), weder die große form („portrait of robert thompson“ auf MAMA TOO TIGHT), r&b und soul sowieso nicht, aber auch nicht die 1-akkord-märsche der newark-gothic-freunde (alan shorter, marion brown, grachan moncur), die immer wieder für das hypnotische der shepp-musik vorlagen liefern („hipnosis“, CORAL ROCK, „frankenstein“).
1971: shepp verletzt sich die lippe so stark, dass es zur fortführung der musikerkarriere plastische chirurgie braucht und er seinen ansatz komplett auf kiefern, lippen und zunge umstellen muss (er sagt: ton wurde dadurch lauter, aber das spiel rythmsch unpräziser).
1969-71 (suny buffalo, new york, black studies program, vermittelt durch charles keil, einen cousin von roswell rudd), dann 1971-2001 (university of massachusetts, amherst, ethnomusicology): shepp unterrichtet „revolutionary concepts in african american music“ und einen performance-kurs. auf tour geht er nur in der vorlesungsfreien zeit, wenn er nicht kann, vertritt ihn marion brown, er selbst holt reggie workman und charles greenlee nach amherst. die karriere steht für den langen marsch durch die institutionen, hat aber auch repertoire-auswirkungen: shepp lernt die schwarze musik vor dem jazz erst durch die lehrtätigkeit kennen.
// die dokumentierte musik //
1969/70 kommt shepp aus paris zurück in die usa, verbindungen zu europa, vor allem zu frankreich bleiben eng. mit dem produzenten ed michel entwickelt shepp seinen persönlich post-coltrane-ansatz für impulse, der sich in einer trilogie materialisiert: THINGS HAVE GOT TO CHANGE (1971), ATTICA BLUES (1972) und THE CRY OF MY PEOPLE (1972).
Each album, when heard in chronological order, traces a narrative that repeats throughout African American history: Things Have Got to Change speaks to the ever-mounting pressures of the African American reality of poverty and suppression; Attica Blues captures how the inevitable explosion of rage reverberates in community life; and The Cry of My People honors how Black folk find grace in family, faith and tradition. (bill shoemaker)
vorangegangen war eine kritische evaluierung des free-jazz-ansatzes seiner vorbilder und die frage seiner mutter, ob er noch immer „diese kleinen stücke ohne melodie“ spiele. r&b, soul, spirituals, ellington, tanzmusik – shepp will seine community in seiner musik ansprechen. cal massey und dessen sozialistischer arrangement-sidekick romulus franceschini halten die verbindungen zum black power movement lebendig. derweil lässt impulse seine jazzmusiker*innen gehen.
THERE’S A TRUMPET IN MY SOUL kommst erst 1975 heraus (was bedingte die pause – die lippenprobleme? die lehrtätigkeit?). cuscuna produziert für freedom und dokumentiert shepps working band: charles „majid“ greenlee (tb), dave burrell (b), cameron brown (b), beaver harris (dm). MONTREUX ONE und TWO sind perfekte live-aufnahmen zwischen cry, swing, dekonstruktion und perfekter traditionspflege. verbunden wird das durch shepps hineinarbeiten ins material, fast, als ob er zauberformeln aufsagt, manierismus, der allein durch das aussprechen magie entstehen lässt. für soul note entsteht noch A SEA OF FACES (1975). seine kompositionen werden zu persönlichen trademarks: „u-jamaa“, „steam“, schließlich „mama rose“, das gedicht für malcolm, das sich mit masseys „things have got to change “ verbindet, aber erst mit der zweiten working band (kessler/brown o. cunningham o. little/jarvis) gestaöt annimmt, mit der shepp ab 1976 immer wieder in europa auftritt.
zwei tolle trio-aufnahmen entstehen mit den bassisten und drummern dieser beiden bands: STEAM (1976, mit brown/harris) und THE TRADITION (mit brown/jarvis).
aber ab den 1970ern auch eine reihe herausragender duos: FORCE (mit max roach, 1976), GOIN‘ HOME (horace parlan, 1977), DUET (abdullah ibrahim als dollar brand, 1978), THE LONG MARCH (wieder max roach, 1979). eine zusammenarbeit mit karin krog (HI-FLY, 1976) und joe lee wilson (A TOUCH OF THE BLUES, 1977).
1977 beginnt archie shepp eine zusammenarbeit mit dem japanischen label denon, für das er in den usa traditionalistischen jazz (referenz erst coltrane & ellington, dann immer stärker parker) mit all star besetzungen einspielt (BALLADS FOR TRANE, 1977; ON GREEN DOLPHIN STREET, 1977; LADY BIRD, 1978) und in japan mit seinen working bands aufnimmt (LIVE IN TOKYO, 1978; TRAY OF SILVER, 1979). auch das duett-album mit ibrahim entsteht für denon in tokio.
die band mit siegfried kessler, dessen sparsame, fast ritualistisch wiederholte figuren shepps hypnotische momente besonders unterstützen, gibt es vor allem auf dem franösichen label impro: PARISIAN CONCERT I&II (1977), das album mit wilson (1977), LIVE AT TOTEM I&II (1979), BIRD FIRE (1979). sehr besonders hier der auftritt in warschau 1978, auf dem zum ersten mal „mama rose“ in der klassisch werdenden form aufgezeichnet wird (auf PERFECT PASSIONS, bootleg).
am ende der 70er zwei quintessenzen: mit max roach „sophisticated lady“ und „giant steps“ solo, dann die kämpferischen duos aus 1976 in kein bisschen gemäßigterer aktualisierung. schließlich in paris die ATTICA BLUES BAND, die den black-power-soundrack aus 1972 zu einer feier afroamerikanischer musik werden lässt, mit einem programm, für das später „jazz at the lincoln center“ erfunden wurde, wohin shepp allerdings nie eine einladung erhalten hat.
One of the ironies of jazz in the 1960s is that the most commercially successful of its radical innovations were led by established, commercially successful artists, and necessarily so. Only John Coltrane could have given the New Thing any market traction, and only Miles Davis could have paved the way for fusion’s rise. It therefore makes perfectly paradoxical postmodern sense that the still-prevailing traditionalist brand of jazz postmodernism presented at Montreux in 1975 would be articulated by one of the more polarizing exponents of the ‘60s avant-garde – Archie Shepp. Shepp had not only become a lightning rod for his music, but for being what Cook called “that most terrifying thing to respectable society, a witheringly articulate and intelligent black artist: his numerous interviews and open letters set out a devastating critique of his environment, his business, and the hoops an Africa-American musician was still obliged to jump through.” (nochmal shoemaker)
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