Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Zum Buena Vista Social Club: Vielleicht war „irrelevant“ ein blödes Wort – die Musik aus den 50ern war in den 90ern immer noch wunderbar und ich mag sie ja auch 25 Jahre später (verdammt!) immer noch gerne (die Portuondo-CD kam übrigens heute, freue mich aufs Hören!). Aber unabhängig davon, was die Leute nach der Revolution durchgemacht haben, war das halt einfach nicht mehr die Musik, die damals auf Cuba konsumiert wurde. Das ist auch gar kein Problem, etwas Mühe habe ich halt bloss mit dem Klischee-Bild von den fröhlichen Menschen mit den alten Autos und den guten Zigarren und dass wir im Westen nun gerade ihre Musik entdecken … denn das war halt längst nicht mehr ihre Musik bzw. es war die Musik einer sich gerade ans Sterben machenden Generation. Das ist alles völlig okay und den späten Erfolg mag ich ihnen auch gönnen … ich würd z.B. auch nicht behaupten, dass Jimmy Heath bis zum Ende „relevant“ war (letztes Jahr kam ja noch ein letztes Album heraus) und bei vielen anderen Jazzmusikern würde ich das ähnlich formulieren. Dennoch haben sie ihre Stimme und ihren Platz – aber die jungen Leute machen halt ganz andere Musik. Wie gesagt, „Relevanz“ ist ein schwieriges Wort, das ich etwas unbedacht eingeworfen habe.

Was Mingus angeht: ich höre auf „The Clown“ einfach gar keine solchen Tendenzen, und auf „East Coasting“ auch nicht. Letzteres ist ein für Mingus‘ Verhältnisse stilles, verhaltenes Album, aber der Zauber, der ihm innewohnt hat mit einer freien Lyrik zu tun, die besonders Shaw und Evans hervorzaubern – und die für mein Empfinden wirklich nichts mit den überaus kontrollierten (z.T. ja vollständig notierten) Stücken aus den Experimentierjahren zu tun hatte, wo ich oft nicht wirklich echte Lyriker höre sondern halt eher blutleere Theoretiker, die sich an der Praxis … hm, vergehen? Also Macero empfand ich auf der Cirillo-Session vorhin wieder stark so. Da fehlt mir La Porta total, der halt trotz ähnlicher Spielanlage einen Flow hat und überraschende Einfälle, die auf mich viel, wie soll ich sagen, organischer wirken? Und ein Thad Jones sticht halt auch deswegen heraus auf diesen Sessions, weil er halt einfach eine Nummer grösser/besser/reifer war als viele in den Gruppen rund um ihn herum. Dass es schon früher R&B-Seiten gibt, finde ich klar, aber mich dünkt halt, die experimentelleren Sachen (die Titelsuite von „Pithecantropus Erectus“, die Musique Concrète auf „Pre-Bird“, die Ellington-Verarbeitungen dort und dann krönend auf „Black Saint“, die freien Experimente (der Dialog mit Dolphy auf „Presents“) oder auch sowas wie „Far Well, Mill Valley“ auf „Mingus Ah Um“ empfinde ich als eine etwas Neues, eine Emanzipation und einen grossen Schritt von den Experimenten weg, die Mingus 1953/54 machte.
Mich würde halt doch wundernehmen, wo Du da eine Tendenz hörst @soulpope, die sich von, sagen wir, „Jazzical Moods“ zu „The Clown“ und „East Coasting“ zieht?

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba