Antwort auf: Jazz & Brasil

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gypsy-tail-wind
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Biomasse

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Ich bin bei Runde zwei mit Jobim angelangt … passenderweise gab es vorhin draussen auch ein paar frühlingshafte Sonnenstrahlen. Beide Alben wurden 1967 aufgenommen (Mai/Juni oben, August unten, glaub ich) und von Claus Ogerman arrangiert. Das Setting ist dasselbe wie beim Debut, aber die Band grösser – es gibt auch eine Streichergruppe und gleich drei Flöten … wobei die ev. auch nicht bei allen vier Sessions dabei waren?). Jobim singt auch hie und da, aber der grose Teil ist instrumental, Urie Green spielt die meisten Posaunensoli, Jimmy Cleveland kriegt auch was ab … unabhängig davon, wie bezaubernd das ist, bleibt bei mir aber auch eine gewisse Unruhe bezüglich der bachelor’s pad-Thematik, die wir neulich drüben im Jazzfaden anrissen ( @redbeansandrice :bye: ), dass Leute aus der Band der „Tonight Show“ hier mit einem Davis-Sideman (Ron Carter, der ewige Creed-Taylor-Bassist) und mit allen Wassern gewaschene Profis (Urbie Green, und auch Jimmy Cleveland oder Jerome Richardson) auf ein paar Brasilianer treffen (Dom Um Romão und Claudio Slon, zwei der drei Drummer, der dritte ist Bobby Rosengarden, bekannter Studio-Musiker und eben: Mitglied der „Tonight Show“-Band) führt zu einem bezaubernden Kuntsprodukt, das zu recht Klassikerstatus erlangt hat, aber Herzensmusik von mir ist das nicht (das Debut schon eher). Auch interessant ist der Kontrast zu „Caymmi visita Tom“, denn dort scheppern die Drums manchmal ganz schön old school – es gibt nicht den zaghaften Bossa-Filter, der alles besänftigt, wie es hier schon recht stark der Fall ist. Erst im Closer drehen die Drummer auf, und Jobim (der davor auch ein paar Male Cembalo spielt – Morricone lässt grüssen @vorgarten :bye: ) spielt eine dreckige und laut nach vorn gemischte (akustische) Gitarre. Bei allen Vorbehalten, das ist schon ein grossartiges Album!

„Off Key“ – oder eher: „my fillings are of key“ ;-) – hier singt Jobim dann die englischen Lyrics von Gene Lees zu „Desafinado“. In den Liner Notes gibt es zudem die ebenso „off key“-Definition von „heaven on earth“: „Like having a refrigerator always full of icy-cold Heineken’s.“ (Meine Variante wäre eher ein kühler Gewölbekeller voller belgischer Abtei-Biere.) Jobim kam frisch aus Kalifornien, wo er gerade das Album mit Sinatra aufgenommen hatte („The fake Revlon nails and Countess Mara ties that populated the control room during the Sinatra date are absent in New York.“ – die Liner Notes sind von Hal Halverstadt, sagt mir nichts). Natürlich geht das immer weiter weg von Brasilien, aber es wird auch immer besser in seinem ganz eigenen Genre … und Jobims karges Klavierspiel (auch typisches „composer’s piano“ @vorgarten) und natürlich sein schnörkelloser Gesang werden von Ogerman wunderbar eingebettet. Das grenzt wirklich an Perfektion hier!

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